Tochter des berühmten Vaters

Regina Dieterle zeichnet das Leben der Martha Fontane nach

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl zu Frühjahrsbeginn - nämlich am 21. März 1860 - geboren, war Martha Fontane kein Frühjahrskind. Das Leben war ihr schwer, sie blieb die Tochter des Vaters, das wollte sie auch sein, aber sie litt trotzdem darunter, als ledige Jungfer alt zu werden. Die Beziehung zur Mutter war belastet, Wärme und Herzlichkeit fehlten - die fand sie beim Vater, doch wohl wissend, dass es da Grenzen gab, die sie vielleicht auch überschritten.

Martha Fontane kam als sechstes Kind nach fünf Brüdern zur Welt, sie entwickelte sich zur Freude ihrer Umgebung - obwohl ihre Mutter nicht begeistert war, nach fünf Geburten nochmals schwanger zu sein. Diese fürchtete sich vor der Geburt, aber auch davor, nochmals ein Kind zu verlieren - denn nur zwei der Söhne hatten überlebt. Nun hoffte sie sehr, dass es zumindest ein Mädchen würde. Diese Tochter sollte bald Vaters Liebling werden und der Mittelpunkt der Familie. Schon früh kam sie in den Genuss von Bildung, und die Eltern zögerten auch nicht, insbesondere der Vater, sie mit nur zehn Jahren nach England zu schicken, damit sie die Sprache lerne. Die Einladung der befreundeten Familie wurde freudig angenommen und Martha lebte ein Jahr im fernen London. Die folgenden Jahre verbrachte sie wieder in Berlin, und nach dem Schulabschluss war sie bereits entschlossen, Lehrerin zu werden. Mit Eifersucht verfolgte sie, wie ihre Freundinnen heirateten.

1878 erkrankte Martha Fontane erstmals ernsthaft, Typhus wurde die Krankheit genannt, worunter damals verschiedene akute "Infektionskrankheiten" verstanden wurden. Die Krankheit war lebensgefährlich, entsprechend groß war die Sorge des Vaters um seine Tochter, umso mehr als er aus Erfahrung wusste, wie schlimm sie sein konnte. Beinahe gleichzeitig erkrankte Theodor Fontane ebenfalls an einem nervösen Leiden. Martha blieb ihr ganzes Leben lang anfällig, sie war oft krank, litt an Verdauungsstörungen, Fieber und Schlaflosigkeit. Verschiedentlich wurde bei ihr wie in dieser Zeit bei Frauen oft "Hysterie" diagnostiziert. Welchen Namen die Krankheit auch immer hatte, Tatsache war, dass Martha sehr leidend war und als Lehrerin immer wieder arbeitsunfähig war. Zu lange brauchte sie, um sich jeweils zu erholen.

Martha pflegte einen regen Briefwechsel und weilte oft auf Besuch bei befreundeten Familien. In Zeiten, in denen sie von zu Hause weg war, gingen zahlreiche Briefe zwischen Tochter und Vater hin und her. Von allem erzählte sie dem Vater, nur Herzensangelegenheiten blieben auch vor ihm geheim. Sie bewunderte ihren Vater und wurde von ihm geliebt. Und sie versuchte auch, ihm als Schriftstellerin nachzueifern. 1882 entwarf sie ihre erste Novelle, die jedoch trotz des väterlichen Empfehlungsschreibens von der "Illustrierten Frauen-Zeitung" umgehend zurückgeschickt wurde mit harten Worten: "Die Novelle des Frl. Fontane ist, von andern Mängeln abgesehen, ohne jegliche Handlung."

Martha Fontane war eine für ihre Zeit außergewöhnlich gebildete junge Frau, die viel in Europa herumgekommen war. Und es verstärkte sich mit den Jahren eine Abhängigkeit vom Vater, die sie nie überwinden lernte - und die zu überwinden er ihr wohl den Spielraum nicht gelassen hätte. Und so begann sich das Leben zu wiederholen. Reisen, Briefe schreiben, dem Vater zur Seite stehen, schwere Erkrankungen. Ruhe- und Schlaflosigkeit sowie diffuse Ängste verschärften sich nach dem Tod ihres ältesten Bruders George im September 1887 und wiederholten sich immer wieder. Sie konnten jeweils monatelang dauern. Zwei Jahre später schrieb sie in einem Brief nach Hause, es gehe ihr nicht gut und sie versuche, sich mit Rotwein zu trösten. Der Vater meinte dazu: "Wäre es nicht ernst, so wäre es eine komische Situation: eine mit einer Flasche Rotwein gegen Angst verteidigte Dame." Früh schon begann, was als Alkoholabhängigkeit zu bezeichnen wäre. Jeder Verlust eines geliebten Menschen versetzte sie in eine Krise, das war beim Tod von befreundeten Menschen ebenso wie dann 1898 beim Tod des Vaters. Anfang 1898 hatte sich Martha - für alle überraschend und gegen heftigen Widerstand beider Elternteile - mit dem 59-jährigen Karl Emil Otto Fritsch verlobt; sie war 37 Jahre alt. Fritsch war ein Jahr zuvor zum zweiten Mal Witwer geworden, Martha und er hatten sich bereits länger gekannt. Die offizielle Feier erfolgte am 16. September 1898, nur vier Tage vor Fontanes Tode.

Das Paar hielt am Heiratsdatum fest, die Trauung fand am 4. Januar 1899 statt. Nach der Hochzeitsreise bezogen sie eine Wohnung in Berlin. Für Martha begann ein neuer Alltag. Ihr Mann, der erfolgreiche einflussreiche Mitbesitzer und Hauptredakteur der "Deutschen Bauzeitung", war kein Gesprächspartner, wie sie bis dahin gewohnt war. Es folgte eine ruhelose Zeit mit unzähligen Umzügen, aufs Land und wieder zurück in die Stadt. Im Winter 1904/1905 war erstmals die Rede von einer Kur, die dem Entzug dienen sollte. "Ich bin ein Flaschenkind", hatte Martha schon in jungen Jahren, damals scherzend noch, gemeint. Es waren schwierige Jahre, insbesondere als Fritsch zunehmend von Krankheiten geplagt war und seiner leidenden Frau nicht mehr unterstützend beistehen konnte. Fritsch starb am 31. August 1915. Martha Fritsch-Fontane litt unter dem Verlust. Sie lebte in Berlin, besuchte oft ihren Bruder Friedrich - er war vier Jahre jünger als sie -, der vor allem als Nachlassverwalter des Vaters tätig war. Ihr Leiden verstärkte sich. Im September 1916 begab sie sich auf ihren Landsitz in Mecklenburg. Die Herbst- und Wintermonate verbrachte sie dort, fühlte sich überfordert, das Anwesen ohne männliche Hilfe zu leiten, litt unter Ängsten. Die hohen Arztrechnungen ließen sie befürchten, einmal als mittellose Witwe dazustehen. Der Krieg dürfte ihre schlechte psychische Verfassung noch verstärkt haben. Am 10. Januar 1917 erlag Martha Fritsch-Fontane den Verletzungen, die sie beim Sturz aus einem Fenster ihres Hauses erlitten hatte. Obwohl man nicht öffentlich von Selbstmord sprechen wollte, bestanden keine Zweifel, dass sich Fontanes einzige Tochter das Leben genommen hatte.

Regina Dieterle erzählt das Leben von Martha Fontane in ihrer Biografie "Die Tochter" sehr genau und mit unzähligen Details. Sie stützt sich auf eine Fülle von Quellen und Literatur, sie beleuchtet Entwicklungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Bedeutung waren, sie stellt Personen vor, die in irgendeiner Form mit den Fontanes verbunden waren. Manchmal wird das alles fast zu viel. Es ist zuweilen schwierig, den Faden nicht zu verlieren, denn Dieterle vermeidet es konsequent, Gewichtungen vorzunehmen oder Einschätzungen zu formulieren. Es bleibt so den Lesern überlassen, wie Ereignisse zu bewerten sind. Manchmal würde man sich auch eine etwas flüssigere Sprache wünschen, da sich die Biografie an ein breiteres Publikum richten will.


Titelbild

Regina Dieterle: Die Tochter. Das Leben der Martha Fontane.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
432 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3446207740

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