Von der Angst vor dem kleinen Teller Spinat

Martin Auer erzählt von einem ganz, ganz kleinen Jungen und einem ganz, ganz kleinen Schwein, das einen ganz, ganz großen Hunger hat

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Urgs. Das sieht ja grausig aus. Mit verzogenem Gesicht, heraushängender Zunge und schiefen Augen starrt der Kleine in den Topf, sein kleines Schweinchen unter dem Arm. Spinat! Urgs. Welches Kind mag das schon? Grün sieht er aus, etwas matschig.

"Soll ich dir eine Geschichte erzählen?", sagt der kleine Tim zu seiner Mama. Aber die will nichts hören: "Jetzt ist Essenszeit." Essen geht allerdings nicht, denn danach ist die Geschichte weg: "Sie ist aber jetzt gerade in meinem Kopf angekommen und will gleich weiter". Also gut.

Der kleine Tim erzählt die Geschichte von dem ganz, ganz kleinen Schwein, das einen ganz, ganz großen Hunger hatte. Und dann hat das Schwein den ganzen, ganzen Schweinetrog leergefressen. Und dann ist das Schwein gewachsen und mit ihm sein Hunger. Und dann war es noch nicht satt. Und so hat es immer weiter gefressen. Im Keller hat es alle Kartoffeln gefressen, im Supermarkt alle, alle Cornflakes und alle, alle Tiefkühlpizzas und alle, alle Fischstäbchen und alle, alle Schokoriegel.

Und immer ist das ganz, ganz kleine Schwein gewachsen und sein ganz, ganz großer Hunger auch. Und so hat es immer weitergemacht und alles aufgefressen. Alle Waschmaschinen und alle Fernsehgeräte. Alle Autos und alle Fahrräder. Alle Häuser, alle Schulen, alle Kindergärten, alles, alles.

Eine abstruse Geschichte erzählt Martin Auer da, von einem kleinen Jungen, der sein bisschen Spinat nicht essen will und redet deswegen immer länger von einem ganz, ganz kleinen Schwein, das immer größer wird und einen immer größeren Hunger bekommt, je mehr es frisst. Wie eine kleine Fabel über den Zustand der Welt mutet es manchmal an, von Leuten, die den Hals nie voll kriegen können, von Leuten, deren Hunger immer größer wird, je mehr sie haben. Denn auch die fangen manchmal als ganz, ganz kleine Schweine an, sind vielleicht noch kuschelig und passen unter den Arm eines kleinen Jungen.

Manuela Olstens Illustrationen sind einfache, fast schematische Bilder, in denen die wichtigsten Dinge nur angedeutet werden, die aber trotzdem viele skurrile Details die Geschichte immer wieder auftauchen lassen. Mit schnellem Strich und pfiffigem Witz geht es in die unterschiedlichsten Räume, bis das Schwein so dick und hungrig wird, dass es die ganze Welt auffrisst und durch die Sternennacht davonsegelt, das grüngepunktete Spinatlätzchen in der Hand.

Ein wunderschönes Bilderbuch, das die Geschichte vom Suppenkaspar einmal andersherum erzählt. Nur der kleine Tim, der muss natürlich am Schluss seinen Spinat doch noch essen. Aber er fragt: "Ist es schlimm, wenn ich heute nur einen ganz, ganz kleinen Hunger habe?" Nein, das ist nicht schlimm. Denn sonst wird er auch noch so gierig wie das Schwein. Und das wollen wir doch nicht, oder?


Titelbild

Martin Auer: Das ganz, ganz kleine Schwein mit dem ganz, ganz großen Hunger. Vierfarbiges Bilderbuch.
Illustriert von Manuela Olten.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2008.
32 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783407793676

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