Trinken, essen und ein paar Mädchen

Johannes Gelich betreibt in "Der afrikanische Freund" kritische Hedonistenbeschau

Von Andreas TiefenbacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Tiefenbacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Gesellschaft, die in der Optimierung ihres Leistungspotentials aufzugehen scheint und daher im bedingungslosen Streben nach Erfolg und Gewinn wenig Verwerfliches sieht, muss damit rechnen, dass sich im Umgang der Menschen untereinander etwas in Richtung Kälte und Gleichgültigkeit verschiebt. Doch wenn das Geld stimmt, wird einiges in Kauf genommen. Und bei Max stimmt es. Er hat sein "ererbtes Vermögen" durch "hochspekulative Hochzins-Anleihen" vermehrt und ist "vielfacher Millionär".

In den etwas mehr als zwanzig Jahren, die seit seiner Matura am Akademischen Gymnasium in Salzburg vergangen sind, ist er allerdings ziemlich "dick geworden", was auch daran liegen mag, dass ihn seine Frau "wegen eines afrikanischen Freundes in New York sitzengelassen" hat.

Gegen so viel unglückliche Liebe hilft nur noch eine gehörige Portion Spaß. Die gönnt sich Max: Er verbringt das "Weekend vor der Festspieleröffnung" mit "trinken, essen und ein paar Mädchen" auf seiner Burg. Mit von der Partie sind seine beiden Freunde Marcel und Hugo, die "aus London bzw. Reykjavik anreisen" und wie jedes Jahr um diese Zeit beruflich in Salzburg zu tun haben: Marcel, der Fotograf, ist "mit Reportagen über prominente Festspielbesucher" beschäftigt und Hugo "als Chefkoch des Jedermann-Premierenempfangs engagiert". Man ist also wer. Für nicht zu diesem erlauchten Kreis Gehörende sei erwähnt, dass es immer noch "die Möglichkeit der Identifikation mit dem Prominenten" gibt, die "dem in der Masse begrabenen Individuum das kurzweilige Gefühl" verschafft, "ebenso aus der Masse herauszuragen".

Den Ich-Erzähler des Romans, dem Vierten im Bunde, plagen solche Ambitionen weniger. Prominenz beeindruckt ihn nicht. Ihm ist "gleichgültig, wie viel Geld jemand hat". Ähnlich distanziert verhält er sich auch in Glaubens- oder Liebesdingen: Obwohl er Marie "im Herbst heiraten" wird, scheint es für ihn keine Rolle zu spielen, ob er nun "verliebt (ist) oder nicht". Genauso wenig zeigt er sich gewillt, seine "Zeit mit Gott zu vergeuden". Für ihn gibt es "keine richtige oder falsche Religion", da ist "jede Religion [...] schlecht".

Damit sich gefühlsmäßig etwas bewegt, muss er auf Menschen treffen, "die wissen, was sie tun" und die ihm auf diese Weise vor Augen führen, dass er "nichts Ordentliches gelernt" hat "und eigentlich gar nichts richtig gut kann". In solchen Situationen empfindet er dann "aufrichtigen Neid". Ansonsten halten sich seine Emotionen in Grenzen. Er ist immer und überall "um Distanziertheit bemüht". Selbst als er vom Tod des Vaters erfährt, regt sich nicht viel; er findet es sogar "angenehm", auf einmal keine Familie mehr zu haben. Dennoch bleibt es ihm - um Beerdigung und Nachlass des Vaters zu regeln - nicht erspart, seine Geburtsstadt aufzusuchen.

Nachdem er "in letzter Zeit [...] höchstens einmal im Jahr" nach Salzburg gekommen ist, versucht er Vertrautem nachzuspüren, besucht das ehemalige Haus der Eltern am Stadtrand und streift im Zentrum umher. Doch was ihm "gerade noch vertraut" erschienen ist, verwandelt "sich sofort wieder in Unbekanntes".

Als ihm in der Bierstube "Fideler Affe" der Schulkollege Max begegnet, hätte er den Mann "nicht wiedererkannt". Aber der weiß sofort, wer er ist und lädt ihn zu dem mittelalterlichen Festbankett auf Burg Neugebäude ein. Nach anfänglichem Zögern nimmt der Ich-Erzähler an der mit "Edelprostituierten" aufgelockerten Herrenrunde teil. Aber wie schon in der Stadt erscheint ihm auch oben auf der Burg alles "fremd und bekannt im selben Augenblick".

"Die Aussicht auf eines der Mädchen" wie jene auf "Hugos hervorragende Spezialitäten", die von "Zitronenhuhn, Spanferkel und Bologneser Torte" bis zur "Pastello volativo" reichen (wo es um "die richtige Temperatur" geht, damit die in der Pastete steckenden Kanarienvögel nicht verbrennen), blenden zwar jedwede Reue, "auf der Burg geblieben zu sein", aus. Aber an seiner innerlichen Abwesenheit ändert auch das hedonistische Treiben wenig.

Als dann plötzlich ein Mann "afrikanischer Herkunft" vor der Tür steht und "religiöse Zeitschriften und eine Bibel zum Verkauf" anbietet, gerät die Genusswelt der Gutsituierten plötzlich ins Wanken. Auf leibliches Wohl fokussiert, wird sie von Parvenü Max, der übermütig wie herausfordernd maßlos: "Women are our religion" zum Wahlspruch erklärt, meisterlich repräsentiert, während im Gegenpol einer Unterprivilegiertenexistenz, wie sie der angekommene Priesterschüler Joses verkörpert, der dem Bürgerkrieg in Uganda entflohen und nach einer "langen Odyssee" illegal in Österreich gelandet ist, die Demut vor Gott im Vordergrund steht.

Genuss und Sinneslust dort, Entsagung da; das bietet Reibungsfläche: So kommt es, dass der alkoholisierte Max Joses' "Love and bible"-Geplapper schon bald nicht mehr hören kann. Er versetzt "dem Afrikaner einen Faustschlag ins Gesicht". Dieser fällt unglücklich hin und verletzt sich schwerer, als man glauben will.

Peinlich berührt ist man plötzlich; "wie festgefroren". Man zögert und hofft, schiebt hinaus und redet sich ein, dass mit Hühnerbrühe, Essigpatschen, "zwei Aspirin und drei Valium" alles besser wird. Kann es das überhaupt?

So facetten- und temporeich, so emphatisch und spannend wie der 39jährige Österreicher Johannes Gelich, der seit kurzem als Stadtschreiber in Hermanstadt weilt, diese misslichen Umstände beschreibt, zeugt von erzählerischem Talent. Die detaillierte Sachlichkeit und Stringenz seiner Darstellung führt die banale, tragische Tiefe menschlichen Schreckens greifbar vor Augen: den Mangel an Courage und die Angst vor dem Eingeständnis, einen schweren Fehler begangen zu haben, für den es angemessen Strafe auf sich zu nehmen hieße.

Aber wer will sich schon, gerade wenn er begütert ist, wegen so einer "blöden Geschichte" das Leben ruinieren? Schon unterlassene Hilfeleistung ist schließlich strafbar. Da denkt man (wie der auf seine "Rolle als Zuschauer" beharrende Ich-Erzähler) sich natürlich lieber, das Ganze sei nichts anderes gewesen als ein "Stunt". Max habe den Afrikaner "in einer Schauspieler-Agentur angeworben"; und bei den Räumlichkeiten der Burg, in denen am Schluss "eine ekelhafte Mischung aus Schweiß, Urin und Alkoholdunst" herrscht, handle es sich um die entsprechende "Filmkulisse".

Selbsttäuschung ist natürlich auch ein Mittel, um vieles ungeschehen zu machen. Und siehe da: "Wie geschäftige Bühnenarbeiter nach dem Ende einer Vorstellung" packen Hugo und Marcel "leere Champagnerflaschen, gebrauchte und ungebrauchte Kondome, Kippen, Cola-Dosen, Bierdosen, Bierflaschen, abgenagte Hammel- und Hühnerknochen, Zeitungen, Zeitschriften, zertretene Make-up-Dosen, Scherben und die toten Kanarienvögel in [...] dicke, schwarze Hundert-Liter-Müllsäcke".

Beschönigen lässt sich viel, aber auslöschen eben nicht alles. So bleibt "eine zittrige, paranoide Unruhe" in Max zurück, im Ich-Erzähler jedoch nur "eine verkaterte Leere". Die bringt natürlich weder ihn noch sonst jemanden um. Auch hat sie der "beharrliche Gang des Alltags" schnell wieder eingestellt.

Fremdsein ist im Roman "Der afrikanische Freund" von Johannes Gelich Programm. Nicht nur, dass der Ich-Erzähler namenlos bleibt, er lässt auch kaum etwas an sich heran: Dass seine Freundin Marie ihren Kater, der bezeichnenderweise Camus heißt, einschläfern lassen muss, nimmt er teilnahmslos zur Kenntnis und übergeht die Mitteilung einfach.

Nicht viel regt sich mehr in ihm, als er die Liebesbriefe seines Vaters liest. Dass sie ihm kundtun, quasi "unerwünscht und als Unfall auf die Welt gekommen" zu sein, ließe sich "als deprimierend" empfinden, er aber sieht darin höchstens "eine böse Überraschung" und schmeißt die Briefe zu "den Sachen für das Altpapier".

Dieses Schicksal blüht dem zehn Kapitel umfassenden Roman sicher nicht. Denn man legt das Buch ungern wieder aus der Hand, vielleicht auch weil man an Albert Camus' Meursault aus "Der Fremde" denken muss. Ganz sicher aber, weil es in seiner Vielschichtigkeit und Intelligenz, in seinem klaren, genauen, unaufgeregten Stil so weit besticht, dass man das Premierenpublikum um Starkoch Hugos Menü aus "Wurzelpüreesuppe, Kalbsvögerl, Eierschwammerl-Risotto, Backhähnchen mit Kartoffel- und Vogerlsalat" nicht mehr beneidet.


Titelbild

Johannes Gelich: Der afrikanische Freund. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
174 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783835303560

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