Latent kulturvermittelnde Funktion

Claudia Seeling über den Gender- und Nationaldiskurs bei Marie von Ebner-Eschenbach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um 1900 zählte Marie Ebner-Eschenbach zu den erfolgreichsten AutorInnen deutscher Sprache. Heute wird man nicht nur in den meisten Buchhandlungen vergeblich nach ihren Werken Ausschau halten - auch die Forschung hat sich, nach einem eher kurzfristigen Interesse der feministischen Germanistik in den 1970er- und 1980er-Jahren, von ihr abgewandt. Nun aber hat Claudia Seeling eine Dissertation "zur Interdependenz von Gender- und Nationaldiskurs bei Marie von Ebner-Eschenbach" verfasst, die zwar wohl nicht das Publikumsinteresse an der weithin unterschätzten Literatin zu steigern vermag, aber einen wertvollen Beitrag sowohl zur Forschung der Verknüpfung von Gender- und Nationaldiskurs in der Habsburgermonarchie wie auch zu der ziemlich daniederliegenden Ebner-Eschenbach-Forschung leistet.

Zunächst einmal moniert Seeliger Feststellungen wie die zu Beginn dieser Rezension getroffene, da sie ganz ungerechtfertigter Weise die "faktische Bikulturalität" der "väterlicherseits aus einem tschechischen, mütterlicherseits aus einem deutschen Geschlecht" abstammenden Literatin außer acht lasse und somit deren "latente kulturvermittelnde Funktion" nicht in den Blick bekomme. Dabei seien Ebner-Eschenbachs literarische Arbeiten "prädestiniert" dafür, "die wesentlichen Parameter von Differenz und Ungleichheit innerhalb der Habsburgermonarchie, nämlich 'deutsch' und 'nicht deutsch' beziehungsweise 'deutsch' und 'tschechisch' zu verhandeln."

Genau dies zu leisten hat sich die vorliegende Untersuchung zum Ziel gesetzt, ohne sich allerdings darauf zu beschränken. Vielmehr übernimmt sie die darüber hinausweisende These der "gendersensiblen Nationalismusforschung", dass der Nationalismus die Ungleichheit der Geschlechter "stabilisiert und fundamentalisiert" und geht diesem Zusammenhang am Beispiel von Ebner-Eschenbachs Erzähltexten "Božena" (1876), "Bertram Vogelweid" (1896) und "Mašlans Frau" (1901) sowie in ihrem autobiografischen Text "Meine Kinderjahre" (1906) nach.

Überzeugend legt die Autorin dar, dass und wie die untersuchten Texte sowohl auf den zeitgenössischen national- als auch den genderpolitischen Kontext und beider "Interdependenzverhältnis" reagierten.


Titelbild

Claudia Seeling: Zur Interdependenz von Gender- und Nationaldiskurs bei Marie von Ebner-Eschenbach.
Röhrig Universitätsverlag, St Ingbert 2008.
318 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783861104490

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