Herzlichst, Ihr alter Freund Kesten

Der Exil-Briefwechsel zwischen Franz Schoenberner und Hermann Kesten demonstriert die kommunikative Bedeutung einer untergegangenen Kulturtechnik

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was werden spätere Forscher über unsere Zeit noch erfahren können? Eines der wichtigsten Medien, die Aufschluss über Intentionen, Erfahrungen und Einstellungen von Autorinnen und Autoren gibt, ist heute beinahe völlig verschwunden. An die Stelle der Briefpost ist weitgehend die elektronische Mail getreten.

Mails aber werden im Unterschied zu Briefen irgendwann gelöscht. Niemand dokumentiert sie, außer einer Weile die Provider, um sie gegebenenfalls den Fahndungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Niemand druckt sie aus, um sie als Dokument einer Freundschaft, einer Beziehung, eines beruflichen Kontaktes unter Schriftstellern aufzubewahren. Niemand also wird sie in späteren Zeiten auffinden und auswerten, um aus ihnen mehr darüber zu erfahren, wie zum Beispiel das Leben im Exil ist und wie Leute, die nichts gelernt haben, außer in ihrer Muttersprache zu lesen und zu schreiben, sich miteinander verständigen, Informationen austauschen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand bringen. Diese Zeiten sind vorbei, ebenso wie auch die Zeiten vorbei sind, in denen Briefe postlagernd geschickt werden mussten und teilweise Wochen und Monate unterwegs waren, bevor sie ihren Empfänger erreichten. Das geht heute in Sekundenbruchteilen und weltweit. Wer auch immer wo auch immer ins Netz kommt, kann auch seine Mails abholen und mit wem auch immer, der sich wo auch immer befindet, kommunizieren. Augenblicklichkeit und Flüchtigkeit gehen in der Gegenwart auch, was Mails angeht, eine untrennbare Verbindung ein.

Diese Entwicklung bestärkt freilich nicht nur ein Gefühl der Wehmut und der Sorge um die Wissensquellen künftiger Literaturwissenschaftler, es intensiviert auch die Aufmerksamkeit, mit der Zeugnisse der untergehenden Briefkultur aufgenommen und ausgewertet werden.

Der Briefwechsel zwischen den beiden Autoren Franz Schoenberner (1892-1970) und Hermann Kesten (1900-1996) bestätigt diese Annahme, wie er zugleich Hinweise darauf gibt, wieviele Autoren und Akteure im Literaturbetrieb der Vergangenheit mittlerweile vergessen sind. Hermann Kesten werden dabei noch einige Literaturwissenschaftler kennen - zu groß ist seine Bedeutung für die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, als dass er ohne weiteres übersehen werden könnte: Als Lektor des Kiepenheuer-Verlags in den späten 1920er-Jahren und des Allert-de-Lange-Verlags hatte Kesten großen Einfluss auf die Literatur der Neuen Sachlichkeit und des Exils. Als Autor hat er eine Reihe von aufschlussreichen und lesenswerten Romanen und Essays publiziert, die - wie etwa die "Kinder von Guernica" - auch heute noch Bedeutung haben (auch wenn es sichtlich weniger Leser geworden sind, die sich für Kesten interessieren). Und Kesten war einer der bedeutendsten Exil-Autoren für die bundesdeutsche Nachkriegsliteratur.

Anders hingegen Franz Schoenberner, der wohl nur noch Spezialisten bekannt ist: Schoenberners Bedeutung für die Literatur liegt vor allem in seinen redaktionellen Tätigkeiten, etwa für die "Jugend" oder für den "Simplicissimus", die er beide als Chefredakteur entscheidend beeinflusst hat. Im Exil nun hat Schoenberner sich vor allem durch eigene Arbeiten zu ernähren versucht, was ihm - der als Redakteur eher abgeschottet von der Öffentlichkeit des Literaturbetriebs agierte - besonders schwer gefallen ist.

Es gab also Themen genug, über die sich die beiden Exilautoren zu unterhalten hatten, als sie, nachdem sie nach der Machtübernahme Deutschland verlassen hatten, ihren Briefwechsel aufnahmen. Und in der Tat sind ihre Briefe voll von dem, was man wissen und untereinander austauschen muss, wenn man sich in der Extremsituation Exil befindet. Wer ist wo gelandet und arbeitet an welchen Projekten? Welche Verlage und Zeitschriften werden gegründet und betrieben? Welche Chancen hat man darauf, dort publizieren zu können, wie steht es mit den Honoraren und reicht das alles zum Leben? Die Situation ist für fast alle Exilanten gleich bedrohlich. Reich, so schreibt Kesten in einem seiner späten Briefe, seien sie (beinahe) alle nicht. Ihre wichtigste Kompetenz nütze ihnen nichts, zu klein sei der deutschsprachige Literaturmarkt, um die etwa zweitausend Autoren unterschiedlicher Couleur zu ernähren. Um so mehr sei man darauf angewiesen, mit den Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu bleiben und etwaige Chancen wirklich auch wahrnehmen zu können: "Es will mir scheinen", schreibt etwa Schoenberner im Jahr 1940, "als ob die paar in der Welt zerstreuten guten Europäer deutscher Herkunft nur umso enger zusammengehörten und zusammenhalten müssten, je endgültiger sie durch einen immer weiter klaffenden Abgrund der Schande und der Verbrechen von jenem durchaus verlorenen Volk sich abgetrennt fühlen, das selbst noch in seinen besseren Teilen jetzt so fürchterliche Mitschuld auf sich lädt".

Je weiter das Exil sich fortsetzte, desto enger rückt die Gemeinde zusammen, auch wenn sie streitet und miteinander hadert. Ferdinand Lion, von Thomas Mann eingesetzter Redakteur der Zeitschrift "Maß und Wert", wird für seine Ahnungs- und Instinktlosigkeit gescholten. Sein Nachfolger Golo Mann kann zwar anfangs mit einigem Wohlwollen rechnen. Je weiter aber Projekte aufgeschoben und je weniger Manuskripte für immer weniger Geld untergebracht werden können, desto schlechter sind die beiden Exilanten auf den Sohn des großen Thomas Mann zu sprechen.

Immer wieder finden sich Bücher, die man austauschen muss, Vorträge und Aufsätze, für die der eine den anderen lobt, kleine Jobs, mit denen man sich über Wasser halten kann, und immer wieder Publikationsgelegenheiten, auf die sie sich gegenseitig aufmerksam machen können. Gelingt dann eines der vielen Projekte, dann ist das Wohlwollen auch gleich viel größer, wie etwa im Fall der großen Exil-Anthologie "Heart of Europe", die Hermann Kesten gemeinsam mit Klaus Mann 1943 herausgab und in der Schoenberner eine Abteilung betreuen durfte. Da werden die Worte über den Mann-Sohn Klaus dann doch sanft bis anerkennend. Seine "geistige Haltung" wird gelobt und man meint die beiden Herren anerkennend nicken zu sehen.

Deutlicher sind nur die Sätze, die die beiden über die Daheimgebliebenen schreiben. Kästner wird ihnen zum Nazi-Überläufer, ebenso wie Waggerl, Bischoff oder Riegler, das Exiltreiben des "Goeringianer(s)" Heinrich Hauser wird aufmerksam kommentiert. Hausers Widmung an Goering in seiner S.Fischer-Reportage "Ein Mann lernt fliegen" war nicht unbemerkt geblieben (der umfangreiche Stellenkommentar weiß naheliegend auch von solchen Vorfällen zu berichten).

Jenseits der immer währenden Geldprobleme, einiger Krankheiten und einer Vase, die Schoenberner der Wirtin Kestens bei einem Parisbesuch zerschlägt, bleibt im Briefwechsel Privates der beiden Autoren, die einander offensichtlich mögen, außen vor. Hier geht es offensichtlich darum, einander zu unterstützen und das Überleben zu sichern. Die Freundlichkeiten, die Kesten und Schoenberner austauschen, sind Siegel auf ihre Zusammengehörigkeit, die Bücher und Manuskripte demonstrieren ihre Nähe. Dass sie beide bald das "Herr" weglassen, zeigt, dass das Exil Leute ihres Schlages einander näher rücken lässt. Dennoch bleibt es beim respektvollen Sie. Vertraulichkeiten gehören sich nicht unter Autoren, die einander nötig haben (wobei wohl eher Kesten Schoenberner unterstützt als anders herum) und die nie wissen, wohin es sie treiben wird. Das Exil macht diese Autoren respektvoll und solidarisch - und das ist angesichts dessen, dass das Exil ansonsten keineswegs frei von Konkurrenzen, Eitelkeiten und Fraktionskämpfen war, ein einigermaßen erfreuliches Ergebnis: "Schönste Grüße an Madame, auch von meiner Dame." Wir schließen uns an.


Titelbild

Franz Schoenberner / Hermann Kesten: Briefwechsel im Exil 1933-1945.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
464 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783835302525

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