Ein von Dorothee Kimmich und Wolfgang Matzat herausgegebener Band beschäftigt sich mit den interkulturellen Aspekten der "Höflichkeit in Literatur und Sprache"

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anstand hat - so liest man - Konjunktur. Ein Gleiches gilt für Bücher, die erklären, wie man ihn möglichst schnell erwerben und woran man ihn möglichst verlässlich erkennen kann. Die dafür zuständigen wissenschaftlichen Disziplinen haben bisher allerdings noch nicht Schritt gehalten mit dem Boom der Ratgeber für außerberuflichen Alltag, Flirt und Karriere und mit der in den einschlägigen Feuilletons geführten Debatte über diesen Trend.

Der von Dorothee Kimmich und Wolfgang Matzat besorgte, aus einer Tagung hervorgegangene Band über "interkulturelle Aspekte der Höflichkeit in Literatur und Sprache" bildet hier eine Ausnahme. Er richtet den Fokus auf Strukturen und Mechanismen alltäglicher wie literarischer Kommunikation. Systematisch liegt ein Schwerpunkt auf deutsch-französischen Interferenzen, historisch auf den letzten drei Jahrhunderten. Präsentiert und in einer Einleitung kurz charakterisiert werden insgesamt zehn Beiträge zu literatur-, kultur- und sprachwissenschaftlichen Fragen der Höflichkeit. Helga Meise untersucht das Zusammenspiel von Höflichkeit und Authentizität in zwei Texten der deutschen Aufklärung, in Johann Michael von Loens "Der redliche Mann am Hofe " und im Lustspiel von J. S. Valvaise "Der würdige Hofmann". Karl Heinz Götze widmet sich dem Blick goethezeitlicher Autoren auf die französische Gesellschaftskultur und ihre Metaphorik, Ingrid Haag konzentriert sich auf die in J.M.R. Lenz' literarischen Texten angestellten Überlegungen zur Höflichkeit. Den ersten, "Höflichkeit: ein schwieriges Erbe" benannten Teil des Bandes beschließt ein mit dem Zusammenhang von Liebe und Hofkultur in Stendhals "De l'amour" (1822) befasster Aufsatz von Wolfgang Matzat.

Die folgenden Beiträge sind "Kontinuität und Aktualisierung der Höflichkeitsdiskussion" gewidmet und fassen das zentrale Problem unter den Bedingungen einer fest etablierten bürgerlichen Kultur in den Blick. Joëlle Gleize arbeitet heraus, wie Texte Honoré de Balzacs seismografisch einen Funktionswandel der Höflichkeit registrieren und Volker Mergenthaler zeigt, wie Georg Simmels "Soziologie der Mahlzeit" scheinbar entleerten Formalismen der Höflichkeit ein ethisch-ästhetisches Fundament unterlegt. Thomas Keller richtet sein Augenmerk auf die Zwischenkriegszeit, in der Höflichkeitsformen in die Habitusprogramme der politischen Rechten und Linken Eingang gefunden hat. Beschlossen wird der Band von einem sprachwissenschaftlichen Teil, in dem Peter Koch die Metonymie als uneigentlichen und für den Höflichkeitsdiskurs typischen Tropus untersucht. Der historischen Semantik einschlägiger Wörterbucheinträge im Deutschen wie im Französischen gehört das Interesse des Beitrags von Barbara Kaltz, Tilman Bergers Aufsatz schließlich arbeitet heraus, dass und wie weit Semantik und Pragmatik der Höflichkeit in slawischen Sprachen unter westeuropäischem Einfluss stehen.

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Titelbild

Dorothee Kimmich / Wolfgang Matzat (Hg.): Der gepflegte Umgang. Interkulturelle Aspekte der Höflichkeit in Literatur und Sprache.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
221 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783899428209

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