Role Model im ewigen Eis

Steve Lieber und Greg Rucka zeigen in "Whiteout", was Unterhaltung kann

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Suck my dick!", brüllt die dekorativ blutende kahlgeschorene Demi Moore alias G.I. Jane im gleichnamigen Film von Ridley Scott ihren besiegten Ausbilder an, der seinem Team erfolglos mit Gewalt beweisen wollte, dass Frauen bei den Marines nichts verloren hätten. Reicht es nicht, wenn Frauen in Männerdomänen erfolgreich sind - müssen sie dafür das Mann-sein auch so weit verinnerlicht haben, dass sie sich selbst als Schwanzträger wahrnehmen? Oder müssen sie nicht wenigstens Lesbe sein? Das bestätigte dann männliche Vorurteile und würfe voyeuristischen Gewinn ab.

Auch Carrie Stetko, die Hauptfigur in der graphic novel-Reihe "Whiteout", muss sich in einer Männerwelt behaupten. Sie ist U.S.-Marshall in den Forschungsbasen der Antarktis, und deren Besetzung besteht eben nicht aus sexuell eher desinteressierten, nur der Sache verpflichteten Wissenschaftlern, sondern vornehmlich aus Männern. Die heterosexuelle Männerwelt ist immer eine Welt sexuellen Notstands; dies ist ihre Definition, ihr Bestehensgrund und ihr Motor, ihr Ziel ebenso wie das, wovor sie flüchtet.

In den Camps der Antarktis leben einige hundert Menschen in einer (wenn auch selbstgewählten) Zwangssituation auf engstem Raum, zum Schutz vor der extrem feindlichen Natur aufeinander angewiesen und gleichzeitig einander abstoßend. Aber nicht nur das Eis und der Sturm draußen sind tödlich, in den Camps sind auch Mörder unterwegs, und diese Morde soll Stetko im ersten Band aufklären. Der erste Band sei als "Detektivgeschichte" konzipiert, schreibt Autor Rucka im Interview im zweiten Band, der zweite als "Actionfilm" - passend wird eine filmische Adaption unter der Regie von Dominic Sena mit Kate Beckinsale in der Hauptrolle im nächsten Jahr in die Kinos kommen.

Der Camp-Horizont öffnet sich und Stetko muss hinaus aufs Eis, um Atombomben-Diebe zu fangen. Und dabei hat sie mit ihren männlichen Kollegen bereits genug zu tun. Ständig muss sie hinnehmen, dass diese sich das Maul über sie zerreißen, muss sie deren anzügliche Blicke, Gesten und Bemerkungen ertragen. Aber sie versteht zu kontern, sie ist tough, smart, intelligent und durchsetzungsfähig. Auch wenn man sie mit der ,weichen Seite' der Weiblichkeit identifizieren möchte, entzieht sie sich dieser Identifikation. "Mein Bauch und ich reden nicht mehr", erwidert sie, als sie von einem männlichen Kollegen nach ihren Vermutungen im Mordfall gefragt wird.

Es gibt auch eine Sexszene, eine heterosexuelle, und die ist diskret und deutlich zugleich und dient sogar dazu, die Charakterisierung Stetkos noch weiter zu nuancieren. Sie ist kein Oberweitenmutant mit Knarre; sie ist ein Mensch mit sexuellen Bedürfnissen, aber nicht ausgestellt sexy. Nicht zuletzt hat sie eine dunkle Vergangenheit, von der jeder mehr oder weniger weiß. Wahrscheinlich lassen die Männer schon deshalb lieber die Finger von ihr.

Wer tatsächlich immer noch die Vorurteile gegenüber Comics hat, mit denen die Autoren und Zeichner von graphic novels gerne kokettieren, um ihre Werke umso strahlender als Kulturgut darstellen zu können, der wird sie in "Whiteout" zunächst bestätigt sehen: In schwarz-weißen Abbildungen kommt man schmutzig und brutal zur Sache. Spätestens aber nach den ausführlichen Interviews mit Autor und Zeichner wird man "Whiteout" mit anderen Augen sehen und bemerken, dass Lieber, wie Rucka betont, tatsächlich ein Zeichner ist, der "erst zum Stift greift, wenn er etliche Stunden nachgedacht hat." Selten hat man Menschen getroffen, die dermaßen reflektiert über ihr Werk sprechen und auch richtig begründen können, warum sie so verfahren, wie sie es tun. Und dies merkt man "Whiteout" auch an: Die Dialoge sind gut, schnell, treffsicher und haben das richtige Timing. "Die Geschichten", so Rucka im Interview, "sollen den Leser ansprechen, ihn im Idealfall unterhalten und eine emotionale Wirkung hervorrufen"; ihm ist am wichtigsten, dass er ihnen "nicht im Weg steh[t]". Die story ist stets in Einheit mit Panelfrequenz und -größe, Beleuchtung und Einstellung auf den Punkt genau erzählt. Selten auch lernt man einen männlichen Autor von hard boiled-Geschichten kennen, der über sich selbst sagt, dass er sich "schon immer eher mit der weiblichen Sichtweise identifizieren [konnte] als mit der männlichen", und der dann auch noch jeden Essentialismus vermeidet. Welches Geschlecht auch immer seine Sichtweise haben mag - sie ist eine gute.


Kein Bild

Greg Rucka: Whiteout.
Zeichnungen von Steve Lieber.
Cross Cult Verlag, Asperg 2007.
130 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783936480801

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Greg Rucka: Whiteout: Melt.
Zeichnungen von Steve Lieber.
Cross Cult Verlag, Asperg 2008.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783936480818

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch