Ein neuerliches Entree

Jhumpa Lahiris neue Kurzgeschichtensammlung "Einmal im Leben: Eine Liebesgeschichte" dürfte sowohl die Kritiker als auch das Massenpublikum überzeugen

Von Kirsten SandrockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Sandrock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Rezension hätte eigentlich anders aussehen sollen. Gedanklich erging sich die Verfasserin bereits in Tiraden darüber, dass Jhumpa Lahiris neue Kurzgeschichtensammlung "Unaccustomed Earth" in der deutschen Übersetzung von Rowohlt auf lediglich die Hälfte ihres Umfangs gekürzt wurde, dass der wunderbare rough cut des Originals nicht übernommen wurde - eine dem 16. Jahrhundert nachempfundene Drucktechnik, die eigens für die amerikanische Edition kreiert wurde und das Zusammenspiel von Fremdartigkeit (unaccustomed) und Ursprünglichkeit (earth) in Lahiris Geschichten unterstreicht - und dass die drei übersetzten Kurzgeschichten noch nicht einmal die drei Besten darstellen, sondern lediglich nach inhaltlichem Zusammenhang ausgewählt wurden, um im Deutschen unter dem süßlich klingenden Titel "Einmal im Leben: Eine Liebesgeschichte" als Kurzroman vermarktet zu werden. So oder so ähnlich wäre die Rezension ausgefallen, hätte der Rowohltverlag nicht auf die Nachfrage der Rezensentin reagiert und Auskunft über die Gründe der vorgenommenen Kürzung gegeben.

Laut Auskunft des Verlags ist die Halbierung des Originals (175 Seiten Umfang im Deutschen, während es im Amerikanischen 333 sind) nicht nur mit der Autorin abgesprochen, sondern eine bewusste Strategie zur besseren Vermarktung Lahiris in Deutschland. Schließlich konnte die amerikanische Pulitzer Preisträgerin bengalischer Herkunft sowohl mit "Melancholie der Ankunft" (englisch "The Interpreter of Maladies" von 1999) als auch mit "Der Namensvetter" (englisch "The Namesake" von 2003) internationale Bestellererfolge feiern und schaffte auch mit "Unaccustomed Earth" in den USA prompt den Sprung auf Platz 1 der "New York Times" Bestsellerliste. Dass hierzulande ein auch nur annähernd so großer Erfolg bisher fehlt, mag nicht zuletzt an Lahiris Lieblingsformat der Kurzgeschichte liegen.

Es ist nichts Neues, dass die in Nordamerika so erfolgreiche short story in Deutschland kaum ein Massenpublikum erreicht und dass Autoren und Autorinnen, deren Kurzgeschichten trotzdem gelesen werden, zunächst über ihre Romane bekannt wurden und werden (etwa Margaret Atwood, Katherine Mansfield, Thomas Pynchon, Carol Shields oder der kürzlich verstorbene David Foster Wallace). Obwohl Lahiri mit ihrem bisher einzigen Roman "Der Namensvetter" dieser Sprung von der genreabhängigen zur genreunabhängigen Rezeption bereits teilweise gelang, scheint Rowohlt daran gelegen zu sein, der Autorin fünf Jahre nach ihrem Erfolgsroman ein neuerliches "Entree" auf dem deutschen Buchmarkt zu ermöglichen und dabei ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Bei entsprechendem Erfolg von "Einmal im Leben", so die vielversprechende Hoffnung des Verlags, sollen schließlich auch die restlichen Kurzgeschichten ins Deutsche übersetzt werden, womit Lahiri endgültig der Sprung zu einer genreunabhängigen Leserschaft gelungen wäre.

Lesen wir also "Einmal im Leben" noch einmal, diesmal nicht als deutsche Ausgabe von "Unaccustomed Earth", sondern als eine eigenständige Novelle, die auch als solche rezipiert werden will. Sie besteht aus drei "Kapiteln", in der die Leser in guter alter postkolonialer Manier von den großen und kleinen Konflikten amerikanischer Immigranten erfahren und durch ein sprachliches Feuerwerk in die komplexen Zusammenhänge zwischen persönlicher, kultureller und nationaler Identitätsfindung eingeführt werden. Lobend sei an dieser Stelle die Übersetzerin Gertraude Krueger erwähnt, die sich bereits mit Werken von William Boyd und Julian Barnes einen Namen machte und auch in ihrer ersten schriftlichen Begegnung mit Lahiri deren gleichsam leichtfüßigen und besonnenen Stil gelungen wiedergibt.

In "Einmal im Leben" wird dieser Stil an die Ausdrucksweise der zweiten Einwanderergeneration angepasst, aus deren Augen die Geschichten geschildert werden. Hema und Kaushik, so heißen die beiden Protagonisten, lernen sich Mitte der 1970er-Jahre in Cambridge, Massachusetts, kennen und fühlen sich weder in der bengalischen immigrant community ihrer Eltern noch in der amerikanischen Universitätsstadt ihrer Mitschüler gänzlich Zuhause. Ihre Position zwischen den Kulturen gewährt nicht nur einen Einblick in östliche und westliche Lebensweisen gleichermaßen, sondern beleuchtet insbesondere die Gespaltenheiten der unterschiedlichen Kulturkreise und deren Manifestation im täglichen Leben.

Es folgen die gewöhnlichen Irrungen und Wirrungen, die es der deutschen Ausgabe erlauben, die Erzählung als eine Liebesgeschichte zu bezeichnen. Diese endet zwar unglücklich, doch die Beziehungsthematik ist ohnehin von zweitrangiger Bedeutung. Viel wichtiger und interessanter sind die Motive, mit denen Lahiri die Suche ihrer Charaktere nach Halt und Geborgenheit umschreibt. Hema promoviert in Altphilologie und erforscht die alteuropäische Geschichte mit einem Enthusiasmus, der ihren Hang zum Eskapismus vom Heute in die Vergangenheit offenbart. Auch Kaushik ist als Kriegsreporter stets auf der Suche nach den Grundsäulen der menschlichen Existenz, und seine zur Obsession neigende Liebe für die Fotografie versinnbildlicht sein Bedürfnis nach Beständigkeit inmitten von Elend.

So gilt für "Einmal im Leben" das, was die meisten literarischen Meisterwerke von sich sagen können: Thematische Komplexität geht mit einem ansprechbaren plot einher, wobei letzterer sowohl emotional ergreifend als auch überspitzt ironisierend gelesen werden kann und somit auf mehreren Ebenen funktioniert. Dadurch gelingt es Lahiri auch diesmal, sowohl die Kritiker als auch das Massenpublikum anzusprechen. Zumindest war das in den USA der Fall und es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Leser ähnlich reagieren. Dann wären nämlich nicht nur die drei Geschichten aus "Einmal im Leben", sondern bald auch die restlichen Kurzgeschichten in Deutschland erhältlich.


Titelbild

Jhumpa Lahiri: Einmal im Leben. Eine Liebesgeschichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Gertraude Krueger.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
175 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783498039295

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