Migrationsliteratur?

Karin Hoffs Band "Literatur der Migration - Migration der Literatur" bündelt Texte zur Bewegung innerhalb der Literatur in Folge von Migrationsprozessen

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Migrationsliteratur - ein Begriff, der besonders seit den 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts in aller Munde ist, um diejenige Literatur zu bezeichnen, die von Autoren geschaffen wurde, die aus einem anderen Land stammen als dem, in dem sich ihr gegenwärtiger Lebensmittelpunkt befindet. Diese Bezeichnung kann allerdings nicht zur Gänze ausdrücken, was sich hinter diesen literarischen Texten verbirgt und kann aufgrund seiner Unschärfe oft sogar eine falsche Fährte legen. Impliziert der Begriff 'Migrationsliteratur', dass diese Art Literatur von Autoren geschrieben wurde, die ihre Heimat verlassen haben und nun woanders ihr Zuhause gefunden haben? Fallen hierunter sowohl Autoren, die ihre heimatliche Umgebung freiwillig hinter sich gelassen haben oder auch solche, die als politische Flüchtlinge in ein fremdes Land kamen? Und wie steht es um Schriftsteller der zweiten und dritten Generation von eingewanderten Personengruppen? Deutet die Bezeichnung 'Migrationsliteratur' vielleicht an, dass es sich hierbei um Literatur handelt, die sich implizit und explizit mit den Prozessen der Migration und der Diaspora sowie des Exils beschäftigt und diese als Thema aufnimmt? Oder aber darf sich nur Literatur unter dieser Genrebezeichnung sammeln, die beide Forderungen erfüllt - also die erstens von Migranten geschrieben wurde und zweitens auch das Thema der Migration in allen erdenklichen Formen behandelt? Wobei hier die nächste Frage auftritt: Kann man bei 'Migrationsliteratur' von einem eigenständigen Genre sprechen oder stellt sie nur eine Facette der postmodernen Literatur dar? Und vor allem: In welchen Kontext kann diese 'Migrationsliteratur' eingeordnet werden? Sollte sie exkludierend als eine andere, aparte Literatur innerhalb des nationalen Kanons oder integrativ als Teil der nationalen Literatur aufgefasst werden?

Solchen Fragen widmet sich der von Karin Hoff herausgegebene Band "Literatur der Migration - Migration der Literatur", der die im Jahr 2006 bei einem Symposion an der Skandinavistischen Abteilung der Universität Bonn vorgestellten Beiträge bündelt. Am Beispiel des deutsch-schwedischen Kulturaustausches werden die Geschichte, die Voraussetzungen und die Chancen der literarischen Migrationen sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext besprochen. Dies sind in erster Linie "ästhetische und insbesondere literarische Herausforderung[en], [...] Möglichkeit[en], den ästhetischen und politischen Kontext zu beschreiben und zu problematisieren, als ästhetisches Experimentierfeld [zu fungieren] sowie [einen] Beitrag zu einem neu zu definierenden Begriff von 'Weltliteratur'" zu leisten. Auch Verschiebungen des Begriffs der Nationalliteraturen werden anhand von literarischen Beispielen aus Schweden und Deutschland diskutiert. Behandelt wird Prosa wie Poesie, aber auch Reportagen und Reiseberichte finden ihren Platz in diesem Band. Dabei geht es den Autoren weniger darum, die definitive Antwort auf die aufgeworfenen Fragen zu liefern, als vielmehr um die Bemühung eine ernsthafte Diskussion über die angesprochenen Probleme zu entfachen, infolge derer sich eine tiefgreifende Änderung in der Behandlung der Literatur von Allochthonen ergeben soll. Hierbei wird das behandelte Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, kommen doch sowohl Kultur- und Literaturwissenschaftler als auch Kulturvermittler und Autoren zu Wort. Danach werden viele Aspekte der Problematik angeschnitten und es ergibt sich ein breites Spektrum an Anknüpfungspunkten. Der Sammelband liefert einen wertvollen Beitrag zur noch immer bestehenden Debatte rund um den veränderten Status von Literatur im Zuge von Migration und Diaspora, der viele Denkanstöße auf dem literatur-, aber auch auf dem kulturwissenschaftlichen Sektor bieten dürfte. Eingeleitet wird der Band durch einen literarischen Text des Schriftstellers Aris Fioretos, der selbst als 'kultureller Grenzgänger' bezeichnet werden kann, was ein äußerst passender Einstieg für die folgenden Debatten ist.

Als im Hinblick auf die Zukunft der Literatur sehr interessant und relevant sei der Beitrag der Literaturwissenschaftlerin Anne-Bitt Gerecke erwähnt, der das Online-Magazin "litrix.de", das sich um die internationale Vermittlung deutscher Gegenwartsliteratur bemüht, vorstellt. In der Form von Übersetzungen und Begegnungen von Literaten und Künstlern unterschiedlicher Sprachen und Kulturen wird ein dynamischer Austausch zwischen den Kulturen ermöglicht. Dieses Projekt steht als Beispiel für die Art und Weise, wie die Vermittlung von Kunst und Literatur scheinbar verankerte Stereotypen aufheben kann, so dass Grenzen überwunden und ein neuer Ansatz von Weltliteratur geschaffen werden kann. Dieser Ansatz deckt sich mit den Zielsetzungen des vorliegenden Bandes, denn: "Literatur ist immer in Bewegung gewesen und bewegt sich - unabhängig davon, ob ihre Verfasser Migranten sind oder nicht."


Titelbild

Karin Hoff (Hg.): Literatur der Migration - Migration der Literatur. Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik. Bd. 57.
Herausgegeben von Heiko Uecker.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
124 Seiten, 27,50 EUR.
ISBN-13: 9783631567494

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