Rätsel abgelöst
Ian Rankin lässt John Rebus im Krimi "Ein Rest von Schuld" seinen letzten Fall lösen
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHorst Tappert ist tot, aber Derrick wird ewig leben? Zumindest solange es noch Kopien der Serie gibt, die übers Fernsehen oder was auch immer ausgestrahlt und angeschaut werden können. Ähnlich wird es auch John Rebus gehen, auch wenn es seinem Autor Ian Rankin derzeit nicht erkennbar schlecht geht. Immer noch bringt er jedes schöne Jahr einen dickleibigen Kriminalroman auf den Markt, um die ewig hungrige Lesergemeinde (und wahrscheinlich auch sein nicht minder hungriges Bankkonto) sättigen zu können. Trotzdem scheint es nun Zeit zu sein, sich von einem altgedienten Ermittler zu verabschieden und in Zukunft auf neue Rätsel und deren Lösungen zu verzichten. John Rebus geht in Pension, und das, obwohl er jetzt schon weiß, dass er all das vermissen wird: die Fälle, die Suche, der Stress mit den Vorgesetzten, die Gespräche mit der jüngeren Kollegin Siobhan, den miesen Tee, die nicht minder miesen Gestalten, ja auch den Hass auf den Edinburgher Oberschurken Big Ger Cafferty. Er weiß genau so gut, dass er sich nicht zum Privatermittler eignet, der Anwälten Belastungs- oder Entlastungsmaterial besorgt, der hinter untreuen Ehemännern oder -frauen herschnüffelt, der ansonsten in seinem düsteren Kleinraumbüro sitzt und seinen schlechten Whiskey schlabbert. Keine guten Aussichten also für weitere Rebus-Abenteuer. Wir werden uns wohl mehr oder weniger damit begnügen müssen, was uns Rankin bisher in Sachen Rebus vorgelegt hat. Aber wer liest Krimis schon zweimal?
Die letzte Arbeitswoche ist für Rebus angebrochen, und dennoch gibt es viel Arbeit für ihn. Ein exilierter russischer Dichter wird in einem Parkhaus erschlagen, ein Tontechniker, der die letzte Lesung des Russen dokumentiert hat, wird ermordet, sein Haus wird in Brand gesteckt, und schließlich wird Big Ger Cafferty kurz nach einem Treffen mit Rebus niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt.
Alle drei Fälle scheinen zusammen zu hängen, treibt sich doch ein russischer Unternehmer samt Tross in der Stadt herum und macht Geschäfte mit der örtlichen Entwicklungsgesellschaft, der größten schottischen Bank und mit Cafferty. Das lässt einiges vermuten, zumal der Russe, Cafferty und der Dichter am Abend des ersten Mordes in derselben Hotellobby waren und dort zusammen getrunken haben. Finstere Geschäfte, in die die schottische Elite verstrickt ist? Die polizeiinternen Bemühungen, Rebus und seine Kollegin Siobhan auf einen einfachen Raubüberfall festzunageln, sind jedenfalls dazu angetan, allerlei zu vermuten.
Und was ist mit dem russischen Dichter, der auf seiner Lesung ein offensichtliches Schmähgedicht auf seinen alten Bekannten vorgetragen hat? Rache? Warum muss der Tontechniker sterben? Gibt es auf seinen Aufnahmen irgendetwas, was auf den Täter hinweist? Und wie hängt Cafferty in der ganzen Sache drin?
Rankin entwirft über mehr als 500 Seiten und über eine ereignisreiche Woche hinweg ein komplexes Bild, in dem Rebus und Siobhan verzweifelt nach Anhaltspunkten suchen, um ihre Fälle oder wahlweise ihren Fall lösen zu können. Dass sich beide nicht von irgendwelchen Direktiven davon abhalten lassen, das zu tun, was sie für richtig halten (ohne dass beide wissen, was das richtige ist), ist vertraut genug.
So steht denn hinter der Mühsal der Ermittlungen, der Vielzahl der Vermutungen und der geringen Belastbarkeit der Hinweise immer die Gewissheit, dass am Ende die Wahrheit entdeckt werden wird. Und so ist es denn auch.
Dankenswerterweise weicht Rankin in diesem Fall jedoch von dem allzu beliebten Muster ab, hinter der Oberfläche des Geschehens das sinistre Streben eines ewigen Bösewichts zu entlarven. Stattdessen geht er den umgekehrten Weg: Er lässt Rebus Vermutungen über Zusammenhänge anstellen, die sich alle der Reihe nach wieder zerschlagen. Statt des großen Zusammenhangs ergibt sich eine Vielzahl von unzusammenhängenden Ereignissen, die allerdings für ihre Opfer immer fatal sind, auch wenn sie nicht aus anderen Ereignissen abgeleitet werden können.
Damit lässt er zwar nicht von seinem voluminösen und lebensweltlich angereicherten Verfahren ab, bei dem Leser ihren Helden immer brav auf den Spuren bleiben und immer auch wissen, was sie sich denn gerade denken, wenn sie diese oder jenes tun, und wie trist der Alltag des Polizisten ist, wenn er denn nicht dem Verbrechen auf der Spur ist. Sein Publikum will das so und bekommt es.
Aber unter diese Text- und Ausstattungsmasse kommt ein intelligentes Konzept zum Vorschein, das Gesellschaft im Wesentlichen als das zeigt, was sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist, nämlich als komplexes Gebilde sich überschneidender Einzelinteressen, die von keinem Dunkelmann gesteuert und koordiniert werden.
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