Wer ist Peter Crumb?

Jonny Glynn packt uns dort, wo es weh tut, und liefert mit seinem Romandebüt "Sieben Tage" weit mehr als nur einen Abklatsch von "American Psycho"

Von Lars ClaßenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lars Claßen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum schreibt ein Autor über abgetrennte und in Müllsäcken verpackte Körperteile, bricht es unisono aus der Leserschaft heraus: Das kennt man doch! Aus Bret Easton Ellis' "American Psycho".

Freunde der morbiden Satire erinnern sich: Sechs lange Jahre stand das Psychogramm des Patrick Batemann, eines androgynen 1980er-Jahre-Poppers, der aus Langeweile auf die Idee kommt, wahllos Menschen zu morden, in Deutschland auf dem Index. Und nun tritt ein englischer Debütant auf den Plan und versucht, dem Amerikaner seinen Rang abzulaufen - not very amusing.

Hat man den ersten Schock jedoch überwunden, fällt auf, dass die Ähnlichkeit der beiden Romane, allen voran ihrer Protagonisten, gar keine so schlagende ist. Zunächst: Glynns Mensch gewordener Albtraum Peter Crumb ist ein Kind der unteren Mittelschicht, ganz im Gegensatz zu Batemann, der den elitären Habitus der New Yorker upper-class auslebt. So fehlt Glynns Hauptfigur auch der amoralische Materialismus eines Batemann, Warenfetisch und Hygienekult werden in eine Ritualisierung des Ekels verkehrt. Während Patrick allmorgendlich ein ausgefeiltes Training im hauseigenen Fitnessraum absolviert, grübelt Peter über seinen sensiblen Stuhlgang und glaubt sich je nach Konsistenz desselben in einer fadenscheinigen Ausgeglichenheit: Wenn da nur nicht er wäre. Er ist Peters alter ego und hat wiederum Ähnlichkeit mit dem Es Deleuze'scher Provenienz - er fickt und scheißt. Diagnose: dissoziative Identitätsstörung, hervorgerufen durch den Mord an Emma, Peters fünfjähriger Tochter. Seither rumoren in Crumbs Körper zwei Geister.

Daraus ergibt sich in "Sieben Tage" eine besondere Dialektik von Macht und Gewalt insoweit, als dass der Gewaltausübung, die eine Installation von Macht zur Folge hat, immer ein Verlust derselben vorausgeht, nämlich der Verlust der Macht über sich selbst und sein eigenes Handeln. Dass die Kaltblütigkeit Crumbs mit derjenigen Batemanns, der aus reinem Ennui zum Schlächter mutiert, mithalten kann, sei somit bestritten.

Dem tritt hinzu, dass Crumb hin und wieder auch Allzumenschliches in seinem Wesen erblicken lässt. In der Begegnung mit der polnischen Putzfrau Milka blitzt sein latentes Harmoniebedürfnis ebenso kurzzeitig auf wie in dem Wiedersehen mit Valerie, seiner Ex. Unter der Oberfläche schwingt immer eine tiefgreifende Trauer um das verlorene Kind mit. Trotzdem lässt der Text eine simple Reduzierung von Crumbs Verhalten auf das Ausleben der Rache nicht zu. Denn ebenso wie er sich an der Demütigung seiner Opfer ergötzt, sucht er bisweilen selbst die Erniedrigung durch andere, so etwa in einer aussichtslosen Schlägerei auf der Toilette in einer Bar: "Es tat zugleich weh und nicht weh. [...] Die Schmerzen sind unwichtig. Wichtig ist die Erniedrigung. Aber mir ist es egal. Sie schlugen mich, bis sie genug davon hatten - lachend und wie im Rausch. Als sie gingen, konnte ich hören, dass die Jukebox Johnny Cash's 'Folsom Prison Blues' spielte. Ich musste lächeln, und dann verlor ich das Bewusstsein." Ergänzt wird dieser masochistische Einschlag durch Crumbs übersteigertes Schamgefühl. Alles ist ihm peinlich, er, die Blicke der Menschen, die erhoffte Nähe Milkas.

Gleichwohl verfügt Glynns Killer über eine Nonchalance, die womöglich nur noch die netten Mörder von nebenan aus Michael Hanekes Meisterstück "Funny Games" an den Tag legen: ",Kochen Sie gerade Tee?', fragte ich entzückt [...] ,Wo geht es lang? Hier durch?'" Das Resultat dieses munteren Plausches unter Nachbarn liest sich "Doppelmord in E5". Um so bizarrer, dass dieser unzuverlässige Erzähler par excellence, dieser Schizo, uns, die Betroffenen und Abgestoßenen, weiß machen will, er sei die Verkörperung unserer Gegenwart. Schlimmer noch, er will uns zu Komplizen machen, uns Mut zusprechen für eigene Schandtaten: "Sei beruhigt, lieber Leser, denn heutzutage birgt das Verbrechen für den Verbrecher kaum noch Risiken - die Wahrscheinlichkeit, dass man erwischt wird, tendiert gegen null." Tatsächlich kann es mit unserer Antipathie gegenüber derartigen Gewaltexzessen nicht so weit her sein, schließlich haben wir Glynns Debüt gelesen, ebenso wie "American Psycho" und dergleichen mehr.

"Sieben Tage" packt uns also in doppelter Hinsicht dort, wo es weh tut. Und zwar auf eine Art und Weise, die den Schmerz aushalten lässt bis zur letzten Seite. Sprachgewaltig kratzt und kritzelt Glynn das Kolorit der perfekten Verstörung aufs Blatt und liefert damit ein anspruchsvolles Gegenprogramm zur literarischen Schöngeisterei. So wurde das Debüt im vergangenen Jahr in England bereits gefeiert. Allein hierzulande wird "Sieben Tage" in Hinblick auf die reüssierenden, medial großflächig-inszenierten Tabubrüche à la Jonathan Littell und Charlotte Roche, immerhin die zwei meistbesprochenen Titel der letzten Monate, wohl weniger Wirkung entfalten können.

Dennoch muss sich dieses psychologisch feingliedrige und kurzweilige Debüt keinesfalls verstecken, auch nicht vor eingeschworenen Ellisianern und deren Bibel "American Psycho". Denn auch medienkritisch betrachtet setzt Glynn noch einen drauf. Wo die Ausbrüche Batemanns sich scheinbar im toten Winkel der Gesellschaft vollziehen, wird der Killer Crumb ganz im Gegenteil sogar unfreiwillig zum Helden, als er bei einem Busunglück ein kleines Mädchen aus den Flammen rettet und somit gewissermaßen die symbolische Auferstehung Emmas feiert. Von Besserung jedoch keine Spur. Statt dessen eine düstere Gewißheit: "Ich bin der sündige, von Gott vergessene Mensch. Ich bin der Held des 38er Busses. Ich bin der Mann, der unter euch weilt, und ich heiße Peter Crumb."


Titelbild

Jonny Glynn: Sieben Tage. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hennig Ahrens.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
263 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783100263001

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