Vergessene Frauen
Über das Lexikon der 1000 Frauen
Von Mirja Stöcker
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass die meisten Konversationslexika auch heute noch "männerlastig" sind, steht außer Frage. Wer gegenläufig zum Kanon auch literarische Texte von Autorinnen nicht außer Acht lassen will, muss über die üblichen Literaturgeschichten und -lexika hinaus zu Frauenliteraturgeschichten greifen, um dort nach oft zu Unrecht missachteten und längst vergessenen Namen und Werken zu suchen. Aber auch in den anderen Kulturwissenschaften, Naturwissenschaften, in Wirtschaft und Politik und auch in weniger öffentlichen Räumen haben Frauen in der Geschichte Leistungen vollbracht, die in der Regel nicht gewürdigt werden. Mit dem "Lexikon der 1000 Frauen" möchten Ursula Köhler-Lutterbeck und Monika Siedentopf einen Beitrag dazu leisten, an einige der "großen" Frauen der Geschichte zu erinnern.
Die Betonung muß allerdings wirklich auf "einige" liegen, denn ausgewählt wurden lediglich 1000 Biographien von Frauen aus dem deutschsprachigen Raum, d. h. aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Thematisch ist die Auswahl ansonsten breit gefächert: Von Schriftstellerinnen, Widerstandskämpferinnen, Frauenrechtlerinnen und Wissenschaftlerinnen über Unternehmerinnen, Politikerinnen und Künstlerinnen bis hin zu Salondamen und Mystikerinnen sind hier alle Arten von weiblichen Persönlichkeiten zu finden. Edith Stein, Lou Andréas-Salomé und Helene Deutsch finden ebenso Erwähnung wie Marlene Dietrich, Hildegard von Bingen, Anna Göldin, die letzte zum Tode verurteilte "Hexe" Europas, oder Margarethe Steiff, die Erfinderin der noch heute so beliebten Stofftiere.
Eingrenzungen müssen natürlich vorgenommen werden, wenn ein Nachschlagewerk überschaubar und vor allem auch erschwinglich bleiben soll. Die starke Einschränkung auf die deutsche Sprache lässt jedoch zahlreiche wichtige Biographien vermissen, so dass sich das Lexikon allein für kulturwissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser nur sehr begrenzt als "wertvolle Hilfe bei der Suche nach Daten und Informationen" nutzen lässt, wie das Vorwort verspricht. Die größtenteils sehr knapp gehaltenen Biographien bleiben zwangsläufig oberflächlich, jedoch liefern Literaturhinweise Quellen für umfangreichere Recherchen. Während die geringe thematische Eingrenzung also einerseits Tiefe verhindert, ermöglicht sie andererseits sehr unterschiedliche Perspektiven. Die sehr verschiedenen Biographien verdeutlichen, auf wievielen Wegen selbstbestimmtes Engagement von Frauen gezeigt wurde. Die Architektin Lux Guyer beispielsweise setzte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz für die Selbstbestimmung der Frau ein, indem sie die ersten Einzimmerwohnungen für allein lebende, berufstätige Frauen entwarf. Dies schuf Raum für alle Frauen, die sich bis dahin in von Männern unterhaltenen Haushalten einfügen mussten, sich eine eigene Existenz aufzubauen.
Zu empfehlen ist das "Lexikon der 1000 Frauen" also nicht für die detaillierte Informationssuche oder gar Vertiefung, sehr wohl aber zum Stöbern und zum Sammeln von Anregungen. Da tauchen Namen auf, die man zwar schon gehört hat, jedoch nicht recht einzuordnen wusste, und auch darüber hinaus lässt sich so manche interessante Neuigkeit in Erfahrung bringen.
Ein Auswahlkriterium bleibt jedoch nachhaltig unverständlich: Warum finden nur tote Frauen Eingang in das Lexikon?
|
||