Der lange Gang durch die Institutionen
Anna Seghers' Roman "Transit" handelt von einem, der kommt, um zu bleiben
Von Lars Claßen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn Marseille tummeln sich 1940 die den Norden fliehenden Verfolgten, die deutschen Truppen im Genick. Ihr größter Wunsch ist die schnelle Ausreise, die glückliche Überfahrt in ein neues Leben. Sie wirbeln reichlich Staub auf, die Luft wird dicker, die Sicht schlechter. Die Hafenstadt gleicht einem Staubecken für Schicksalsgetriebene. Wer fort will, braucht einen Transit, "das ist die Erlaubnis, ein Land zu durchfahren, wenn es feststeht, dass man nicht bleiben will". Amtsgänge werden notwendig, viele Amtsgänge. Die Institutionen werden belagert, die Hauptgänge der Gebäude von den Flüchtlingsströmen verstopft. Wie eine Seuche greift die "Transitärwut" um sich, infiziert die Menschen, macht sie zu "Visumsbesessenen". Jeder ist sich nun selbst der nächste. Mitten in diese Getriebenheit hinein erschrieb sich Anna Seghers mit großer Nüchternheit einen Moment der Freiheit.
Erzählt wird die Geschichte von jemand, der kommt, um zu bleiben. Aufenthalte in Arbeitslagern liegen hinter ihm, oft stand sein Leben buchstäblich auf Messers Schneide. Nun ist er in Marseille, die Tage verbringt er in den unzähligen Cafés, angeödet von der Abgestorbenheit der Szene. Kollektives Warten ist angesagt, Warten auf den Transit, das Ticket, solange, bis der Antrag auf das Weiterleben bewilligt ist. Die Zeit steht still, nichts geht, nichts bewegt sich und doch ist alles in Aufruhr. Dann verliebt er sich - in die Frau eines anderen, eines Toten noch dazu. Mit ihr könnte er fortgehen.
Doch was hätte er gewonnen, fragt er sich nach endlosen inneren Konflikten, tauschte er die eine "brennende Stadt" gegen eine andere? Nicht mehr als einen kurzen Augenblick der Stille vor dem erneuten Aufbruch wahrscheinlich. Verborgen blieben ihm die Dinge, auf die es ankommt, Kleinigkeiten scheinbar, wie der Anblick der Frauen, die im Morgengrauen die Netze für den nächsten Fischfang flicken. Und so wählt er die Freiheit, nicht zu fahren, sie gehen zu lassen mit einem anderen. Stattdessen wird er Zuflucht und Verfolgung teilen, mit denen, die ihm Unterschlupf gewähren.
60 Jahre liegt die Veröffentlichung des Romans nun bereits zurück. Seit dieser Zeit klang die Zerbrechlichkeit des Menschseins, die letzte Selbstbehauptung im Angesicht des Terrors nie mehr so erhaben wie in Seghers' "Transit".
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