Satan 2.0

Erfolg im Schatten der Aufklärung: Sabine Doering-Manteuffel verfolgt die Erfolgsgeschichte des Okkulten vom Zeitalter der Pestzüge bis in die Google-Ära

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendwann um 1800 hatte der Teufel eine Eingebung. "Alles wird aufgeklärter", verkündete er seiner auf dem Blocksberg versammelten Hexenschar. "Ich müsste der dümmste Schöps sein, wenn ich es nicht auch werden wollte." Damit verabschiedete sich der Höllenfürst von seinen Getreuen, wusste er doch im Zeitalter Goethes und Kants Besseres zu tun, als finsteren Hokuspokus zu veranstalten. Er wurde Autor und publizierte seine Ansichten fortan in den neuen Modejournalen und Gazetten.

"Spuckereyen des Teufels" lautet der Titel des satirischen Essays, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Gelehrtenrepublik kursierte. In ihm stellt ein anonymer Verfasser, vermutlich der Literaturkritiker Adolf Müllner, der angelaufenen Aufklärung ein ernüchterndes Zeugnis aus. Statt den Aberglauben auszumerzen, befördere sie ihn nur, da ihr wichtigstes Werkzeug, die Druckerpresse, die Ammenmärchen erst recht im ganzen Volk verbreite. Heute, 200 Jahre später, kann Sabine Doering-Manteuffel diese frühe Medien- und Aufklärungskritik nur bestätigen: "Das Streben nach vernünftigen Erklärungen blieb unauflösbar mit seinem okkulten Schatten verbunden - je heller das Licht, desto markanter der Schatten."

Das ebenso provokante wie kurzweilige Buch der Augsburger Ethnologin verfolgt die Erfolgsgeschichte des Okkulten vom Zeitalter der Pestzüge bis in die Google-Ära. Stets waren und sind es Massenmedien, die den Unsinn erst epidemieartig verbreiten, von alchemistischen Rezeptsammlungen bis zur Kunde von den Kornkreisen, die seit den 1980er Jahren weltweit die Fantasie von New Age-Gläubigen anheizt. Typischerweise blieben selbst die Geständnisse der Urheber, die scheinbar mysteriösen Kreise aus Jux angelegt zu haben, ohne Wirkung; immer neue Publikationen und Artikel selbst ernannter Forscher finden auf den Feldern geheime Botschaften und heilende Energiefelder.

Doering-Manteuffels historischer Blick lässt dabei überraschende Parallelen erkennen, hatten doch die Kreise schon im 17. Jahrhundert Vorläufer, als der so genannte "Mäh-Teufel" geizige Bauern bestrafte, indem er nachts ihr Getreide kreisförmig abmähte. Zugleich widersprechen aber die Fallgeschichten der Forscherin Theodor W. Adornos Bonmot: "Okkultismus ist die Metaphysik der dummen Kerle".

Denn ihr leichtgläubiges Publikum fanden und finden die Wahrsager und Wunderheiler eher im gebildeten Mittelstand und in den höheren Schichten. So bietet der Fall des "Blumenmediums" Anna Rothe, die 1903 des Betrugs überführt wurde, Einblick in die Sozialordnung der Zeit. Bei ihren spiritistischen Sitzungen, bei denen sie Blumen aus dem Nichts, das heißt aus ihrem Unterrock hervorzauberte, stellten sich selbst Reichstagsabgeordnete, Kommerzienräte oder Rittergutsbesitzer ein. Von denen sich offenbar niemand wunderte, dass alle beschworenen Geister wie das Medium selbst Sächsisch sprachen.

Übernatürliche Dienstleistungen bescherten gerade Menschen aus den unteren Schichten in kürzester Zeit Aufmerksamkeit und Geld. Wie der Magd Mary Toft, die als "rabbit woman" 1726 Kaninchen zur Welt brachte - auch dieser frühe hoax verdankt sein langes Leben Flugblättern und Zeitungen. Geschäftstüchtige Schreiberlinge waren und sind stets zur Stelle, wenn es darum geht, Sensationslust und Wünsche aller Art zu befriedigen oder Zukunftsängste zu stillen. Dem Optimismus der Aufklärer zum Trotz verbreitete die Druckerpresse eben nicht nur naturwissenschaftliche Erkenntnisse und vernünftige Argumente, sondern ebenso Zaubersprüche, Teufelssagen, Orakelkarten oder Anleitungen zur Dämonenabwehr: von einem "brauchbaren Pendelbuch" von Gregor G. Gregorius für 4,80 Mark bis zu Johann Wallbergs "Sammlung natürlicher Zauberkünste" (1748), die noch 1995 bei J. B. Metzler als Nachdruck erschien.

Wasser auf die Mühlen aller Web 2.0-Skeptiker ist Doering-Manteuffels Pauschalkritik am Internet, wodurch sie das Projekt der Aufklärung endgültig gescheitert sieht. Denn erstmals in der Mediengeschichte habe das Medium selbst okkulten Charakter angenommen, da es seine Anonymität und Universalität jedem erlaubt, noch den größten Unsinn zu veröffentlichen. Dass die angeführten Beispiele für Informationsmüll und Obskurantismus aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia jedoch längst korrigiert sind, ließe freilich auch einen anderen Schluss zu: Online wirkt der okkulte Schatten nur deshalb finsterer, weil auf den Monitoren auch das Licht der Aufklärung heller strahlen kann.


Titelbild

Sabine Doering-Manteuffel: Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web.
Siedler Verlag, München 2008.
352 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783886808885

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch