Gender und Anarchie

Zwei utopische Klassiker von Ursula K. Le Guin

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass ausgerechnet eine Frau alle Rekorde in der bis dato ausgewiesenen Männerdomäne der Science Fiction schlug, war in den 60-er und 70-er Jahren des gerade zuende gegangenen Jahrhunderts eine ausgemachte Sensation. Nicht nur, dass Ursula K. Le Guin 1970 für ihren Roman "The Left Hand of Darkness" sowohl den "Nebula" als auch den "Hugo" einheimste, die beiden bedeutendsten Preise für SF-Literatur - bislang hatten die Preisrichter eine solche Ehre noch keiner Frau zukommen lassen -, vier Jahre später bekam sie wiederum beide Preise, diesmal für "The Dispossessed". Dieses Kunststück, zwei Mal für beide Auszeichnungen preiswürdig zu sein, war bisher keinem ihrer männlichen Kollegen gelungen, und inzwischen zählt Ursula K. Le Guin zu den wenigen kanonisierten weiblichen SF-AutorInnen.

Die beiden preisgekrönten Werke liegen nun auch in Deutschland wieder vor. Ersteres nicht wie in den 70-er Jahren unter dem Titel "Winterplanet", sondern als "Die linke Hand der Dunkelheit" und neu bevorwortet. "The Dispossessed" heißt zwar nach wie vor "Planet der Habenichtse", ist jedoch neu übersetzt.

Bei dem Roman "Die linke Hand der Dunkelheit" handelt es sich um nicht weniger als die erste Geschlechter-Utopie: Die Menschen auf dem Planeten Winter, die Gethianer, sind vier Fünftel ihres Erwachsenenlebens geschlechtslos, nur während der sogenannten Kemmer entwickeln sie vorübergehend männliche oder weibliche Geschlechtsorgane, wobei sie vorher weder wissen, welches Geschlecht sie annehmen werden, noch Einfluss darauf haben. Auch haben sie keine bestimmte Vorliebe für eines der Geschlechter. Sind sie nach dem Verständnis des auf ihrem Planeten gelandeten männlichen Terraners die meiste Zeit ihres Lebens "hermaphroditische Neutren", so sehen sie sich selbst als "Potentiale" oder "Integrale". Der lebenslänglich auf ein Geschlecht festgelegte und ständig sexualisierte Terraner hingegen ist für sie ein "sexuelles Monstrum". In einer Gesellschaft wie der gethenianischen gibt es keine Vergewaltigung und natürlich keinen Ödipus-Mythos. Da kein Individuum weiß, ob es sich in der nächsten Kemmer-Phase zur Frau oder zum Mann entwickelt, jedeR Mutter des einen und Vater eines anderen Kindes sein kann, ist die gethenianische Gesellschaft "in ihren alltäglichen Funktionen und ihrer Kontinuität frei von Konflikten, die ihren Ursprung in der Sexualität haben", denn "jeder kann alles machen". Überhaupt, so heißt es an einer Stelle, ist "die Tendenz zum Dualismus, die das Denken der Menschen so beherrscht, auf Winter weit weniger stark ausgeprägt". Eine solche Gesellschaft vorzustellen, ist zumindest das Anliegen Le Guins, doch gelingt es ihr nur bedingt. Zwar sind Denken und Gemeinschaft nicht durch die Geschlechterdichotomie bestimmt, doch ist "alles [...] dem Somer-Kemmer-Zyklus unterworfen", einer anderen Dichotomie also.

Das Buch ist von feministischer Seite - zum Teil sehr heftig - dafür kritisiert worden, dass die angebliche Geschlechter-Utopie in einer durchgängig männlichen Sprachform erzählt sei und herkömmliche patriarchalische Werte und männliches Gedankengut transportiere. Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Zwar handelt es sich bei der Erzählfigur um einen männlichen Terraner, dessen geschlechterhierarchisches Denken sich notwendig in seiner Darstellung niederschlägt. Doch auch die Gethenianer selbst reden in ihren zwischengeschalteten Berichten von "alten Männern", wenn sie alte Menschen - respektive alte Gethenianer - meinen, oder führen Sprichwörter wie "Ein Mann muß seinen eigenen Schatten werfen" im Munde. Le Guin hat die feministische Kritik ernst genug genommen, um in dem 1976 erschienen und 1987 überarbeiteten Aufsatz "Is Gender Necessary? Redux" auf sie zu reagieren und sich dafür zu entschuldigen, dass alle Charaktere des Romans Männer zu sein scheinen, da sie es - weitgehend - unterlassen hat, Androgynität auch von einem weiblichen Standpunkt aus zu beschreiben. Nur in einem einzigen Kapitel, dem Bericht einer Terranerin über die Sexualität der Gethenianer, gelingt ihr das. Trotz dieses gravierenden Mangels handelt es sich bei dem seinerzeit bahnbrechenden Werk nach wie vor um eine lesenswerten Geschlechter-Utopie, die eine Gesellschaft beschreibt, die im übrigen alles andere als frei von Gewalt und Herrschaft ist.

Im "Planet der Habenichtse", dem zweiten Roman, stehen sich die kapitalistische Welt Urras, die in fast allem an die Verhältnisse auf der Erde der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert (Urras wird im Englischen fast genauso ausgesprochen wie earth), und das anarchistische Anarres gegenüber, das sich allerdings weniger durch die Vorzüge eines idealen Anarchismus auszeichnet als durch die Mängel des 'real existierenden Sozialismus' zur Zeit von Le Guins Arbeit an dem Roman. Zwar stehen die unterschiedlichen politischen Gesellschaftsformen und mit ihnen auf vielfältige Weise verknüpfte physikalische Überlegungen und Theorien im Mittelpunkt, doch wird auch hier das Geschlechterverhältnis problematisiert. Bereits auf den ersten Seiten wird die Gesellschaftsform der Urrastis männlich aggressiv metaphorisiert und die der Anarrestis weiblich: Ein Urrasti trägt "ein seltsam phallisch geformtes Metallobjekt, und blickt herablassend auf die unbewaffnete Frau [von Anarres] herab". Überhaupt handelt es sich bei den Urrasti um Frauenverachter ersten Ranges. Auf einen Bericht des - männlichen - Protagonisten, dem genialen Physiker Shevek ,über die Gleichberechtigung auf Anarres antwortet einer der "Propertarier" empört: "Sie können mir doch nicht weismachen, dass sie sich ständig" auf das Niveau der Frauen "herabbegeben", die doch "nur mit dem Uterus" denken. Aber auch etliche der Anarchisten sind nicht frei von misogynen Auffassungen: "Eine Frau kann niemals ein richtiger Odonier sein", meint einer der Anarresti. Der Einwand, dass Odo selbst, die Begründerin der anarchistischen Ideologie, eine Frau gewesen sei, beeindruckt ihn wenig. Die sei bloß Theoretikerin gewesen, tatsächlich aber wollten die Frauen die Männer besitzen; und außerdem, so fügt er hinzu, mache "das Kinderkriegen" die Frauen zu "Propertariern". "Ich glaube", wird ihm nicht weniger biologistisch entgegengehalten, "Männer müssen erst lernen, Anarchisten zu sein. Frauen brauchen das nicht lernen."

Doch wollte Le Guin mit den Habenichtsen und ihrem Planeten weder ideale Menschen schildern, noch eine ideale Gesellschaft. Zu deutlich zeichnet sie die Schwächen und Mängel beider. Nicht nur die Urrasti, auch viele der Menschen auf Anarres sind hab- und machtgierig, intrigant und Karrieristen, obwohl es dort offiziell weder eine Hierarchie noch Eigentum gibt. Doch dafür werden die Anarresti gelegentlich "gezwungen, auf eigenen Wunsch für einige Zeit wegzugehen", weil die Gesellschaft sie andernorts braucht - oder auch, weil sie einem Mächtigeren im Weg sind. "Ein Paar, das eine Partnerschaft einging, tat dies in voller Kenntnis der Tatsache, dass es jederzeit durch die Erfordernisse der Arbeitsteilung getrennt werden konnte." Es gibt Zwangsarbeit, und Dissidenten werden schon mal zur "Therapie" auf einsame Inseln verbracht, und schon im ersten Teil des Romans stellt Shevek resignierend fest, "dass man für niemanden etwas tun kann. Wir können uns nicht gegenseitig retten. Nicht mal uns selber."

Titelbild

Ursula K. Le Guin: Die linke Hand der Dunkelheit.
Heyne Verlag, München 1999.
346 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3453164156
ISBN-13: 9783453164154

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Ursula K. Le Guin: Planet der Habenichtse.
Argument Verlag, Hamburg 1999.
464 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3886199436

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch