Logical Trouble

Ein von Daniela Rippl und Verena Mayer herausgegebener Sammelband diskutiert das vielfältige Beziehungsgeflecht von Emotionen und Geschlecht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Gender Feelings - Emotional Trouble", so ist der Beitrag betitelt, mit dem Daniela Rippl einen von ihr gemeinsam mit Verena Mayer herausgegeben Band eröffnet, der auf einer an der Ludwig-Maximilian-Universität München 2005 und 2006 durchgeführten Ringvorlesung fußt. Mit dem Titel greift sie zugleich denjenigen des gesamten Bandes auf: "Gender Feelings." Wie für solche Eingangstexte nicht unüblich, bietet sie einen Überblick über den Forschungsstand des Themas, also der Gender-orientierten Emotionsforschung und stellt einige grundsätzlicher Überlegungen an. So legt sie dar, dass "Emotionen keine festen Attribute sind, die zu einer Person gehören, sondern kulturelle Konstrukte, die geschlechtsspezifisch codiert sind und einem historischen und gesellschaftlichen Wandel unterliegen". Mithin gehöre "Performativität als Analysekategorie ebenso zu einer genderorientierten Emotionsforschung wie die gesellschaftstheoretische, interkulturelle und transdisziplinäre Perspektivierung." Es gelte daher nicht nur die "historische und soziale Produktion von gender feeling" und die "genderspezifischen emotionalen Normen und Verhaltensweisen" zu erforschen, sondern auch die "wechselseitige Beziehung von Wissenschaft und Emotionalität".

Soweit ist das überzeugend. Doch werden ihre Ausführungen durch gelegentliche Unplausibilitäten getrübt. Zwei Beispiele mögen das illustrieren. Erstens: Ihre Rede vom "Zeitalter des Gender Mainstreaming", leuchtet nicht ohne weiteres ein. Schließlich könnte man mit ebenso viel Recht vom Zeitalter der Gender-Forschung sprechen. Zwischen beiden liegt eine theoretische Kluft, denn Gender Mainstreaming fußt gerade auf den Geschlechterdifferenzen, die von der Gender-Forschung negiert werden. Ganz im Sinne des Gender Mainstreaming argumentieren etwa Ute Habel und Birgit Derntl im vorliegenden Band, wenn sie erklären, "eine neurobiologische Forschung von Geschlechtsunterschieden" könne "dem Ziel dienen, jedem Geschlecht durch Berücksichtigung des geschlechtsspezifischen Besonderheiten gerecht zu werden."

Zweitens: Rippl moniert, dass das "abendländische Denken" in einer "lange[n], gleichsam paradoxe[n] Tradition" befangen sei, in der "rational und emotional als Gegensätze betrachtet werden, obwohl das Gegenteil von emotional emotionslos ist, und das Gegenteil von rational irrational." Rippls Korrektur geht fehl, denn sie missachtet die von der 'abendländischen Tradition' genauer gesagt von der philosophischen Logik herausgearbeiteten unterschiedlichen Gegensatzformen, deren Schema gemäß emotional und emotionslos einen privativen Gegensatz bilden, rational und emotional hingegen einen polaren. Letztere tun dies zumindest dann, wenn man sie wie Rippl in einem "Komplementärverhältnis" zu einander stehen sieht. Merkwürdiger Weise meint die Autorin nun aber, gerade darum bildeten sie "kein Gegensatzpaar".

Merkwürdig ist das, weil polare Gegensätze eben dadurch bestimmt sind, dass ihre Teile sich zueinander komplementär verhalten. Ob das Verhältnis emotional/rational durch die Kennzeichnung (polarer) Gegensatz angemessen charakterisiert ist, ist allerdings noch einmal eine ganz andere Frage. Und die kann nicht ohne weiteres bejaht werden. Denn Rationalität und Emotionalität ergänzen einander nicht (nur) komplementär, sondern sie durchdringen einander vielmehr. Was nun das Begriffspaar rational/irrational betrifft, so lässt es sich zwar als konträres Gegensatzpaar fassen, sofern der Begriff irrational vernunftwidrig meint. Doch könnte man den Gegensatz in einem Kontext, in dem irrational bloß aussagt, dass etwas nicht vernünftig ist, als auch kontradiktorisch bestimmen.

Wie von Ringvorlesungen zu erwarten, bearbeiten die weiteren Aufsätze ganz unterschiedliche Gebiete des weiten Feldes der "Gender Feelings". So beleuchtet Karen Bassi etwa "The Gendering of Emotions in Early Greek Poetry" und Gerhard Neumann widmet sich "Helen Fishers Anthropologie und d[er] moderne[n] Literatur." Erstaunlich viele Beiträge aber fassen Grundsätzliches ins Auge: Catherine Lutz "Emotions and Feminist Theories", Sandra Harding "Gender, Modernity, Knowledge" und Stephanie Shields "The Education of the Emotions". Nicht immer handelt es sich bei diesen englischsprachigen Aufsätzen um Originalbeiträge.

Ebenfalls Grundsätzlichem gilt Gertrud Nunner-Winklers mit dem Klischee "Den Männern der Verstand - den Frauen das Gefühl" betitelter Aufsatz, in dem die Autorin betont, dass "empirischen Befunde und theoretischen Überlegungen [...] klar gegen die Annahme angeborener emotionaler Geschlechterdifferenzen [sprechen]". Vielmehr seien die in "unserer Kultur" "zweifellos" vorhandenen "emotionsbezogene[n] Geschlechtsunterschiede" "erlernt" und dienten "vor allem" der "Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung".

Bemerkungen der zweiten Herausgeberin Verena Mayer über den Beitrag, den die Philosophie zur Theoretisierung von "Emotionalität und Geschlechterkonstruktion" beisteuert, beschließen den Band. In ihrem Überblick, der nicht mehr als einige 'Stichproben' aus der Philosophiegeschichte bietet und als Aufsatz wohl auch nicht mehr bieten kann, gerät ihr das eine oder andere Detail etwas unscharf. So etwa in Sachen Immanuel Kant, der, wie sie richtig darlegt, die Auffassung vertrat, dass Frauen zu Grundsätzen "eigentlich nicht fähig" seien. Schief wird es allerdings, wenn sie fortfährt, die Moral des weiblichen Geschlechts müsse daher dem Transzendentalphilosophen zufolge "von außen garantiert werden". Tatsächlich substituieren laut Kant bei Frauen Gefühle wie das Mitleid die absente Fähigkeit zu Grundsätzen. So ist es ihnen zwar nicht möglich aus Moral aber doch immerhin moralgemäß zu handeln.

Der umfangreichste Beitrag gilt der "Kulturbiologie des Geschlechtlichen" und stammt von Lydia Andrea Hartl. Er zählt zugleich zu den interessantesten Texten des Bandes. Wenigstens, was das erste Drittel des unter dem Titel "Körpermoden" stehenden Aufsatzes betrifft. Nicht wegen etwaiger besonders origineller Thesen, sondern wegen seiner konzisen Darstellung aktueller Geschlechtertheorien der Emotionen. Zudem versteht es die Autorin, selbst die trockensten molekularbiologischen Fragen nicht nur verständlich, sondern geradezu unterhaltsam zu vermitteln und zu beantworten. "Die neurowissenschaftliche Wahrheit ist", resümiert sie, dass "Mann und Frau [...] sich kaum [unterscheiden], und dort, wo sich die Andersartigkeit messen lässt, ist sie ausgesprochen gering oder spielt für das Alltagsverhalten keine Rolle. Vor allem aber gibt es keine Gründe, dies als biologisch präformierte Determinante zu sehen." Die Ursachen für Geschlechtsunterschiede seien nicht in der "Biologie der Menschengehirne" zu suchen, sondern "in den Kulturen, die von eben diesen individuellen Gehirnen geschaffen werden". Denn die "Grundregel" besage, dass Erfahrungen die Biologie verändern. Wie dies geschieht und warum das so ist, legt sie überzeugend dar.

Das heißt allerdings nicht, dass es an ihrem Beitrag nichts zu monieren gibt. Um den Anspruch des Vorrangs des männlichen Prinzips zu widerlegen, scheut Hartl etwa nicht vor unmittelbaren Bezugnahmen auf die Zoologie zurück und behauptet, die "Partnerwahl" sei "in allen Spezies Sache der Weibchen". Auch müsse man "aus Befunden überall in der Biologie zur Kenntnis nehmen, dass Mütter ihren Nachwuchs sofort im Stich lassen, wenn sie den geeigneten Babysitter finden, um möglichst rasch in die Single-Scene zurückzukehren." Beide Behauptungen treffen alleine schon deshalb nicht zu, weil nicht alle Spezies zweigeschlechtlich sind. Und selbst, wenn sie zutreffend wären. So what? Was könnte diese biologische Tatsache schon über das Kulturwesen Mensch aussagen? Herzlich wenig bis gar nichts, wenn man sich nicht eines kruden Biologismus schuldig machen wollte, den doch auch die Autorin ganz explizit ablehnt.

Fast unmittelbar nach den soeben zitierten Ausführungen wendet sie sich gegen bestimmte "feministische Theorien", die auf der "nicht belegten Ansicht" gründen, "es gäbe fundamentale biologische Unterschiede und in Konsequenz auch Persönlichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen". Auch helfen "spiegelverkehrte Vorurteile" nicht, wie sie zurecht bemerkt. Genau diese ventiliert sie aber selbst. "Wenn es schwierig wird, halte man sich nicht nur nicht an die Männer, sondern besser ganz an die Frauen", rät sie. Denn diese besäßen, "gerade was Kraftreserven und Schutz vor allzu risikobehaftetem Verhalten angeht, einen durch die Evolution erworbenen Schutz." Andererseits seien aber auch "die evolutionslangen Bemühungen des männlichen Geschlechts, sich [...] als die Krone der Schöpfung zu präsentieren, keineswegs so abwegig, wie es manche Vertreterinnen des Feminismus gern hätten". Obwohl sie hier rein evolutionsbiologisch argumentiert, erklärt sie andererseits, dass "unser Verhalten" ein "höchst komplexes Gemisch aus Genen, Chromosomen, Hormonen, Physiologie, Hirnfunktionen, sozialer Interaktion und kulturellen Einflüssen ist". Wohlmeinend interpretiert dürfte gemeint sein, dass das menschliche Verhalten durch die Teile dieses Gemischs auf unterschiedliche Weise in unterschiedlichem Maße beeinflusst wird.

Abschließend moniert Hartl, dass "die Wissenschaft versucht, die Komplexität der erlebten Welt zu reduzieren", und fordert, sie solle sich statt dessen der "schwierigen Aufgabe" stellen, "multivariat zu untersuchen und zu interpretieren". Wie berechtigt diese Forderung auch immer sein mag, so ist es schlechterdings doch unmöglich, wissenschaftliche oder überhaupt irgendwelche Aussagen über die 'erlebte Welt' zu treffen, ohne deren Komplexität zu reduzieren, indem man sie beispielsweise unter einer bestimmten Fragestellung untersucht oder indem man Aussagen über bestimmte Momente und Aspekte dieser Welt trifft. Damit soll keineswegs monokausalen Erklärungen das Wort geredet oder Hartls Anliegen, "Komplexität [...] verstehen" zu wollen, widersprochen werden.

Das alles ist zwar eigentlich schon genug der Kritik. Eine letzte aber kann ebenfalls nicht unterbleiben. Hartl hat die Bibliografie zu ihrem Beitrage geradezu hingeschludert. Auch hier zwei Beispiele, einmal Sigmund Freud und einmal Kant betreffend. "Sigmund Freud. Neue Folge. G.W.XV." lautet eine Angabe in der Literaturliste. Mehr erfährt man auch nicht aus der Fußnote zu dem Zitat:: "Wollen Sie mehr über die Weiblichkeit wissen, so befragen Sie ihre eigene Lebenserfahrung, oder wenden Sie sich an die Dichter, oder Sie warten, bis die Wissenschaft ihnen tiefere oder besser zusammenhängende Auskünfte geben kann." So muss man schon selbst herausfinden, dass Hartl Freuds 1933 in der "Neue[n] Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" veröffentlichten Vorlesung "Die Weiblichkeit" zitiert, genauer gesagt, deren Schluss. Dass das Sigle der Angabe nicht aufgelöst ist, sei da nur am Rande vermerkt.

Nun zu zweiten Beispiel: Kant. Zu ihm findet sich in der Bibliografie ebenfalls nur ein Eintrag: "Immanuel Kant (1798). Anthropologie. Der Charakter des Geschlechts. S. 228". Bekanntlich hat Kant eine Schrift diesen Titels nie publiziert. Gemeint ist aber offenbar seine "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Deren Kapitel "Der Charakter des Geschlechts" hat Hartl eines ihrer beiden Kant-Zitate entnommen. Es befindet sich in der (Erst-)Ausgabe von 1798 allerdings keineswegs auf Seite 228, sondern auf Seite 285. Hartls zweites Kant-Zitat beginnt nun tatsächlich auf einer Seite 228. Und zwar derjenigen im zweiten Band der (von Hartl nicht genannten) Akademie-Ausgabe von Kants Werken. Es reicht mit einigen Auslassungen bis auf die Mitte der folgenden Seite. Vor allem aber ist es nicht der "Anthropologie" des Königsberger Aufklärers entnommen, sondern seinen bereits 1764 erschienenen "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen".

Solche und andere hier nicht näher auszuführende Mängel ihres Ausfluges in die Kultur- und Philosophiegeschichte könnten dem Umstand anzulasten sein, dass Hartl partout auf so ziemlich allen wissenschaftlichen Hochzeiten tanzen möchte. Das kann natürlich nicht gelingen. Daher wäre weniger auch hier wieder einmal mehr gewesen.


Titelbild

Daniela Rippl / Verena Mayer: Gender Feelings.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008.
252 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770544004

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