Schriftsteller, Einzelkämpfer und russischer Patriot

Zum Tode von Alexander Solschenizyn

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Als Solschenizyn im Frühjahr 1994 im Alter von 75 Jahren wieder in seine russische Heimat zurückkehrte, bedankte er sich in seinem Abschiedsgruß an die Einwohner in Cavendish: "Ich habe hier fast achtzehn Jahre gearbeitet und dies war die produktivste Schaffenszeit in meinem Leben. Ich habe hier alles tun können, was ich mir vorgenommen habe".

Doch Anfeindungen und Attacken hatten auch im Westen nicht lange auf sich warten lassen. In gewohnt streitbarer Manier hatte sich Alexander Solschenizyn in unzählige Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern, denen er sich zu seinem Leidwesen von verschiedenen Richtungen gleichzeitig ausgesetzt sah, herumgeschlagen. In der Sowjetunion hatte der allmächtige KGB noch eine Rechnung mit ihm offen und ließ in seinem Bestreben nicht nach, seinen Ruf weltweit zu schädigen. Die Veröffentlichung des "Archipel Gulag" hatte unzähligen namenlosen Opfern ein weltweites Gehör verschafft und den menschenverachtenden Charakter des "real existierenden Sozialismus" dokumentiert. Im Alleingang hatte Solschenizyn ein scheinbar allmächtiges System bloßgestellt.

Die Methoden des KGB standen jenen der DDR-Staatssicherheit in nichts nach. Die Richtlinie Nr. 1/76 des Ministeriums für Staatssicherheit enthielt Vorgaben zur "Zersetzung" des ideologischen Gegners wie die "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben".

Das kam manchen Medien im Westen und mehr noch manchen Publizisten gerade recht. Solschenizyns unnachgiebige Art und Weise, auf die Verfolgungen in der Sowjetunion und in den Ländern des "real existierenden Sozialismus" hinzuweisen, störte die Kreise der Entspannungsoptimisten.

Solschenizyn litt unter der Gleichsetzung von "Russland" und dem "Kommunismus". Er musste einsehen, dass es seine "Kräfte überstieg, dem Westen begreiflich zu machen, daß zwischen Rußland und dem Kommunismus ein ähnliches Verhältnis bestand wie zwischen einem Erkrankten und seiner Krankheit".

Wiederholt hatte Solschenizyn für seine Situation das Bild verwendet, zwischen zwei Mühlsteinen, dem Westen und dem Osten, zermahlen zu werden: "Und was die Emigranten der dritten Welle betraf, so waren sie das zuverlässige Verbindungsstück zwischen dem sowjetischen und dem westlichen Mühlstein, indem sie fleißig immer wieder ihr ,Monarchist, Theokrat, Fanatiker' beisteuerten". In seiner Untersuchung "Zweihundert Jahre zusammen" hatte Solschenizyn zur Wahrnehmung geschichtlicher Verantwortung aufgerufen: "Reue, und zwar beiderseitige Reue für wirklich alles, was geschehen ist, wäre der sauberste und reinigendste Weg. Ich werde nicht aufhören, die Russen dazu aufzurufen. Und ich rufe die Juden dazu auf, aufrichtig auf das gesamte Ausmaß des frühsowjetischen Terrorapparats zurückzublicken".

Dass gerade er sich einem geradezu kampagnenhaften Vorwurf des "Antisemitismus" ausgesetzt sah, hat Solschenizyn tief getroffen. Er stellt ausdrücklich fest, dass es Antisemitismus "in keinem Buch, das des Ranges eines literarischen Werkes würdig ist" gibt und geben kann.

In der Wochenzeitung "Die Zeit" war Solschenizyn im November 1990 von Fritz J. Raddatz als Ayatollah tituliert worden. Solschenizyn hatte soeben sein Manifest "Rußlands Weg aus der Krise" veröffentlicht, das in der "Komsomolskaja Prawda" in Millionenauflage verbreitet und von Raddatz "mit wachsendem Zorn" gelesen wurde. Solschenizyns Sünde war, dass er auch das gesellschaftspolitische System im so genannten kapitalistischen Westen nicht kritiklos zur Kenntnis genommen hat. Vehement warnte er Russland davor, lediglich die negativen Seiten des Westens kritiklos zu kopieren. Solschenizyn betrachtete sich nicht als Nationalisten, sondern als russischen Patrioten, verwurzelt in der tiefen Frömmigkeit der russischen Orthodoxie. Eine solche Haltung schützt freilich nicht automatisch vor Fehleinschätzungen und lässt dennoch große Leistungen zu. Als streitbarer Geist und unbequemer Zeitgenosse hat sich Alexander Solschenizyn, einzig seinem Gewissen und seiner Liebe zur Heimat unterworfen, in die Geschichte und die Literatur seiner russischen Heimat eingeschrieben.

Am 03. August 2008 ist Alexander Solschenizyn in Moskau verstorben.