Die Verlierer des Spiels

Tanja Langers Roman "Nächte am Rande der inneren Stadt" handelt von der Macht und den Tücken der Liebe

Von Lars ClaßenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lars Claßen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liebe, das alte Spiel: "Die meine Leidenschaft sind, stehen nicht zu mir, und ich verletze die, deren Leidenschaft ich bin." Als Quintessenz unzähliger Figurenkonstellationen zieht sich diese Tragik durch die Literatur- und Weltgeschichte. Endlos ist allein die Liste der Dramen, Romane und Gedichte, in denen Don Juan - je nach Autor und Epoche mal aus diabolischem Egoismus, mal dem Erhabenen auf der Spur - reihenweise Frauenherzen bricht, und am Ende mit dem Namen Donna Annas, seiner wahren Liebe, auf den Lippen allein stirbt. In Tanja Langers neuem Roman, "Nächte am Rande der inneren Stadt", haben wir es nun mit einer Donna Juanita zu tun, einer Verführerin also, die bezeichnenderweise den Namen Eva trägt.

Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt: Konrad verliebt sich in Eva, die beiden werden ein Paar. Nach einigen Monaten trennt sich Eva von Konrad: Er klammere zu sehr. Noch dazu verliebt sie sich in Jakob. Nachdem dieser seiner Freundin nach Australien hinterher reist, bändelt Eva mit Konrads bestem Freund Robert an und bleibt am Ende eben doch allein.

Dazwischen lässt Langer ihre Figuren im geteilten Berlin der 1980er-Jahre zahlreiche Hoch- und Tiefpunkte durchleben, die gleichzeitig die politischen Umschwünge spiegeln. "Es war die Zeit, in der Gorbatschow der NATO vorschlug, die Atomwaffen bis zum Jahr 2000 in einem Dreistufenplan abzubauen, und radikale wirtschaftliche Reformen ankündigte. Es war die Zeit, in der das Raumschiff Challenger nach dem Start explodierte und alle sieben Besatzungsmitglieder starben, darunter zwei Frauen, und die Gegner der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf von einem riesigen Polizeiaufgebot vom Platz gejagt wurden. Es war die Zeit, in der wir unendlich viel Zeit für die Liebe hatten, und das Leben."

Dass die Zeit nicht alle Wunden heilt, muss auch Konrad begreifen, dessen Erinnerungen zwanzig Jahre später die Geschichte rahmen. Er sei der eigentliche Verlierer des Ganzen gewesen, teilt er uns zu Beginn mit, jedenfalls habe er dies geglaubt, bis er Heumann traf. Tatsächlich verfügte Evas einstiger Mentor, der ebenfalls einer ihrer potentiellen Liebhaber war, aber über einen funktionierenden Selbstschutz: Treue aus Respekt vor der eigenen Eifersucht, die auch in seiner Frau ausbrechen könnte. Konrads eigene Versuche, mithilfe intellektueller Strategien zu verhindern, sich in Eva zu verlieren, hingegen scheitern. Doch damit nicht genug. Denn gerade das Scheitern ist es, was Konrad Lust bereitet, es lässt ihn über Evas andere Liebhaber triumphieren. Langer bewegt sich demnach an der Grenze, wo die Liebe zur Obsession pervertiert und wo Schmerz kultiviert und gefordert wird.

Einen anderen Blickwinkel eröffnet uns Eva. Sie begreift die Liebe als ästhetisches Konzept und ihren Körper als Mittel der Erkenntnis. Sie findet die "Institution fester Freund" bedenklich, verachtet die Liebe, wo sie Besitzansprüche auslöst. Diese anfängliche Souveränität kommt Eva abhanden, als sie Jakob trifft. Hinweg sind die Prinzipien, Offenheit und Freiheit gehen in Windeseile über Bord, um den Geliebten ganz für sich allein zu haben.

Eben hier greift nun die Tragik des lächerlichen Spiels, in dem es nach Milan Kundera um Kopf und Kragen gehe. Denn in der neuen Konstellation ist Jakob derjenige, der Liebe und Selbstbestimmung konsequent in Einklang zu bringen sucht und Eva ihrerseits das Opfer emotionaler Distanzlosigkeit. Sie liebt den, der sie verbrennt. Dass es ausgerechnet Konrad ist, der sie nach ihrem Kollaps wieder aufpäppelt, ist wenig verwunderlich, bekanntermaßen stirbt die Hoffnung zuletzt.

Dieses Mal kommt ihm sein bester Freund in die Quere, was die Erzählung zur klassischen Dreiecksgeschichte macht. Robert besitzt die Fähigkeit, andere zu verzaubern, mitunter, indem er ihnen neue Namen gibt. Dem dicklichen Herbert etwa verhilft er auf diese Weise zu mehr Selbstbewusstsein. Auch Eva erhält einen neuen Namen: Nach einer Liebschaft Kafkas tauft Robert sie Milena.

"Indem wir den Dingen Namen geben, machen wir sie uns zu eigen", schreibt Hans Blumenberg in seiner "Arbeit am Mythos", und ebenso scheint auch Roberts Verhalten motiviert. Er will Eva in die Knie zwingen, sie soll sich ihm vollends öffnen. Seiner eigenen Leidenschaft sucht er immer wieder zu entfliehen, zu sehr leide seine Freiheit unter der Bindung. Nach anfänglichem Kräftemessen kommt es zu harten Verhandlungen zwischen ihnen, in welchen Robert letzten Endes an der eigenen Courage scheitert. Sein Versuch, sich das Leben zu nehmen, verweist einmal mehr auf das Ungetüm Liebe, ihre Allmacht, ihre Tücken. All diese hat Tanja Langer gut getroffen.

Gelungen sind auch die Perspektivenwechsel, denn die Autorin hat ihren Figuren unterschiedliche Stimmen gegeben, und so zieht es den Leser in die Epizentren der Lust, des Glücks und des Schmerzes, jegliche Distanz zum Text scheint zunächst aufgehoben. Von "knappen Strichen", in denen die Autorin ihren Stoff dem Buchumschlag zufolge erzählt, kann jedoch nicht die Rede sein. Schlappe 100 Seiten weniger hätten immer noch ausgereicht, die Problematik zu entfalten, ohne dabei auf das Kolorit der "inneren Stadt" verzichten zu müssen. Stattdessen wird dieser Platz mit pseudo-klugen Aussagen à la "nichts ist schwieriger als die Liebe" oder "zur Liebe gehört die Freiheit, sonst stirbt sie" gefüllt.

So gleitet Langers Erzählung bisweilen leider vollends ins Kitschige ab, eine Gefahr, der sich Liebesgeschichten seit jeher ausgesetzt sehen: "Sie war meine Sonne, ich war ein Planet, doch unaufhaltsam flog ich aus ihrer Bahn." Noch dazu wirkt das wiederholte Abspulen diverser Kunsttheorien und philosophischer Blickwinkel zu gewollt. Schnell stellt sich hier der Verdacht ein, die Autorin wolle ihr Wissen zur Schau stellen, auch wenn die Theorieverliebtheit dem Milieu der Figuren entspringt. Es bleibt daher dabei: Weniger wäre hier deutlich mehr gewesen. Der wahre Verlierer jenes lächerlichen Spiels ist demnach letztlich ermittelt.


Titelbild

Tanja Langer: Nächte am Rande der inneren Stadt. Roman.
dtv Verlag, München 2008.
311 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-13: 9783423246590

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