Die tägliche Wahrheit über Ronny Lawton

Michael Collins' Roman "Tödliche Schlagzeilen" ist eine beängstigende Stimmungsstudie

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was bleibt zurück? Hoffungslosigkeit? Depression? Die ungemeine Hitze? Der Hintern von Ronny Lawtons Ex? Die Erinnerung an das Einschussloch in der Wand der herrschaftlichen Villa der ehemaligen Eisbarone? Die Eindrücke von einer herunter gekommenen Industriegegend? Die ewigen Thunfischtoasts (widerlich)? Die vergrabene Heckenschere? Der verwesende Kopf auf der Stange? Oder: Die vergeblichen Versuche der "Täglichen Wahrheit" - einer Provinzzeitung irgendwo in den USA - gegen das Fernsehen anzustinken?

Vielleicht das eine oder das andere davon. Bei jedem etwas anderes und im Allgemeinen ein Gefühl, dass die Lektüre dieses Romans ungemein quälend ist - so quälend, dass man sich notwendig fragen muss, warum man sich so etwas antut.

Dann aber nimmt das alles derart Fahrt auf, dass die quälenden Seiten, bei deren Lektüre sich das gegenwärtige Krisengerede wie ein optimistisches Geplauder anhört, auf einmal Sinn und Verstand haben. Sie sind die Basis für alles, was gegen Ende von Collins' Roman (der im Deutschen auf einen wie häufig dämlichen Titel hört: "Tödliche Schlagzeilen") geschieht.

Bill ist der letzte Erbe der erwähnten Eisdynastie, die als Industrieunternehmen mit Bills Vater, der sich die Rübe weggepustet hat, ebenso untergegangen ist wie all die anderen Fabriken und Unternehmen, die die einstmals blühende (wahrscheinlich hat es furchtbar gestunken) Industrieregion ausgemacht haben. Jetzt ist von alledem nichts mehr da außer Ruinen und deprimierten Menschen. Jeder schlägt sich so gut durch wie er oder sie kann.

Da es mit dem Jura-Studium nichts ist, verdient sich Bill ein paar Kröten als Redakteur der "Daily Truth", und zwar in der Regel mit Artikeln über den lokalen Backwettbewerb oder mit Sommer-Porträts der regionalen Baseball-Mannschaften. Und das, obwohl ihm am meisten an der Erklärung der Welt aus dem Geiste Friedrich Nietzsches und des Untergangs des industriellen Abendlandes gelegen wäre. Nur will das partout niemand lesen, und erst recht nicht in der Zeitung.

Also schreibt Bill und denkt sich, was ihm gefällt, und wirft das Ergebnis, so es Papier geworden ist, einfach wieder weg. Natürlich leidet Bill am Tod seines Vaters, an seiner Unfähigkeit zum akademischen Studium, am Verlust seiner Freundin (wenigstens was das angeht, kann dem Manne geholfen werden), am Niedergang der Gegend, an seiner Arbeit und an diversen anderen Dingen auch.

Nicht einmal das Verschwinden von Ronny Lawtons Vater kann ihn aus diesem Leidenskosmos erlösen - und soll es wohl auch nicht. Dennoch ist dies die Story seines Lebens und die seiner Zeitung.

Sein Chef Sam prügelt ihn fast zum Sensationsjournalismus, dessen Opfer Ronny Lawton selbst wird. Denn auch wenn Ronny seinen Vater höchstselbst als vermisst gemeldet hat, gerät er doch schnell zum Hauptverdächtigen in diesem Fall, in dem alles klar zu sein scheint.

Wenigstens für Sam. Ronny wird an den Pranger gestellt. Da aber erst einmal nichts weiter gefunden wird als Blut im Haus und ein kleiner Finger, muss Ronny wieder laufen gelassen werden und entwickelt sich zu einer lokalen Sensation. Der Diner, in dem er als Hilfskoch arbeitet, wird zum Szenetreff, der angebliche Vatermörder Ronny ist die Attraktion der Stadt und er bleibt es für lange Zeit.

Die Collins nutzt, um aus Ronny und Bill ein unheimliches Gespann zu machen, zu dem schließlich noch Ronnys Ex Teri stößt. Die drei Verlierer ziehen sich anscheinend unabwendbar an, so sehr, dass sie es sind, denen der unvermeidliche Showdown gewidmet ist.

Dabei stehen letztlich der Tod des Vaters, seine Leiche, der Mord - oder was auch immer es gewesen sein mag -, die Aufklärung dieses oder überhaupt eines Verbrechens nicht mehr im Mittelpunkt der Geschichte. In deren Zentrum rücken Ronny, der zum ersten Mal so etwas wie Aufmerksamkeit erfährt, Bill, der wider Willen zu einer Art Starreporter wird, und Teri, die zwischen diesen beiden Männern steht. Es entwickelt sich eine Attraktion, die diese drei Figuren mehr und mehr aneinander bindet, immer enger aneinander schließt, bis es schließlich zur Eskalation des ganzen Niedergangs kommt.

Dass am Ende alles in Flammen aufgeht, ist dabei - wenn man so will - die ironische Schlusspointe der Geschichte vom letzten Spross der Eisdynastie. Dass Teri und Bill entkommen und ins Blaue hineinfahren, ist so etwas wie der einzige Ausweg, den der Plot bietet. Das ist typisch amerikanisch, nicht weniger als die Niedergangsszenerie, die Hitze und dieser merkwürdige Widerspruch zwischen Bigotterie und sexueller Freizügigkeit.


Titelbild

Michael Collins: Tödliche Schlagzeilen. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eva Nonné.
btb Verlag, Ligist 2008.
380 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783442737925

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