Intensive Begegnung von Literatur und Philosophie

Markus Scheffler hat in seiner Dissertation Arthur Schopenhauers Einfluss auf Thomas Bernhard untersucht

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Bernhard hat ihn dereinst als "Lachphilosophen" bezeichnet. Dabei verbinden gerade das Einzelgängerische und die Schwermut den sarkastischen österreichischen Dichter mit dem einst als Privatgelehrten in Frankfurt zurückgezogen lebenden Denker. Auch dass Bernhard ihn - gemeint ist natürlich Arthur Schopenhauer - ernst genommen und in seinem Werk immer wieder direkt oder indirekt erwähnt hat, gilt als Indiz dafür, dass die eingangs erwähnte Aussage ganz bewusst auf eine falsche Spur führen soll. Zweifelsohne spielen die Leidensästhetik und Elemente aus Schopenhauers philosophischem Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" eine wichtige Rolle bei Bernhard. Der zu Lebzeiten nur wenig wahrgenommene Philosoph zählt sogar zu den in Bernhards Texten am häufigsten genannten Denkern, auch wenn eine mitunter ironische Auseinandersetzung nicht geleugnet werden kann, wie Martin Huber in seiner Dissertation "Thomas Bernhards philosophisches Lachprogramm. Zur Schopenhauer-Aufnahme im Werk Thomas Bernhards" 1992 gezeigt hat.

Worin nun die genaue inhaltliche Verbindung von Bernhard und Schopenhauer besteht, fragt sich Markus Scheffler in seiner Studie. Der Autor geht davon aus, "daß zentrale Themen der Schopenhauerschen Philosophie bei Bernhard gegenwärtig sind, dort fortexistieren und sich verselbständigen". Ihm geht es jedoch weniger um den Nachweis von Schopenhauer-Zitaten in Bernhards Texten, sondern um strukturell inhaltliche Momente, um eine ideengeschichtliche Verankerung, die das dichterische Œuvre auf das philosophische Werk Bezug nehmen lässt. Damit hebt sich die Untersuchung von bisherigen Arbeiten über den Einfluss Schopenhauers auf Bernhard ab, die entweder von einer weniger inhaltlichen als formalästhetischen Nähe beziehungsweise wie Huber einem intertextuellen Verfahren der Zitation oder von einem die beiden leidenden 'Geistesmenschen' verbindenden negativen Naturbegriff ausgegangen waren wie etwa Gerald Jurdzinski in seiner Arbeit "Leiden an der "Natur". Thomas Bernhards metaphysische Weltdeutung im Spiegel der Philosophie Schopenhauers" (1984)

Schon der Titel von Schefflers Arbeit deutet darauf hin, dass seiner These nach der Aspekt der Melancholie der Bernhard und Schopenhauer verbindende Grundzug sei. Das Zitat aus "Alte Meister", in dem der Geistesmensch Reger die Hoffnung auf eine Erlösung aus der leidvollen menschlichen Existenz durch die Kunst kritisch betrachtet, deutet hier auf eine wesentliche Parallele hin: "Kunsthaß im Grunde, Kunstwahnsinn irreparabler".

Zugleich offenbart sich dabei aber auch die zeitgeschichtlich bedingte Differenz zu Schopenhauer, der im Unterschied zu Bernhard noch an eine Rettung des Daseins im Programm einer Ästhetisierung geglaubt hat. Dies bezeichnet nicht zuletzt den Punkt, an dem Bernhard Schopenhauer kritisch und im Sinne seiner 'Lachphilosophie' begegnet. Für Bernhards Protagonisten insbesondere des Spätwerks erweist sich das ästhetische Konzept im Zeichen einer Lebens- und Überlebenskunst immer wieder als trügerisch und unhaltbar. So muss auch Reger am Schluss einsehen, dass "die ganze Kunst, wie auch immer, [...] nichts gegen diesen einen einzigen geliebten Menschen" sei, wie ihn seine verstorbene Frau repräsentiert hat. Wie die Wissenschaft bleibt Kunst ein Surrogat für das Menschliche - und gewährt als "Lebenskunst im Alltag", wie sie Markus Barth in seiner gleichnamigen Publikation von 1998 genannt hat, trotzdem die Möglichkeit, den eigenen Mangel auszufüllen.

Schefflers Studie bietet neben einer eingehenden Auseinandersetzung mit Bernhards Prosa, von "Der Kulterer" über "Frost", "Amras" und "Korrektur" bis hin zu "Der Untergeher" eine kompakte Einführung in Schopenhauers Ästhetik. Dass die kenntnisreiche Darstellung auch noch in einem erstaunlich erfrischenden Stil verfasst worden und somit gut lesbar ist, hebt sie von den sonst oft eher trocken gehaltenen Gelehrtenkommentaren zum Werk Bernhards wohltuend ab. Sie führt nicht von dem literarischen Werk weg, sondern leitet zu ihm hin und versteht sich als Anstoß einer intensiven Begegnung von Literatur und Philosophie.


Titelbild

Markus Scheffler: Kunsthaß im Grunde. Über Melancholie bei Arthur Schopenhauer und deren Verwendung in Thomas Bernhards Prosa.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2008.
339 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-13: 9783825354138

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