Kein Held, nirgends

Joachim Castan versucht sich an der "ganzen Geschichte" des Roten Barons, Manfred von Richthofen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen" will der Historiker Joachim Castan mit seinem Buch "Der Rote Baron" vorlegen. Untertitel und Titel seiner Monografie vereinigen die Spannung in der Wahrnehmung des Jagdfliegers aus dem Ersten Weltkrieg. Auf der einen Seite der ehrfurchtsvolle Ehrentitel "Roter Baron", Teil des Heldenmythos um den Flieger; auf der anderen Seite lässt die angekündigte "ganze Geschichte" noch etwas anderes vermuten. Denn hinter Heldenepos und Mythos verschwindet der Mensch. Castan vermutet denn auch die ,andere Geschichte' des Manfred von Richthofen hier in der Geschichte des Menschen, der Person Richthofen.

Ein ehrenwertes Bemühen, dem der Autor gerecht zu werden versucht, indem er immer wieder Fragen nach der psychologischen Befindlichkeit des Helden in den Text einflicht: Wie lässt sich etwa dessen Jagdfieber, sei es als Jäger in Wald und Flur auf der Jagd nach Wild oder in den Lüften, auf der Jagd nach Menschen und Maschinen, erklären? Die Bemühungen münden in einer "familienpsychologischen" Analyse. Kern der interpretatorischen Anstrengungen des Autors ist der "Verrat" seiner Eltern. Diese hätten sich ihres ältesten Sohnes "entledigt", indem sie ihn, den "zarten Knaben", preußischen Kadettenanstalten überlassen hätten, wo er zu einem "ganzen Kerl zurechtgehauen" wurde. "Was dieser subjektiv empfundene "Verrat" für den Jungen [...] innerlich bedeutete, blieb Manfreds innerstes Geheimnis."

Indes kommt Castan in dieser Causa über mehr oder weniger plausible Spekulationen kaum hinaus. Er schürft nicht eben tief im Psychologischen. Deshalb widmet sich der Schwerpunkt der Darstellung Castans schließlich doch wieder dem Teil der Geschichte Richthofens, der ihn berühmt machte: der des Jagdfliegers, dessen - hier in einer Liste dokumentierte - 80 ,Abschüsse' englischer Flieger an der Westfront während der Jahre 1916 bis 1918 ihn zum berühmtesten aus der Reihe derer machte, die dies neue Kriegshandwerk ausübten.

Zunächst flog auch Richthofen ,nur' als Beobachter über die feindlichen Linien, ehe ihm und den verantwortlichen Militärs die besondere Kriegseffektivität des jagdfliegerischen Tuns deutlich wurde. Mit Ehrgeiz und unterstützt von den nötigen technischen Fortschritten im Flugzeugbau und in der Waffentechnik, für die vor allem der junge Ingenieur und Flugzeugbauer Anton ("Anthony") Fokker sorgte, suchten die jungen Männer Ruhm und Ehre als Flieger: ebenso wie ihr großes Vorbild Manfred von Richthofen.

Castan beschreibt ausführlich, wie die deutschen Militärs bemüht waren, Richthofen, dessen ,Erfolge' schnell in aller Munde waren, zu einem Vorzeigehelden zu machen. Dazu dienten auch die vielfach kolportierten Geschichten von der besonderen Ritterlichkeit des Luftkampfes. Gerade angesichts des anonymen Massensterbens in den dreckigen Schützengräben des Stellungskrieges wurde der Flieger zum Gegenentwurf der Kriegspropaganda. Er war der personifizierbare saubere Kriegsheld, der seine Erfolge in einem kühnen aber immer ,fairen' Kampf Flieger gegen Flieger erzielte.

Ein Hauch von Freiheit und Ungebundenheit in der strengen Kriegsroutine umwehte ihn, eine Ausnahmestellung, die dem edlen Ritter der Lüfte zugebilligt wurde, weil dies den Kriegstreibern vielfachen Nutzen versprach. Dabei müssen die kriegsentscheidenden Effekte der Luftkämpfe allerdings eher gering eingeschätzt werden. Viel wichtiger war, dass der Krieg hier noch einmal entgegen aller Fakten als ein romantisches Heldentum verklärt werden konnte. Besonders dreist vereinnahmte dabei Hermann Göring, der bald nach Richthofens Tod Kommandeur des "Richthofen Geschwaders" geworden war dessen Mythos. Bis heute gilt Richthofen immer noch vielen als ,Held', unbeschmutzt vom Dreck des ,normalen' Kriegs.

Castan zeigt, dass diese ganze Heldengeschichte gefälscht war. Der Luftkampf (auch wenn Castan ihn zuweilen, gewissermaßen gegen sein eigentliches Anliegen, etwas arg spektakulär beschreibt) war eben kein romantisches Rittertum. Hier wurde genauso grausam gestorben wie überall sonst im Krieg. Auch Richthofen war da keine Ausnahme. Er verrichtete sein Kriegshandwerk mit der gleichen grausamen Konsequenz wie alle anderen auch. Was ist ritterlich am Töten? Nichts: Der Krieg zeugt keine Helden!


Titelbild

Joachim Castan: Der rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
360 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-13: 9783608944617

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