Berlin-Roman der anderen Art

Kathrin Rögglas neues Buch "Irres Wetter"

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ich im März dieses Jahres die Ursendung von Kathrin Rögglas Hörspiel "Selbstläufer" (BR 2000) hörte, war ich erst einmal nicht sehr angetan: Mir erschienen die darin getroffenen Äußerungen viel zu selbstverständlich, der Stil zu wichtigtuerisch, die ständige Verwendung von indirekter Rede zu unpersönlich. Da werden "Verluste einkalkuliert", es wird "informiert", "das Telefon aufgelegt" und mit Schlag(un-)worten wie "Generation Berlin" und "MTV-Geräuschen" gearbeitet. Die im Programmheft angekündigte Ironisierung der "neuen Berliner Szene" fand sich in der Umsetzung nur unzureichend wieder.

Doch meine Meinung änderte sich bei Kathrin Rögglas neuem Buch "Irres Wetter", ihrem bisher dritten Werk, dem das Kapitel "Selbstläufer" entnommen ist. In der Buchfassung lässt sich die eigentlich ironische Position, die die Erzählerin zu Sprech- und Umgangsweise ihrer Figuren hat, viel deutlicher erkennen als in der Hörspielfassung, sie ist zudem im Kontext des gesamten Textes besser nachvollziehbar.

Die gebürtige Salzburgerin lebt seit 1992 in Berlin und erfüllt gerade nicht die schon fast klischeehafte Erwartung einer Lobeshymne auf das neue Berlin. Der Hype um diese Stadt und ihre angeblich einzigartige Stellung als neues Künstler- und Intellektuellen-Eldorado wird als Propaganda entlarvt, eine Propaganda, die vergisst, dass es nicht nur auf örtliche Begebenheiten ankommt, sondern auch darauf, was die Einzelnen, in diesem Fall die jungen Neu-Berliner, die Künstler, Studenten und Heimatsuchenden, mit sich selbst und ihrer Situation anfangen und wie sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten einsetzen.

Und so stehen nicht vorrangig die Berliner Räumlichkeiten und Lokalitäten im Zentrum der Darstellung, sondern die Menschen, die darin herumstehen, wie Statisten auf ihren Einsatz wartend: Der DJ von nebenan, der Musikstile in Schubladen zu stecken weiß. Der alte Freund, der seinen elfjährigen Sohn aus dem eigenen Einflussbereich herauswachsen sieht. Die Besucher eines Punkkonzerts, die Intentsitätgefühle heucheln: "mein gott, was soll man zu punk `98 noch sagen."

Es wird nicht viel gesprochen, und wenn, dann meist nicht miteinander, sondern aneinander vorbei, alle Kommunikationsversuche enden in Floskeln, was man halt so sagt, normalerweise, so mal eben, gefangen zwischen verstehen-wollen und handeln-müssen, als letzter Ausweg. Es ist - so scheint es - eine Welt, in der die Menschen keine Zeit haben, immer weiter müssen, immer nur auf das Ende eines Gespräches warten, keine Emotionen mehr haben, die sie noch zurückhalten könnten.

Die Autorin zeichnet das Bild ihrer ganz eigenen Erfahrungen mit dem Osten Deutschlands oftmals in krassem Kontrast zu bestehenden Vorurteilen. Zugleich ist es ihr durch ihre österreichische Herkunft auch möglich, einen unpolitischeren, subjektiveren Blick auf das Geschehen zu richten, als ihn ein von der deutsch-deutschen Geschichte doch stärker betroffener westdeutscher Beobachter vielleicht haben könnte. Durch die viel mehr auf sich als Individuum bezogene Sichtweise nimmt sich die Erzählerin auch ein Stück weit aus der Handlung heraus, sie betrachtet immer alles aus der Distanz, als Chronistin sozusagen, die keine Gefühle investiert.

Die einzelnen Prosavignetten sind unzusammenhängend arrangiert und wirken wie Momentaufnahmen. Und doch sind sie sehr detailliert beleuchtet, toposhaft versetzbar und zeigen dabei immer die Position der Erzählerin gegenüber dem Verhalten der anderen auf.

Röggla kreiert einen Wort- und Zitate-Mix, der die sprachliche Umwelt wie ein permanentes Hintergrundgeräusch erfasst und durch das eigene Poesie-Denken leitet. Die Worte werden gedreht, oftmals mit sehr kleinen, feinen Details im Zitieren, die für sich allein schon poetisch wirken, für den eingeweihten Leser aber noch eine zusätzliche Verstehensebene bereithalten. Nur wenige werden in dem kryptisch anmutenden Satz "unterm ninja-gürtel sind wir allemal, und ganz ninja-getuned schon unsere gesichter", die Anspielung auf das Elektronik-Plattenlabel "Ninja-Tune" erkennen.

Oft sind die Wortverflechtungen eher fragmentarisch ausgeführt, Röggla verzichtet weitgehend auf durchgehende Handlungsstränge - vor allem im Schlussteil - weitgehend: "und nachher: bleibt es dabei, optisch wie immer, privatgrün, stellenweise garageneinfahrten, nicht nachzuahmen, vatertag! und wir: gelber blühen, das muß doch zu schaffen sein." Die Bandbreite an möglichen Konnotationen erhöht sich dadurch beträchtlich, was einem stringenten Verständnis im Wege steht, verstärkt noch durch die teilweise gewaltigen Gedankensprünge. Aber auf genau diese vielen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten kommt es hier an: Losgelöst von der Suche nach einer einheitlichen Aussage kann man sich durch die Texte treiben lassen, das Buch auch zwischendurch mal für eine Weile aus der Hand legen und irgendwann wieder darauf zurückkommen. Es lohnt sich.

Titelbild

Kathrin Röggla: Irres Wetter.
Residenz Verlag, Salzburg 2000.
180 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3701711712

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