Geschlechterdifferenzen in Film und Psychoanalyse

Matthias Kraus zur "Psychoanalyse des Geschlechterverhältnisses in der Spätmoderne"

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Später wird man sagen: Die Psychoanalyse und der Film waren die für das 20. Jahrhundert wichtigsten Erfindungen. In beiden geht es um Differenzen zwischen Bildern, um die Konstitution von Identitäten in Form immer feiner ausdifferenzierter Selbst- und Fremdbilder. Drastischer formuliert: Psychoanalyse und Film ließen das Verhältnis zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Anderem, zwischen Wirklichkeit und Bild, zwischen Frauen und Männern, Frauen und Frauen, Männern und Männern ex- bzw. implodieren. Jede Beschreibung dieser vielfältigen, differentiellen Beziehungen sieht sich indessen mit dem Problem konfrontiert, dass sie ihren eigenen repräsentativen Status nicht hintergehen kann. Daraus ließe sich die Forderung ableiten, die Sprach- bzw. Repräsentationskritik müsse sich stets in einer Selbstreflexion des eigenen Diskurses manifestieren. Zumindest im Medium der Sprache ist dies allerdings so schwierig, dass es praktisch niemandem gelingt (Gegenbeispiele wären etwa Wittgenstein und Derrida).

Die Alternative besteht darin, diese differentiellen Beziehungen im Medium der Sprache möglichst differentiell zu entfalten, wozu cultural -, gender- bzw. queer-studies einen wichtigen Beitrag liefern, und so auch der vorliegende Reader. Autoren sind Literatur- und Sozialwissenschaftler sowie Psychologen. Der gesamte zweite Teil des Bandes widmet sich konkreten Fragen der Darstellung, allerdings vor allem in literarischen Texten, Oper und Theater, jedoch nicht im Film. Das geht in Ordnung, nur fragt man sich, was in diesem Zusammenhang Ulrike Prokopps Aufsatz zur Talkshow "Arabella" im ersten, theoretisch-methodischen (und mit Fallstudien angereicherten) Teil zu suchen hat, geht es in "Arabella" doch dezidiert um die Konstruktion medialer Identitäten. Dass der Text aus medienwissenschaftlicher Perspektive methodisch zumindest bedenklich ist, steht hier eigentlich nicht zur Diskussion, gravierend ist jedoch, dass die televisuelle Repräsentation von Identitäten gar nicht als solche (nämlich als mediale) thematisiert wird. Indessen scheint sich hier ein generelles Dilemma der deutschen gender studies zu manifestieren, was bereits der Untertitel des Buchs ausdrückt: "Zur Psychopathologie des Geschlechterverhältnisses in der Spätmoderne". Statt des modischen "Postmoderne"-Begriffs wählten die Herausgeberinnen das Label Spätmoderne. Was sich aber als Perspektive historischer Kontinuität tarnt, markiert in Wahrneit ein viel schärferes Oppositions- - und gerade nicht: Differenz-Verhältnis -, als dies der Terminus Postmoderne suggerieren könnte. Spätmoderne bedeutet ja, dass diese irgendwann zu Ende ist und dann von etwas definitiv "Anderem" ersetzt wird. Dieses Denken in Oppositionen schleppt sich auch durch die Fokussierungen des ersten Buchteils ("Arabella"-Teil), nimmt dieser doch vor allem altbekannte Themen wie Emanzipation der Frau, Familie, Frauen nach der Lebensmitte (also dezidiert "weiblich" konnotierte Themen) in den Blick. Einzelne Beiträge widmen sich aber auch Themen wie Interkulturalität, Körper, Borderline-Symptomatik bei Kindern und Ethnopsychoanalyse und eröffnen so Anschlüsse an aktuelle Diskurse.

Titelbild

Hildegard Lahme-Gronostaj / Marianne Leuzinger-Bohleber (Hg.): Identität und Differenz. Zur Psychoanalyse des Geschlechterverhältnisses in der Spätmoderne.
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000.
350 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 3531134833

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