Myriaden von Transaktionen

Douglas "Doug" Hofstadter erklärt die Schnittstellen von Naturwissenschaft und Philosophie

Von Nicole SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für sein Buch "Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band" wurde Douglas Hofstadter mit dem Pulitzer-Preis und mit dem American Book Award ausgezeichnet. Er hat nicht nur den Lehrstuhl für Kognitionswissenschaft und Informatik an der Indiana University in Bloomington, sondern kann auch Russisch, Chinesisch, Hindi, Deutsch und Französisch. Von einem solchen Autor erwartet man viel. Voller Vorfreude schlägt man sein neues Werk auf - was kann er noch Neues bringen?

In einer gut nachvollziehbaren Argumentation der kleinen Schritte, von denen jeder Einzelne ausführlich erörtert, mit Beispielen belegt und meist am Ende eines Kapitels in einigen Sätzen zusammengefasst wird, nimmt Hofstadter den Leser mit auf die Reise durch faszinierende Gedankengänge. Am Anfang stehen Wahrnehmungsprozesse, am Ende nicht weniger als die Ablehnung der Vorstellung eines Ichs, eines cartesianischen Egos, und Hofstadter sorgt dafür, dass wirklich jeder ihm folgen kann.

Unsere Wahrnehmung ist beschränkt auf makroskopische Prozesse, stellt der Autor zu Beginn fest, die Mikroebenen unseres Gehirns und überhaupt aller Dinge und Ereignisse sind zwar verantwortlich für das Geschehen auf höherer Ebene, für eine Beschreibung jedoch irrelevant wie die einzelnen Moleküle bei einem Verbrennungsmotor. Am viele Male wieder aufgenommenen Beispiel von den "Simmbällen" (Symbolen) im "Kranikulleum" belegt er den zunächst paradox wirkenden Gedankenschritt: Reduktionismus bedeutet einen Anstieg von Komplexität. Weiter geht es zu Mechanismen, die durch einfache Feedback-Schleifen funktionieren und uns bei Komplexität durch ihre Effizienz nahe legen, "die Beschreibungsebene zu wechseln von der zielfreien Ebene der Mechanik [....] zur ziel-orientierten Ebene der Kybernetik."

Nach einer sehr langen Einleitung, bei der nicht ganz klar ist, wo sie aufhört und wo sich das eigentliche Thema versteckt, wo noch gedankliche Vorbedingungen geklärt und wo bereits die zentralen Themen erörtert werden, weil alles miteinander verwoben ist, beginnt Hofstadter von selbstreferenziellen Strukturen und kleinen, einfachen Paradoxien zu sprechen wie von dem Satz "Ich lüge". Ein System sei nur dann zur Wahrnehmung fähig, wenn ein Symbolbestand gegeben ist, der aktiviert werden kann. Hier macht der Autor einen kleinen, aber sehr unsympathischen Fehler, wenn er den Leser davon überzeugen will, dass Mücken keine inneren Symbole, also auch keine Selbstwahrnehmung, also (und das ist eine von Hofstadters zentralen Folgerungen: Selbstwahrnehmungsmöglichkeit führt zu "Seelen-Besitz") auch keine dem Menschen vergleichbare Seele haben: Warum sonst, fragt er, würde man Mücken so gedankenlos töten? Dass es kein Argument für die Seelenlosigkeit eines Wesens sein kann, wenn man dieses tötet, ist sicherlich jedem klar, doch es schmerzt, ein so grausam gegen viele menschliche Werte verstoßendes Argument, das bei Befolgung schreckliche Folgen haben kann, bei diesem Autor zu lesen.

Umso schlimmer ist es, dass Hofstadter im folgenden Abschnitt den gleichen Denkfehler noch einmal macht: Wie können denn Hunde eine so große Seele haben wie Menschen, fragt er, wenn wir doch ungerührt hinnehmen, dass wilde Hunde in Tierheimen getötet werden? Auch seine These, dass Mücken nicht lieben können, weil das nutzlos wäre, hätte er durchaus noch erklären müssen. Denn was sollte an der Liebe zwischen zwei Menschen sinnvoller sein oder an Tätigkeiten wie dem Verfassen von Lyrik, die niemand außer dem Verfasser zu Gesicht bekommt?

Bald gelangt der Autor zu seinem Hauptthema: der Demontage des Ichs. Nur weil wir das Ich für Pläne und Wollen verantwortlich hielten, sagt er, müsse das Ich noch lange nicht wirklich existieren. Denn es gebe Paradoxien, die wir uns nicht vorstellen könnten, bis sie in unseren sorgsam ausgedachten Systemen auftauchen und diese auf den Kopf stellen würden.

An dieser Stelle kommt der beste Teil des Buches, denn Hofstadter erzählt von Mathematik, von mathematischen Gesetzen und Annahmen, von Mustern und Beweisen. Dass er für Nicht-Mathematik-Interessierte trockenen Stoff wirklich erfrischend und anschaulich darstellen kann, ist sein großes Verdienst. Fibonacci-Zahlen, Fermats Satz, Gödels Formel, Prima-Zahlen - das alles kann interessant sein und spannend, wenn Hofstadter es erklärt und noch vieles über die Umstände erzählt. Durch das Buch wird dem in Mathematik nicht bewanderten Leser - vielleicht zum ersten Male - klar, welches Darstellungs-Potenzial Zahlen haben, dass sie nicht nur alle denkbaren Bereiche von Noten über Farben zu Kurven und Pflanzen abbilden können, sondern sogar die Mathematik selbst. Wie nebenbei legt der Autor dar, warum unser Ich nicht mehr, aber auch nicht weniger ist als eine Abkürzung für "Myriaden von winzigen Einheiten und chemischen Transaktionen" und weshalb es zugleich nur die privilegierte unter vielen Schleifen in unserem Gehirn ist: "Unsere ,Ichs' sind sich selbst verstärkende Illusionen, ein unvermeidliches Nebenprodukt der seltsamen Schleifen, die ihrerseits ein unvermeidliches Nebenprodukt von Gehirnen sind, die über Symbole verfügen." In diesem Satz lässt sich Hofstadters Hauptthese zusammenfassen. Seine Analogie, dass die Illusion des Selbst automatisch in jedem ausreichend differenzierten Kategorien-Repertoire auftaucht wie Gödels seltsame Schleife in jedem ausreichend leistungsstarken formalen Zahlentheorie-System, ist schlüssig und beweist, dass Bewusstsein automatisch der Entwicklung von Gehirnen folgen musste und keine, wie Hofstadter es nennt, "Zusatz-Ausstattung" von Gehirnen ist.

An seinen Erläuterungen gibt es aber auch Kritik. Viel zu schnell wird die These, dass unser Ich eine Illusion ist, gleichgesetzt mit der Vorstellung, dass wir an mehreren Orten, also in mehreren Gehirnen zugleich sein können. "Partielle grobaufgelöste Kopien" nennt Hofstadter das und erklärt in seiner Begeisterung darüber, dass nach dieser Theorie seine geliebte, verstorbene Frau Carol, von der in dem Buch viel die Rede ist, noch weiter lebe, die Entwicklung dieser Theorie zu wenig, wo er doch an anderen Stellen zuviel erklärt. Außerdem hat der Autor bei aller Wissenschaftlichkeit und Offenheit für Gegenargumente und Unsicherheiten eine wichtige Sache vergessen, die doch unser Menschsein prägt: Unsere Wahrnehmung ist subjektiv. Eine Schleife wird nicht durch Wahrnehmung gleich in welchem Gehirn versorgt, sondern in jedem Gehirn anders, denn auch dieselben Dinge werden von jedem Ich, und sei es eine Illusion, anders wahrgenommen. Es ist eben nicht so, dass wir, wie Hofstadter behauptet, wenn wir durch die Augen einer Joggerin hindurch sehen, durch ihre Ohren hören könnten, dass wir selbst diese Joggerin wären, dass es also nur von der Perspektive der Wahrnehmung abhänge. Denn selbst wenn wir exakt das wahrnehmen, was andere Menschen wahrnehmen, so kennen wir eben doch nicht die inneren Muster dieses Ichs. So gerne der Autor offensichtlich seine Frau Carol "sein" möchte - er kann ihren inneren Mustern vielleicht nahe kommen, doch er kann sie nicht genau erkennen. Durch diesen Denkfehler hinkt Hofstadters gesamte Argumentation.

Immerhin: Hofstadter schreibt betont auf Augenhöhe mit seinem Leser, dem er auch gerne die gleichen Interessen, Gedankengänge und Eigenschaften zugesteht wie sich selbst. Dies wirkt meist auf eine amerikanische Art sympathisch und demokratisch, an manchen Stellen jedoch auch einfach anbiedernd.

Sein Vorrat an kleinen Analogie-Geschichten und erfundenen Welten, in denen parallel zu deutende Ereignisse stattfinden, ist bewundernswert. Simmbälle im Kranikulleum, Paarsonen und Halblinge in der Zwillingswirlt - viele der Analogien sind tatsächlich so gut und kreativ gewählt, dass man die eigentliche Fragestellung nicht nur besser versteht, sondern sich auch die Analogie dazu merkt. Manche der Geschichten wünscht man sich sogar noch ausgeschmückter, noch detailreicher, einfach weil sie so schön zu lesen sind. Auch die Beispiele sind zum Großteil nicht nur anschaulich und treffend, sondern auch besonders lustig oder schön. Dass der Autor gerne auch ausführlich abschweift und am Rande von seinen musikalischen Vorlieben, Erlebnissen mit Freunden, von der Verbundenheit mit seiner verstorbenen Frau und Albert Schweitzers Mitgefühl für Ameisen erzählt, stört da nicht. Keine Frage, Hofstadter hat ein Talent, Geschichten zu erzählen und Beispiele zu finden. Doch leider treibt er das zu weit - an jeder Stelle findet der Leser drei Beispiele, wo eines völlig ausgereicht hätte. Traut der Autor der Wirksamkeit seiner eigenen Exempel so wenig, dass er stets zur Sicherheit noch eines hinterher schieben muss - und noch eines und noch eines? Das ermüdet beim Lesen, und auch der Witz der einzelnen Musterbilder nutzt sich durch die große Anzahl ab. Man versteht nach dem ersten Viertel des Buches, warum das Buch so dick ist, und dass noch viele weitere unnötige Beispiele auf einen zukommen werden, und das frustriert schon im Voraus.

Diese aufgesetzte Kumpelhaftigkeit seiner Formulierungen führt zu der Wahrnehmung, wie sie vielleicht auch Kinder haben, denen von Erwachsenen halb komplizierte Zusammenhänge bewusst einfach, redundant und mit vielen, vielen Beispielen aus der (ach so einfachen!) Lebenswelt der Kinder erklärt werden, als ob es sich um die kompliziertesten, kaum in Worte zu fassenden Sachverhalte handele - das schale Gefühl, nicht für voll genommen zu werden, stellt sich hier dann doch ein.


Titelbild

Douglas R. Hofstadter: Ich bin eine seltsame Schleife.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Held.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008.
528 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-13: 9783608944440

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