Klein, blond und problematisch
Julia Zange und ihr Debütroman eines ziellosen Lebens
Von Behrang Samsami
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFolgt man dem Klappentext von Julia Zanges Erstlingswerk "Die Anstalt der besseren Mädchen", so könnte man zumindest für den ersten Teil der Handlung an Irmgard Keuns 1931 erschienenen Roman "Gilgi - eine von uns" denken: Eine junge, attraktive Frau, Mitte Zwanzig, wohnhaft in Berlin und mit Namen Loretta, die in den Tag hinein lebt, verliebt in ihrem Freund Malte, der als Arzt arbeitet, wird eines Tages schwanger. Nach einiger Zeit verlässt sie ihren Partner, um sich in einem Mädchencamp wieder zu finden, wo sie viel in der Natur herumstreift und sich mit einem anderen Mädchen vergnügt, sich dann aber zum Schluss für Malte entscheidet und nach Berlin zurückkehrt, wo alles wieder ist wie zuvor. So weit der Inhalt von Julia Zanges Debüt in aller Kürze.
Doch es ist besser, diesen Roman nicht mit "Gilgi - eine von uns" zu vergleichen. Besitzt Keuns Erstling eine feste, innere Struktur und eine Botschaft am Ende, dass es nämlich wichtig sei, dass Frauen lernen, ihr Leben selbstständig zu gestalten und zu führen. So fehlt in Zanges "Anstalt der besseren Mädchen" jedoch solch eine klare Message, bleibt die Protagonistin doch ohne jede Entwicklung eine statische Figur. Wenn man wollte, könnte man das Buch der 1983 in Darmstadt geborenen Schriftstellerin vielleicht als eine "negative" Gilgi-Version bezeichnen.
Halten wir uns an den Klappentext, so sagt er, dass Julia Zanges Debüt "stilsicher poetisch, unverstellt, eigenwillig glitzernd" sei. Das stimmt - aber nur teilweise. Teilweise deshalb, weil die Qualität des Buches schwankend ist, sehr gut geschriebene Passagen wechseln immer wieder mit weniger gelungenen ab. So gibt es eine ganze Reihe von Sätzen, die im Nachhinein entweder unnötige Informationen enthalten oder im Ganzen redundant erscheinen: "Diese Zähheit beruhigt Lore sehr, und sie entscheidet sich, etwas zu essen und sich dann für eine Weile an eine Hauswand in der Nähe des Rosenthaler Platzes zu lehnen."
Was nun den Inhalt betrifft, so herrscht anfangs Verwirrung: Kaum bei ihren Eltern angekommen, bittet Loretta ihren Freund, sie wieder nach Berlin zurückzufahren. Dort tut sie nicht viel außer durch die Straßen zu flanieren, Partys im Prenzlauer Berg mit oberflächlichen Künstlern, Studenten und "besseren" Menschen zu besuchen und sich unentwegt Liebesspielen hinzugeben: "Malte stöhnt bei jeder Berührung hoch und artikuliert, seine Bewegungen drücken überlegte Erotik aus. Er widmet sich ihrer Muschi hingebungsvoll, als würde er Risotto rühren."
Man muss zwischen den vielen Beschreibungen von Straßenszenen, Kleidungsstücken und Sexabenteuern schon eine Weile suchen, bis man auf das Problem der jungen Frau stößt: Die kleine, blonde und problematische Loretta leidet trotz ihrem vielgeliebten Freund an Einsamkeit. In diesem Sinne ist es auch möglich, den Roman als Soziogramm zu lesen, der hinter die Fassaden der heutigen, schnelllebigen und glitzernden Konsumgesellschaft blicken lässt. Wie viele Ablenkungen und Angebote es auch geben mag, diese sind langfristig nicht das Allheilmittel, das Alleinsein und die daraus resultierende Melancholie der Menschen in der modernen Gesellschaft zu übertünchen. Und weil derartige Seelenstimmungen die gute Laune verderben, werden sie nur verschüchtert formuliert: "Am Balkon einer ehemaligen Funktionärswohnung steht eine Frau und schneidet Blumen die Köpfe ab, ein Mann hängt über dem Fensterbrett. Dieses Jahr ist die Selbstmordrate erstmals unter 10 000 gesunken. Wenn es ein Leben gäbe, wäre ich gern dabei."
Die Situation ändert sich auch nicht grundlegend, als Loretta schwanger wird. Eine Abtreibung kommt für sie nicht in Frage. Es ist dennoch nicht erstaunlich, dass sie ihrer Tochter nur Desinteresse entgegenbringen kann. Sie lässt die kleine Marla allein zuhause, streift wieder durch die Straßen und kommt erst abends - und dann müde - nach Hause. Streitereien mit Malte bleiben nicht aus. Der Ton seinerseits wird rauer: "Du hast wirklich nur Müll im Kopf. Ich bitte dich, das nicht aufzuschreiben und niemandem zu erzählen."
Dieses "das" bezieht sich auf Lorettas Ansichten über die Kindererziehung, die sich durch Härte, ja Brutalität auszeichnen: "Diese Wohnung werden keine Au-pair-Mädchen betreten. Außerdem meinte ich, dass sie entweder verwahrlosen oder vollkommen verfeinert werden sollte. Also, wir könnten uns wenig um sie kümmern und sie so schnell zu Selbständigkeit und starkem, blütenweißem Willen erziehen, in einer rauen Kinderkrippe oder im Hundekorb des Agenturbüros, oder sie wird ab sofort in jeder Faser kultiviert."
"Was ist das Dilemma?" überlegt sie, "sie kann sich dem Lauf der Dinge fügen und entscheiden, glücklich zu sein, aber sie möchte die schützende Decke aus Traurigkeit nicht hergeben. Es muss eine radikale Lösung gefunden werden!" Die junge Frau, die sich bisher von ihrem Freund hat leiten lassen, die so vor sich hin gelebt hat, entscheidet sich plötzlich, sich von Malte zu trennen. Sie verlässt Berlin, fährt ins Umland und gerät in eine "Künstlerkolonie" mit anderen jungen Frauen, die in ihrer Darstellung an Fotos und Filme von David Hamilton erinnern.
Dabei ist die Philosophie dieser "Anstalt der besseren Mädchen" einfach: "Wir wollen hier nur einen Ausweg finden. Der Ausweg heißt Hingabe, Lo, und Kunsthandwerk." Doch auch hier lebt die junge Mutter nicht viel anders als in der Großstadt. Während andere Mädchen Marla stillen, vergnügt sie sich mit "CK" in der Natur, sinnt mit dieser über das Dasein nach, kommt aber auch damit nicht weiter.
Weiter kommt dagegen die Sprache des Romans. Nach der ersten Hälfte entwickelt sich erst spät eine eigene Poetik. Julia Zange reiht nicht mehr Erlebnis an Erlebnis, sondern schafft einen imaginären Raum, in dem sich ihre lyrische Ausdruckskraft entfalten kann. Allerdings gelingt dies auch wieder nur gelegentlich, da immer wieder Stellen mit einer groben, an Kraftausdrücken reichen Sprache die wenigen, die sich durch Zartheit und bildliche Schönheit auszeichnen, in den Hintergrund drängen: "Die Tage auf dem Land werden immer länger, denn Lo kann nicht mehr schlafen. Sie versucht nachts unter dem Leinlaken sich ihren Engel vorzustellen. Er legt sich auf sie und schmiegt seine kühle Wange an ihre, dann gleitet sie an ihm entlang in die Wölbung seiner riesigen Flügel, sie fällt hinein in die lieblich weiche Falle, die Flügel aus weißen Schwanenfedern schließen sich. Lore reibt ihren Schwanenhals an den Federn, sie dreht den Kopf wie ein Schwan nach hinten, wenn sie sich putzen zwischen den Flügeln am Rücken oder den Schnabel wollüstig scheuern."
Ganz am Ende entscheidet sich Loretta, wieder zu ihrem Freund zurückzukehren. Sie und Marla gehen nach Berlin und alles ist wie zuvor. Die junge Mutter ist gefangen in ihrer Abhängigkeit von Malte und bleibt hoffungslos verloren in ihrer - freilich selbst gewählten - Einsamkeit und Traurigkeit. Nicht, dass sie es nicht schaffen könnte - sie möchte sich einfach nicht von ihrer Trägheit und Willensschwäche lösen. Und so ist es auch Herrn Katzenellenbogen, einem ihr bekannten Patienten aus Maltes Krankenhaus, nicht möglich, sie vom Gegenteil zu überzeugen: "Sie müssen Aufarbeitung betreiben, Fräulein Lore. Wenn wir nur in den Tag hinein leben, sind wir wie Tiere." Sie kontert: "Ich glaube, das Leben ist zu kurz, um sich anzustrengen."
Kein positiver Schluss, kein richtiges Happy End. Ist diese Geschichte, von der Julia Zanges Debütroman erzählt, zwar in ihrer Komposition nicht einheitlich und stilistisch von unterschiedlicher Qualität, so gelingt ihr aber mit der statischen Protagonistin etwas Seltenes. "Die Anstalt der besseren Mädchen" verweigert sich von Anfang an einer ganz bestimmten Lesererwartung, nämlich dass sich Loretta doch früher oder später weiterentwickeln und ihre Fehler einsehen müsse. Das tut sie nämlich nicht. Ganz im Gegenteil beharrt sie auf ihrer Meinung und sorgt damit für Verwirrung und Verärgerung beim Rezipienten. Und was kann ein Buch mehr wollen als dass man anfängt, scheinbar Selbstverständliches in Frage zu stellen?
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