Aktive Profiteure des Regimes

Ein Autorenteam des Instituts für Zeitgeschichte beschreibt, wie "Der Flick-Konzern im Dritten Reich" mit den Nationalsozialisten zum eigenen Vorteil kooperierte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mythen der Wirtschaftsgeschichte verbinden sich in Deutschland oft mit den Namen großer Industrieller aus der Schwerindustrie: Im Ruhrgebiet Krupp und Thyssen oder im Saarland Röchling. Die Geschichte ist immer die gleiche: Ein großer visionärer Unternehmer baut ein wirtschaftliches Imperium auf und trägt so im 19. Jahrhundert zum Aufstieg Deutschlands zu einer führenden Industrie- und Wirtschaftsnation bei. Umgekehrt profitieren die Unternehmen von eben jenem Aufstieg. Anders ausgedrückt: ein enges Verhältnis zwischen der politischen und wirtschaftlichen Klasse sichert das gegenseitige Interesse. So auch während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Die Unternehmenspatriarchen lassen sich willig auf die ,neuen Zeiten' ein und profitieren auf vielfältige Art und Weise vom Unrechtsregime. Als dieses 1945 schließlich in Trümmern liegt, scheint auch die Macht der Konzerne gebrochen. Doch nur kurze Zeit später sind sie wieder da - im deutschen Wirtschaftswunder fragt niemand mehr nach Schuld und Verantwortung.

Einer dieser ,sprechenden Namen' ist Friedrich Flick (1883-1972). Die Geschichte des "Flick-Konzerns im Dritten Reich" beleuchtet der im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch das Münchner Institut für Zeitgeschichte herausgegebene gleichnamige Band. Das Autorenteam beschreibt in acht umfangreichen Kapiteln die Genese und Expansion des Konzerns, seine besondere Rolle im Verbund der großen deutschen Schwerindustrieunternehmen, seine personellen und strategischen Vernetzungen mit den Naziherren, die ein gewaltiges Wachstum des Konzerns seit 1933 einleiten. Der Konzern profitierte von "Arisierungen", expandierte im kriegsbesetzten Europa und nutzte die wachsende Rüstungsproduktion ebenso zu seinem Vorteil wie den skrupellosen Einsatz von Zwangsarbeitern. Schließlich beleuchten die Autoren den Wiederaufbau des Konzerns nach 1945. Ein umfangreicher Dokumententeil rundet den Band ab.

Im Jahr 2008 sind die Ergebnisse einer solch umfangreichen Analyse der Verwicklungen des Flick-Konzerns in das nationalsozialistische Herrschaftssystem kaum mehr überraschend. Wenn die Autoren bemerken, dass der Boom der Unternehmensgeschichten im Nationalsozialismus bereits wieder abflauend ist und eine Untersuchung zu Flick "reichlich spät" kommt, so muss der Erkenntnismehrwert einer solchen Untersuchung gesondert begründet werden. In der Tat liegt er nicht so sehr in der nunmehr akribisch nachgewiesenen Verwicklung des Konzerns (was durchaus eine Leistung des Bandes ist): Der Flick-Konzern hat dem Regime gedient und von ihm profitiert. Darüberhinaus aber ist aufzuzeigen, inwieweit diese Verstrickung grundsätzliche Aussagen zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik seit den 1920er-Jahren, während der Nazizeit sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit zulässt. Ein solch übergreifender Ansatz liefert auch Erkenntnisse darüber, mit welcher Logik der Konzern nach 1945 sein Handeln rechtfertigte und eine Schuld- oder Verantwortungsfrage von sich weisen zu können glaubte.

Und in dieser Hinsicht ist die Geschichte des Flick-Konzerns ebenso aufschlussreich wie typisch. Sie beweist einmal mehr, wie aus stiller Duldung des Unrechts schließlich aktive Teilnahme daran wurde. Sie zeigt auch, wie dieser Einstellungswandel von den Entscheidenden früh schon entlastend rationalisiert wurde, indem in einem streng positivistischem Rechtsverständnis das Unrecht ,legalisiert' wurde und somit ,Schuld' erfolgreich verdrängt wurde. Beispielhaft lässt sich das an den spektakulären Arisierungsverfahren zeigen, von denen Flick profitierte. Schon bei der ersten großen Arisierung des Hochhofenwerks Lübeck 1937 wurde deutlich, "dass Flick auf das zunehmende Eindringen nationalsozialistischen Unrechts in die Wirtschaft so reagierte, wie es das Regime erwartete." Flick paktierte mit den Behörden, nutzte den Druck auf das "jüdische" Unternehmen zu seinen Gunsten und demonstrierte beispielhaft, wie gut sich das eigene Unternehmensinteresse mit den vom Nationalsozialismus gesetzten Normen in Einklang bringen ließ.

Noch drastischer wird dies bei der Übernahme der Braunkohlengesellschaften der Petschek-Konzerne: "Kein anderer Vertreter der privaten Schwerindustrie hat von der nationalsozialistischen Rassepolitik so sehr und so bedenkenlos profitiert wie Friedrich Flick bei diesem Geschäft." Um sein Interesse durchzusetzen, nutzte Flick seine guten Beziehungen zu Göring, der ihn denn auch mit einem exklusiven Verhandlungsmandat ausstattete. Flick eignete sich 1938 die Betriebe der Julius-Petschek-Gruppe gewissermaßen als ",Ariseur' mit staatlichem Mandat" an.

Im Falle der verhandlungsunwilligen Ignaz-Petschek-Gruppe radikalisierte Flick sein Vorgehen, indem er auch die Option einer gewaltsamen Enteigung bedachte. Als das Regime nach dem Münchner Abkommen Teile der Tschecheslowakei, und damit auch die Zentrale des Ignaz-Peschek-Konzerns in Aussig ins Reich einverleibte, wurde die zwangsweise Arisierung möglich. Indes konnte sich Flick nun nicht mehr als "loyaler"Ariseur profilieren, weil inzwischen die (staatlichen) Hermann-Göring-Werke als Konkurrent um die Petschek-Betriebe aufgetreten waren. Um das Petschek-Geschäft für sich zu retten, stimmte Flick schließlich einem Tausch zu, der ihm die Braunkohlenbetriebe gegen Steinkohlevorkommen an der Ruhr sicherte. Als es nach dem Krieg zu Entschädigungsverfahren kam, nutzte Flick diese Konstellation, um sich selbst als ,Opfer' des damaligen Verfahrens zu inszenieren, dem dieser Tausch aufgezwungen worden sei.

Diese Umdeutung der Geschichte ist bereits Teil der "großen Erzählung", die das Fundament der Konzernidentität in der Bundesrepublik legte. Schon vor dem Nürnberger Tribunal, das Flick im Rahmen der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen wollte, wurde die Konzerngeschichte erstmals anders erzählt. Fortan dominierte die Erfolgsgeschichte eines von einem legendären Übervater, Friedrich Flick, geleiteten Konzerns, in der die NS-Zeit als eine "Phase der Kämpfe und Zwänge" idealisiert wurde.

Der vorliegende Band macht endgültig Schluss mit solchen Mythen und erklärt eindrucksvoll die Geschichte des Flick-Konzerns als ein ebenso typisches wie ,normales' Einvernehmen mit dem Regime der Nazis - zum eigenen Vorteil. Damit ist sie auch ein weiterer Baustein zum Verständnis des Aufstiegs und des ,Erfolg' des "Dritten Reichs".


Titelbild

Johannes Bähr / Axel Drecoll / Bernhard Gotto / Kim Christian Priemel / Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich.
Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Oldenbourg Verlag, München 2008.
1018 Seiten, 64,80 EUR.
ISBN-13: 9783486586831

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch