Taliban und Popmusik

Alfred Hackensberger kämpft gegen das alltägliche Unwissen über den Islam

Von Marcus Andreas BornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Andreas Born

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Demokratie, Fortschritt und die Emanzipation der Frau sind mit dem Islam unvereinbar. Muslime sind Antisemiten und die Kaaba in Mekka ist islamischen Ursprungs. Diese und andere der zahlreichen "Vorurteile, Halbwahrheiten und Missverständnisse", die sich trotz intensivierter Wahrnehmung des Islams nach dem elften September allgemeiner Beliebtheit erfreuen, sollen im "Lexikon der Islam-Irrtümer" geklärt werden.

Der Band tritt im Programm des Eichborn-Verlages neben andere Irrtums-Lexika wie das Lexikon der Ökoirrtümer, der Medizinirrtümer und das der populären Irrtümer. Er soll "ein Beitrag zur Klärung der ,perspektivischen Verzerrungen' sein, mit einem offenen Blick auf die Religion des Islams, die Menschen und ihre Kultur in muslimischen Ländern". Einer der behandelten "klassischen" Irrtümer ist die Gleichsetzung von Arabern und Moslems im "Westen", der im Lexikon deutlich widersprochen wird: "Nur knapp ein Fünftel der derzeit weltweit geschätzten 1,6 Milliarden Muslime sind Araber". Dass es auch Angehörige der jüdischen, christlichen, drusischen und anderer Religionsgemeinschaften in der arabischen Region gibt, wird in den Pauschalurteilen über "die Araber" selten beachtet. Ein weiteres Vorurteil, über das Alfred Hackensberger informiert, ist, dass terroristische Aktionen angeblich von der Mehrheit der Muslime befürwortet würden. Zwar hat es direkt nach dem elften September große Sympathien für Osama bin Laden und die Al-Qaida gegeben, diese sind aber schon längst geschwunden: "Muslime mussten feststellen, dass der vermeintliche Kämpfer für Gerechtigkeit und für den Islam ein gewöhnlicher Terrorist ist, der keine Moral kennt".

Weit ab davon, eine bloße Auflistung der Irrtümer zu leisten, die über den Islam verbreitet sind, wendet sich der Autor auch den Vorurteilen zu, die von islamischer Seite aus gehegt werden. So weist er darauf hin, dass das oftmals bemühte Bilderverbot nicht im Koran zu finden ist, sondern in den Hadithen, den Überlieferungen über den Propheten Mohammed. Die Weisung, keine Bilder anzufertigen, bezieht sich auf den religiösen Bereich und wird - wie bei den Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen - häufig für bestimmte Machtinteressen instrumentalisiert: "Man kann davon ausgehen, dass islamistische Organisationen die Situation für sich ausnutzen, um Demonstrationen zu veranstalten und ihre Anhänger zu mobilisieren".

Dadurch, dass Hackensberger als Journalist in Marokko lebt, wird sein Faktenwissen durch bedeutende Einblicke in das Alltagsleben eines muslimisch geprägten Landes erweitert. Dies führt aber auch dazu, dass seine Sympathien an einigen Stellen deutlich hervortreten, wenn er zum Beispiel bei der Kontroverse über die Gefahr einer Islamisierung Deutschlands Ralph Giordano angreift, der sich gegen den Bau einer Kölner Moschee ausspricht. Ebenso drängt sich Persönliches in den Vordergrund, wenn er eigene Erfahrungen mit dem Einwanderungsverfahren in Marokko vergleicht - es wird sich hier keinesfalls um eine spiegelbildliche Relation handeln. Dies kann jedoch den Wert des Textes kaum herabmindern, in dem komplexe Sachverhalte, die die Diskussion in Deutschland mitbestimmen und über die Unklarheit herrscht, in einfacher Sprache sachkundig dargestellt werden.

Wenn die Beschäftigung mit dem Islam hierzulande meist vor dem Hintergrund einer Angstkulisse zustande kommt, stellt sich der Autor die Aufgabe, zu zeigen, dass der Islam keinesfalls nur aus diesen Spitzen der journalistischen Aufmerksamkeit besteht. Er betont, dass es zwar extreme Positionen im Islam gibt, diese aber keinen Zuspruch von der Mehrheit der Religiösen für sich beanspruchen können. Das Reden über eine Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist auch in Deutschland zur Begleiterscheinung einer Politik geworden, die Fiktionen anführt, um Fakten zu schaffen. Aufklärung ist hier nach wie vor notwendig. Man fragt sich, warum ein Text wie das Lexikon der Islamirrtümer erst in diesem Jahr erschienen ist.


Titelbild

Alfred Hackensberger: Lexikon der Islam-Irrtümer. Vorurteile, Halbweisheiten und Missverständnisse von Al-Qaida bis Zeithehe.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
274 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821856742

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