Neologismen der Science Fiction

Peter Schlobinskis und Oliver Siebolds „Wörterbuch der Science-Fiction“ zu konsultieren, lohnt sich kaum

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer könnte schon aus dem Stegreif erklären, was Meskeliten sind? Oder ein Simuloid? Das Subäther-Prinzip? Verosion? Thropis? Gyro-Gyrotor? Wohl kaum jemand. Ein „Wörterbuch der Science-Fiction“ scheint daher eine gute Sache zu sein. Denn all diese Begriffe sind dem Genre entnommen. Sie und viele andere werden von Peter Schlobinski und Oliver Siebold in einem nun erschienenen SF-Lexikon erklärt.

Wie die Autoren darlegen, ging das Nachschlagewerk im wesentlichen aus den Erträgen zweier Seminare zur Sprache der Science Fiction hervor, die in den Jahren 2005 und 2006 an der Universität Bielefeld stattfanden. Aus den von Studierenden ausgewerteten Prosatexten entstanden nicht weniger als 15.000 Worterklärungen. Schlobinski und Siebold haben eine „sinnvolle Auswahl“ getroffen und sie „durch eigene Lektüre und Sammelarbeit fortlaufend ergänzt“. Darüber hinaus wurden „Wortlisten im Internet“ etwa zur Heftreihe „Perry Rhodan“ und den „Star Trek“-Fernseh-Serien ausgewertet. Wie die Autoren versichern, repräsentiert die zu Grunde gelegte Textauswahl einen „breiten Querschnitt“ der SF und deren „wichtigste[r] Subgenres“: „Dystopien“, „naturwissenschaftlich-technisch ausgerichtete“ SF, „die New Wave“, „der Cyberpunk“ und die „parodistische Science Fiction“.

Die feministische Science Fiction zählt für Schlobinski und Siebold hingegen offenbar nicht dazu.Das Manko, für das dieses Fehlurteil steht, zieht sich durch das ganze Lexikon. Schon lange ist die Science Fiction nicht mehr eine ausschließlich Männern vorbehaltene Domäne, was sie nebenbei bemerkt ja auch nie wirklich war, man denke nur an Mary Shelley, die mit „Frankenstein“ einen der frühesten SF-Romane überhaupt vorlegte. Seit den 1960er-Jahren erweisen sich Frauen sogar als die innovativeren SF-AutorInnen. Doch Begriffe aus deren Werken sucht man im vorliegenden Lexikon weithin vergebens.

Unter den gut 185 Titeln, die das Literaturverzeichnis als Primärquellen ausweist, findet sich gerade mal ein Roman der Erfolgsautorin Ursula K. LeGuin und einer vom James Tiptree jr. (das ist Alice B. Sheldon), keiner hingegen von der Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing, keiner von Margaret Atwood, keiner von Marge Piercyund erst recht keiner von weniger bekannten, darum aber nicht weniger wichtigen SF-Autorinnen wie Melissa Scott, Anne McCaffrey, Octavia E. Butler oder Gwyneth Jones. Auch keiner der deutschsprachigen Autorinnen Marlen Streeruwitz und Jutta Heinrich.Dies, obwohl die Autoren des vorliegenden Lexikons betonen, sie hätten SF-Literatur deutscher Sprache besonders berücksichtigt. Im Verzeichnis der Sekundärliteratur muss man sogar so wichtige Schriften wie Donna Haraways „Manifesto for Cyborgs“ vermissen.

Andererseits wurden gleich 18 literarische Werke von Isaac Asimov herangezogen, dreizehn von Philip K. Dick, elf von J. G. Ballard und von den deutschsprachigen Autoren natürlich Frank Schätzings misogyner „Schwarm“. Dass SF-Autorinnen oder SF-Autoren in der Bibliografie nicht verzeichnet sind, bedeutet allerdings keineswegs, dass nicht doch auf eines oder mehrere ihrer Werke rekurriert wird. So wird unter dem Lemma „Gynoid“ darauf hingewiesen, dass der Begriff von Gwyneth Jones kreiert wurde. Wann und in welchem Werk dies geschah, halten die Autoren allerdings schon nicht mehr für mitteilenswert. In einem anderem Lexem bemerken die Autoren, dass LeGuin das Wort Ansible „1966 in ihrem Roman ‚Rocannon’s World‘ erfunden“ hat. Auch er ist nicht im Literaturverzeichnis aufgelistet.

Die Bibliografie bietet noch weiteren Anlass zur Kritik. Dass Erscheinungsjahre der Erstausgaben im Literaturverzeichnis nur bei den Primärtexten genannt werden, mag ja angehen. Aber Immanuel Kant eine Publikation mit dem Titel „Von den Bewohnern der Gestirne“ anzudichten und diese nach dem von „Fetscher, J./Stockhammer R.“ herausgegebenen Band „Marsmenschen. Wie die Außerirdischen gesucht und gefunden wurden“ zu zitieren, sollte denn doch nicht sein. Tatsächlich hat Kant 1755 eine umfangreiche Schrift mit dem Titel „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Fassung und dem mechanischen Unsprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonschen Grundsätzen abgehandelt“ verfasst, deren „Dritter Theil, welcher einen Versuch einer auf die Analogien der Natur gegründeten Vergleichung zwischen den Einwohnern verschiedener Planeten in sich enthält“, in Kants Text als „Anhang. Von den Bewohnern der Gestirne“ firmiert. Doch so genau mögen es die Autoren des Lexikons nicht nehmen.

Unabhängig von alldem stellt sich die Frage, ob ein solches Nachschlagewerk überhaupt sinnvoll sein kann. Da jedes SF-Werk durch seine eigene Terminologie geprägt ist und ein noch so umfangreiches SF-Lexikon immer nur einen geringen Bruchteil erläutern könnte, dürfte sein Gebrauchswert nicht allzu hoch zu veranschlagen sein. Allerdings gibt es zahlreiche Begriffe, die sich in der SF eingebürgert haben und über die Jahrzehnte hinweg immer wieder von diversen AutorInnen benutzt werden. Roboter, Teleporter, Zeitreise oder Hyperraum sind einige der gängigsten Beispiel. Für die Erklärung solcher Begriffe könnte ein SF-Lexikon tatsächlich hilfreich sein. Das dürfte sich dann allerdings nicht darauf beschränken zu erläutern, welche Bedeutung ein Begriff in einem bestimmten literarischen Text hat, sondern müsste historisch-kritisch vorgehen und die Begriffsentwicklungen nachzeichnen. Das allerdings leistet das vorliegende Lexikon nicht einmal dem Anspruch nach.

Titelbild

Peter Schlobinski / Oliver Siebold: Wörterbuch der Science-Fiction.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
323 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783631579800

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