Fernost von klassisch bis modern

Echte chinesische Bilderbücher von Chen Jianghong und sinophile von Passacantando

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kinder ohne Eltern sind für andere Kinder Schrecken und Lockung zugleich, sie stehen für die existenzielle Angst, elterliche Fürsorge und Sicherheit zu verlieren, aber auch für die Möglichkeit der Befreiung von elterlicher Bevormundung. In allen dreien der hier vorgestellten Bilderbücher geht es um Kinder ohne Eltern. In solchen Geschichten können Kinder sowohl die Angst als auch den Kitzel virtuell durchspielen.

Der Junge, der später "Junger Adler" heißen wird, wird von einem alten Mann in der Natur gefunden. Der alte Mann, so stellt sich heraus, ist ein Kung-Fu-Meister, der den Jungen über viele Jahre in die Kampfkunst unterweist, bis sie zusammen den gemeinsamen Feind besiegen. Der alte Meister stirbt an seinen Verwundungen auf dem Schlachtfeld und entschwebt auf den Schwingen seines Adlers ins Jenseits, Junger Adler tritt das Erbe seines Meisters und Ersatzvaters an.

Lian ist ein Mädchen, das auf wundersame Weise einen Vater findet. Ein armer Fischer bringt trotz eines schweren Unwetters eine alte Frau auf die andere Seite des Sees, die sich dafür mit einer Handvoll Samenkörnern bedankt. Aus diesen Samen wächst in wenigen Stunden ein ganzes Feld von riesigen Lotosblumen. In einer der Blüten lebt das Mädchen Lian, die mit ihrem Zauberlotos materiellen Reichtum herbeizaubert. Davon erfährt leider auch der Präfekt, der den Fischer gefangen nimmt. Um den Fischer zu befreien, verwandelt Lian verschiedene Gebrauchsgegenstände in Gold, um den Präfekten zufrieden zu stellen. Nur seine Tochter will den Zauberlotos an sich reißen und wird so selbst zur Goldstatue. Der Zauberlotos hat seine Zauberkraft verloren und auch Lian ist zu einem normalen Mädchen geworden, die nun mit dem Fischer arm aber menschlich und zufrieden lebt.

Das Panda-Mädchen wird von einem Pandabären in der Natur gefunden und aufgezogen. Verantwortungsvoll gibt die Panda-Mutter ihre menschliche Tochter zur rechten Zeit bei einem Mönch in die Schule. Nach vielen Jahren kehrt das Panda-Mädchen zu seiner Mutter zurück, die inzwischen ein Panda-Kind hat und weiß, dass sie bald sterben wird. Wie versprochen kümmert sich die junge Frau um ihre Stiefschwester.

Die elternlosen Kinder, von denen erzählt wird, sind ohne Vorgeschichte, man weiß nicht einmal, warum sie Waisen sind. Junge Leser finden und erfinden sich in deren Schicksal eine eigene Geschichte in einem Horizont jeneits der Familie. Durch die abwesenden Eltern ist das Thema Tod immer schon - wenn auch unartikuliert, als nicht erzählte Geschichte - präsent und spielt auch in der erzählten Geschichte eine wesentliche Rolle. Bei Passacantando wird er nicht gezeigt, hat aber, im Vergleich zu Chens Büchern, eine ungleich intensivere Wirkung. Obwohl Passacantandos Zeichnungen heller und freundlicher sind, empfindet das betrachtende Kind den Tod hier als schlimmere Erfahrung, weil es emotional stärker eingebunden wird. Die Identifikation des Betrachters mit den Bildern ist bei diesem Buch eher möglich, vielleicht unumgänglich, weil der Tod in einen Kuschelrahmen eingefasst ist: der Panda und das Mädchen, das sind Familie, Lieblingstier und Stofftier auf einmal.

"Das Panda-Mädchen" ist nur die Geschichte selbst. Chens Erzählungen laden also nicht so sehr zur Identifikation ein, weil sie eher als Märchen und Fabel verstanden werden können. Sowohl seine literale wie seine visuelle Erzählweise ist wesentlich archaischer, ja atavistischer. "Junger Adler" erzählt eine typische Kung-Fu-Geschichte, puristisch und ohne Schnörkel, "Lian" variiert eine Parabel über den Umgang mit Reichtum, wie man es von der Geschichte um König Midas her kennt. Seine Bilder sind für Kinderbücher unüblich und ragen deswegen aus der Masse heraus; sie sind einfach nicht so nett. Zwar sind sie farbenprächtig, gleichzeitig aber auch relativ dunkel. Die stilisierte ostasiatische Landschaft oszilliert, wie üblich, zwischen schroffer Feindseligkeit und Beschaulichkeit, sieht aber immer domestiziert aus. Die Gesichter der Personen sind erfreulich untypisch, das heißt realistisch, ernst und wenig freundlich. Ernst ist auch die Handlung, Gewalt, Blut und Tod kommen vor und werden entweder gezeigt, oder nur als dramatisches Mittel eingesetzt. Auf Gespräche über Tod und Verlust muss sich gefasst machen, wer mit seinem Kind das "Panda-Mädchen" liest, nicht die Geschichten Chens.


Titelbild

Chen Jianghong: Junger Adler.
Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
40 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3895651753
ISBN-13: 9783895651755

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Boris J. Passacantando: Das Panda-Mädchen.
Baumhaus Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
48 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783833904998

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Chen Jianghong: Lian.
Übersetzt aus dem Chinesischen von Erika und Karl Klewer.
Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
40 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783895651847

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