Weiblichkeitsbild im Roman des 19. Jahrhunderts
Waltraud Zulegers Untersuchung eines Weiblichkeitsbildes in der epischen Literatur
Von Andrea Zenzen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Dissertation von Waltraud Zuleger untersucht ein Weiblichkeitsbild in der epischen Literatur des 18. Jahrhunderts: das Bild der Starken Frau. Was zeichnet die Starke Frau aus, welche besonderen Eigenschaften können ihr im Gegensatz zu anderen Frauentypen in der Literatur zugeschrieben werden? Anders als bei anderen literarischen Frauentypen wie der Femme fatale, der Femme fragile o.ä. liegt zum Typ der Starken Frau noch keine umfassende Untersuchung vor, was den Einstieg ins Thema erschwert.
Nach Zuleger zeichnet sich die Starke Frau durch verantwortungsbewusstes Handeln aus, was besonders in Krisensituationen zum Tragen kommt. Ein weiteres Charakteristikum ist überlegtes und kalkuliertes Handeln, womit nicht gemeint ist, dass sie unfehlbar sei, denn eine ungünstige Entscheidung gibt ihr die Chance, aus dieser Situation gestärkt hervorzugehen. Es werden noch weitere Eigenschaften der Starken Frau untersucht, wobei in der Analyse ein besonderes Augenmerk auf Konfliktsituationen und auf die Schlusssituation gelegt wird, denn erst am Ende stellt sich heraus, ob sich die Starke Frau als stark bewährt.
Neben dem Grundtypus der Starken Frau sind verschiedene, ähnlich gelagerte Variationen feststellbar. Die Protagonistinnen in den untersuchten Romanen kommen in ihren Grundzügen zwar dem Typus der Starken Frau nahe, aber sie können sich, wie beispielsweise Fenia in Lou Andreas-Salomés Erzählung "Fenitschka", am Schluss nicht eindeutig entscheiden. Die Studentin Fenia steht vor der Entscheidung, ob sie ihre persönlichen Lebensvorstellungen, zu denen Karriere und Unabhängigkeit gehören, verwirklichen soll oder ob sie den Heiratsantrag ihres Liebhabers annehmen soll. Sie entscheidet sich gegen eine Ehe und für sich selbst, scheitert aber als starke Frau, weil sie ihrem Liebhaber ihre Ablehnung nicht erklären kann.
Die Autorin befasst sich in ihrer Untersuchung mit deutschsprachigen Romanen, Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Als Beispiele seien Marie von Ebner-Eschenbachs "Bozena", "Maslans Frau" und "Wieder die Alte", sowie Louise von Francois' "Die letzte Reckenburgerin" genannt.
Gerade das Heranziehen von Werken eher unbekannter Autorinnen ist ein positives Merkmal dieser Arbeit, denn es sind die männlichen Romanschriftsteller des 18. Jahrhunderts, deren Werke heute bekannt sind. Dabei gab es doch, wie die Untersuchung zeigt, zahlreiche weibliche Autoren, die Werke mit interessanter Thematik geschrieben haben.
Problematisch, aber durchaus notwendig ist die große Anzahl an untersuchten Werken, was nur bei Kennern des 18. Jahrhunderts nicht zu Verwirrung führen kann. Denn obwohl von allen untersuchten Romanen eine kurze Inhaltsübersicht geliefert wird, trägt die ausschliessliche Nennung des Vornamens der Protagonistin bei über dreissig untersuchten Texten nicht eben zur Übersichtlichkeit bei.