Auf der Suche nach dem "All-Einen"

Mircea Eliades Theorien zur Trennung der Geschlechter

Von Jessica KöpplerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jessica Köppler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch "Mepistopheles und der Androgyn - Das Mysterium der Einheit" des 1907 in Bukarest geborenen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade ist ein kleines, aber feines Werk. Ausgehend von Goethes "Faust" und Balzacs "Séraphîta" wird untersucht, wie Volksglaube und Religion, Dichtung und Mythos die anfängliche Ganzheit der Welt und deren heutige Spaltung in lauter Gegensatzpaare beschreiben.

Eliade bringt in seinem Werk Beispiele aus der deutschen Romantik, von den Gnostikern, aus dem tantrischen Yoga und geht zurück bis in die Vorgeschichte. Einen Schwerpunkt legt er auf die symbolische und spirituelle Überwindung der Geschlechtertrennung.

Der erste Teil dieses Buches beschäftigt sich mit Gott und dem Teufel auf der Grundlage von Goethes "Faust". Eliade untersucht beispielsweise die Sympathie zwischen Gott und Teufel. Er fragt, warum der Teufel auch sympathisch sei und ob Gott und Teufel nicht doch einst Brüder gewesen seien, wie in einigen Überlieferungen angenommen wird. Aber grundsätzlich geht es Eliade um das "All-Eine", das eine Sympathie zwischen gegensätzlichen Kräften stiftet.

Der zweite Teil befasst sich auf der Grundlage von Balzacs Roman "Séraphîta" mit dem Phänomen des Androgyns. Eliade hinterfragt an dieser Stelle, was an einem solchen Wesen so faszinierend sei und wie es zu der Teilung in das Männliche und Weibliche gekommen sein könnte.

In "Séraphîta" nimmt das "All-Eine" die Gestalt eines Androgyns, eines vollkommenen Menschen, an, der sowohl von einer Frau als Mann und von einem Mann als Frau geliebt wird. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Autor ebenfalls mit der Frage, wieso ein solches Wesen das Glück hat, vollkommen zu sein. Für Eliade ist die Androgynie die Formel der Ganzheit.

In China ist es der Gott der Finsternis und des Lichts, was wieder sehr gut zum Grundthema dieses Buches, der coincidentia oppositorum, der Vereinigung der Gegensätze, passt; denn diese als Beispiel angeführte Gottheit ist ein Gegensatz in sich. Dieser ist sowohl zwischen Goethe und Balzac, Gott und Teufel, Mann und Frau zu sehen. Mit diesem Thema beginnt und endet das Buch.

Mircea Eliades Buch ist leicht zu lesen und nie langweilig, und das trotz der äußeren Unterschiedlichkeit der Themen, die jedoch eine innere Zusammengehörigkeit aufweisen. Zwar mögen die Fußnoten auf den ersten Blick abschreckend wirken, aber das tun sie zu unrecht. Mit ihnen werden zum Teil noch weiterführende Hinweise geliefert. Man muss auch nicht vorher Goethes "Faust" oder Balzacs "Séraphîta" bis ins Detail gelesen haben, um sich anschließend an dieses Buch zu wagen. Die Vielseitigkeit der Beispiele, die Eliade aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammengetragen hat, ermuntern zu weiteren Nachforschungen und zur Beschäftigung mit anderen Kulturkreisen.

Er selbst zieht aus den Quellen den Schluss: "Die Tatsache, daß diese [...] Themen und Motive in der Folklore fortleben und in der Welt der Träume und des Imaginären unablässig auftreten, beweist, daß das Mysterium der Ganzheit zum Wesen des menschlichen Dramas gehört."

Titelbild

Mircea Eliade: Mephistopheles und der Androgyn.
Insel Verlag, Frankfurt 1999.
100 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3458169458

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