Faszinierende Fantasiereise im Leuchtkäferlicht

Angelika Rainers Debüt "Luciferin"

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angelika Rainer legt mit "Luciferin", ihrem Buchdebüt, ein wahrlich außergewöhnliches Werk vor. Es ist die Geschichte von Lucy, einer kleinwüchsigen Aussätzigen, die stiehlt, nicht lesen kann, "wie das Vieh" haust und in ihrem Schuppen Feuer legt. Lucy wird ausgestoßen, lebt in den Wäldern. Der Winter ist dunkel und hart, Torf glimmt und spendet ihr Wärme in ihrer Alpenenklave. Lucy sehnt sich nach Licht und träumt sich in die Ferne, das Gesicht an das kalte Glas des Fensters ihrer Hütte gepresst.

Es wechseln die Perspektiven, die Sprecher und die Angesprochenen. Die Worte schwingen sich empor und nehmen uns mit auf eine Fantasiereise durch Länder, die es nicht gibt, durch die Zeit und in Träume voll von teils gewaltig schäumender, dann wieder leiser und bedächtiger Musik. Wirbelnd fliegt der Leser in die Genesis vom Anbeginn der Zeit, der sich abkühlenden Gesteinsrinde auf Feuersglut hin zum Eis eines unbekannten Landes. Sonnenfeuer toben, schwarze Wolken verdunkeln den Flug. Hitze und Kälte, Liebe und Tod - es sind die Gegensätze, die Lucy in die Einsamkeit der schwarzen Nacht blickend durchlebt und die den Leser in einen verwirrenden Rausch der Sinne versetzen.

Die lyrische Erzählung von Angelika Rainer versteht sich als Lichtemitter. Luciferin ist die Substanz, die von Leuchtkäfern in einer lichtbringenden Reaktion verbraucht wird und auch die Fantasiereise soll Licht erzeugen. "Die Bilder des Tages sind Blendwerk und Trug", schreibt Rainer, die Bilder der Fantasie hingegen weisen dem Leser den Weg. Die chemische Formel der Luciferase wird in das Werk aufgenommen, auf der letzten Seite erhebt Angelika Rainer die Chemie sogar zur Poesie. Denn das Licht glimmt nicht nur physikalisch, es gibt Lucy auch Hoffnung. Erinnerung drückt der Zwergin das Herz zusammen. Doch Hoffnung - "leicht wie Spinnweben" - ist ihr geblieben. Angelika Rainer stößt unseren Kopf auf scheinbar platte Lebensweisheiten ("Verjag nicht das Glück"); sie will unseren Blick lenken, das Licht zeigen, denn irgendwo ist jemand, der deutlicher sieht als wir, sagt sie.

Es ist gewiss nicht einfach, dieses Buch zu lesen. Die Naturbetrachtungen sind langsam oder stückweise zu rezipieren. Das lyrische Ich nimmt keine Position ein, entzieht sich und ist nicht zu fassen. Wer spricht? Keine Antwort. "Luciferin" ist ein Mosaik. Zusammenhänge ergeben sich nicht sofort, der Sinn erschließt sich hier nicht beim flüchtigen Lesen und Blättern, vieles bleibt rätselhaft und soll es auch bleiben. Je länger man sich in die Zeilen fühlt, in die hoch musikalische und bildreiche Sprache, desto deutlicher wird der Lichtstrahl. Nicht jedes Wort muss in einer Beziehung zu den Vorherigen stehen. "Die genaue Seele vergisst / [...] Nichts wird verloren gegangen sein / Nur ich mir selber ein wenig im Schlaf". Die Gedanken gipfeln im Axiom: "Wirst du die Liebe erlangen / Wird sie dich vernichten". Es ist das Gefühl, das zählt.

Es lohnt sich, sich auf das Gedankenspiel der Harfenistin Angelika Rainer einzulassen. Und es macht hungrig auf mehr, man darf gespannt darauf sein, was sie uns als nächstes bietet.


Titelbild

Angelika Rainer: Luciferin.
Haymon Verlag, Innsbruck 2008.
75 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783852185606

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