Goethe, Heine und Co.

Peter Braun präsentiert uns in "Von Taugenichts bis Steppenwolf" eine alternative Beschreibung der deutschen Literaturgeschichte

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Frage: An welches Buch aus meiner Schulzeit erinnere ich mich? Antwort: An keines. Nicht ein einziges". Mit diesem erstaunlichen Geständnis leitet der Buchautor und freie Journalist Peter Braun sein Buch mit dem Titel "Von Taugenichts bis Steppenwolf" ein. Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, die deutschen Dichter schlechthin, wurden seiner Einschätzung zufolge sicherlich gelesen, jedoch erinnere er sich an keines ihrer Werke, geschweige denn an Hintergrundinformation zu den beiden Dichtern.

Erst nachdem er die Schule bereits verlassen und eine Lehre begonnen hatte, entdeckte Braun über Umwege die Literatur. Vielleicht wäre sein literarisches Interesse bereits früher geweckt worden, wenn auch "Details" der Literaturgeschichte gelehrt worden wären, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Goethe mit dem damals erst achtzehnjährigen Herzog von Weimar ausschweifende Orgien mit Wein, Weib und Gesang feierte und die Lektüre von Schillers berühmter "Glocke" den Dichter Ludwig Tieck vor lauter Lachen beinahe vom Sessel fallen ließ. Man hätte den Schülern auch Mut machen und ihr Selbstvertrauen wecken können, indem man sie darauf hingewiesen hätte, dass sowohl Thomas Mann als auch Hermann Hesse, die beide den Nobelpreis für Literatur erhalten haben - der eine im Jahre 1929, der andere 1946 - Paradebeispiele für Schulversager waren. So wurde Mann von Lehrern als "faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhasst bei den Lehrern" bezeichnet und Hesse entwickelte während seiner Schulzeit Depressionen und drohte als Folge sogar zwei Mal mit Selbstmord. Diese Anekdoten aus Jahrhunderten deutscher Literaturgeschichte werden jedoch in herkömmlichen Literaturkundebüchern - vielleicht einfach aus Unkenntnis über diese Ereignisse oder doch eher, um nicht am Image der nationalen Helden zu kratzen? - tunlichst verschwiegen. Nur gut, dass Peter Braun diese Lücke nun mit seiner "etwas andere[n] Literaturgeschichte" - so auch der Untertitel seines Werks - füllt.

Bereits durch das äußerst originelle Cover, das dem berühmten Bild der Beatles, auf dem diese über die Londoner Abbey Road laufen, nachempfunden ist - wobei in Brauns Version Karl May, Friedrich Schiller, Bertolt Brecht und Johann Wolfgang von Goethe abgebildet sind, wie sie statt über einen Zebrastreifen über eine Reihe von Büchern wandern - wird deutlich, dass es sich bei "Von Taugenichts bis Steppenwolf" um keine konventionelle Abhandlung der deutschen Literatur handelt.

Auf knapp 200 Seiten - und es hätten aufgrund des außerordentlichen Lesevergnügens noch viele hunderte mehr sein können! - präsentiert uns Braun einen Querschnitt durch die deutsche Literaturgeschichte von der Aufklärung über die Romantik bis hin zur Moderne, von Gotthold Ephraim Lessing über E.T.A. Hoffmann zu Wolfgang Borchert. In leicht bekömmlichem Stil und ohne aus der Literaturwissenschaft bekannte Floskeln nimmt uns Braun mit auf einen Streifzug durch die literarische Landschaft Deutschlands und gewährt uns auch einen Einblick in abgelegene Winkel.

So werden sowohl amüsante, als auch bewegende und spannende Anekdoten aus dem Leben uns allen bekannter Dichter und Autoren erzählt und diese somit - natürlich nicht ohne dem ihnen gebührenden Respekt - von ihren Podesten herab geholt und als Menschen mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Schwächen, Fehlern, Lastern, Sorgen und Problemen entlarvt. Auch die ganz unterschiedlichen Schicksale der besprochenen Literaten werden aufgezeigt, sodass man die Möglichkeit bekommt, sie auch einmal abseits des von Ruhm und Anerkennung bestimmten Heldenkults rund um ihre Person kennen zu lernen. Insgesamt 28 Porträts der unterschiedlichsten Autoren und Dichter gewähren uns einen kompakten Einblick in deren Leben und literarisches Schaffen. Pardon, AutorInnen und DichterInnen muss es heißen, denn Braun hat dankenswerterweise auch so oft vergessenen weiblichen Vertretern der schreibenden Zunft wie Annette von Droste-Hülshoff, Bettine Brentano und Irmgard Keun ein Plätzchen in seinem Buch gewidmet.

Die einzelnen Abschnitte werden jeweils durch ein Porträt des behandelten Dichters oder Autors sowie einem ihrer markanten Aussprüche eingeleitet. Ansonsten sind die Texte denen in einer herkömmlichen Literaturgeschichte sehr ähnlich, da die Personen und ihr Werk vorgestellt sowie detailliert beschrieben werden - soweit das auf den wenigen Seiten möglich ist. Dazu wird auf die Hintergründe zu den einzelnen Werken sowie deren Rezeption eingegangen. Braun belässt es hier nicht bei einer reinen literaturgeschichtlichen Abhandlung, sondern bezieht auch externe Faktoren wie die politischen und historischen Umstände und die gesellschaftlichen Gegebenheiten der jeweiligen Zeit in seine Darstellung ein. Auch Bezüge zwischen den einzelnen Schriftstellern werden hergestellt, sodass Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Epochen und diverse (literarische) Entwicklungen gut nachvollziehbar sind. Die Übergänge zwischen den einzelnen Kapiteln verlaufen dabei sehr fließend.

Peter Braun gelingt es in "Von Taugenichts bis Steppenwolf" einen ebenso informativen wie interessanten und ebenso lustigen wie spannenden Abriss über die deutsche Literaturgeschichte abseits gängiger literaturwissenschaftlicher Praxis zu präsentieren. Geboten wird kurzweiliges Lesevergnügen, denn das Buch lässt sich nicht mehr aus der Hand legen, ehe man es fertiggelesen hat. Dieser Band dürfte sowohl für Literaturliebhaber und -experten, als auch für völlige Laien und bisher von der Literaturkunde enttäuscht gebliebene Leser überaus wertvoll sein.


Titelbild

Peter Braun: Von Taugenichts bis Steppenwolf. Eine etwas andere Literaturgeschichte.
Bloomsbury Berlin, Berlin 2008.
223 Seiten, 6,90 EUR.
ISBN-13: 9783833350191

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