Gott erschuf die Welt - aber warum?

Egon Bondy, der undogmatische Marxist und ungekrönte König des tschechischen Undergrounds, denkt in seinem mittelalterlichen Roman "Hatto" über Gott nach

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Umberto Eco mit seinem Roman "Der Name der Rose" seine semiotischen Deutungsverfahren mit einer spannenden Ermittlungsgeschichte koppelte, löste er zugleich ein ungeahntes Interesse an der Kultur des Mittelalters aus. Eco hatte erfolgreich vor Augen geführt, dass eine Verschränkung der Zeiten in der modernen Prosa möglich ist.

Mit Egon Bondys "Hatto" liegt ein in dieser Hinsicht vergleichbarer Roman vor, der sich zugleich radikal vom "Namen der Rose" abhebt. Hatto, ein sächsischer Mönch, lebt zu Beginn des zehnten Jahrhunderts. Sehr bewusst nimmt er die Widersprüche und Wirren seiner Zeit wahr. Nachdem der letzte Karolinger im ostfränkischen Reich verstorben und dessen Nachfolge ungeklärt ist, drängen unverhüllte und ungezügelte Kräfte an die Macht. Die bisherige Welt scheint ins Wanken geraten zu sein, zumal feindliche Stämme von außen in kriegerischer Absicht das Land bedrängen und die eigenen Verhältnisse bis hinein in die Bischofssitze von Korruption, Machtgier und sittlicher Verkommenheit gekennzeichnet sind.

Hatto, den grübelnden Mönch, treiben allerdings ganz andere Sorgen um. Hauptsächlich kreist sein Nachdenken um die eine Frage: warum erschuf Gott die Welt?

Atmosphärisch gewinnt dieser Roman zudem durch seine Sensibilität in der Wahrnehmung der Natur und ihrer zumeist unwirtlicher Witterungsverhältnisse. In die karge Winterlandschaft passen auch die eisigen Räume des Klosters und tragen zur Beschreibung von Hattos geistlichem Nachdenken bei.

Seine Herkunft wie auch seine umfassende Bildung hätten Hatto auch hohe Ämter samt Einfluss in den kirchlichen Hierarchien verschafft, aber er lehnte entschieden ab. In Brieffragmenten an seinen Vertrauten, den ehrwürdigen Bruder Gerbert, versucht Hatto sowohl seine Haltung als auch die Ergebnisse seiner Denkwege zu beschreiben. Er ist kein Rebell, aber ein Einsamer, der sich nicht zwingen lässt. Hatto tritt eine Pilgerschaft an, die ihn nicht nur über die zu seiner Zeit bekannten Länder hinausführt, sondern ihn auch innerlich bis an die Grenzen des Sagbaren führt.

Bondy, zeitlebens ein bekennender Marxist, sprach einmal davon, dass das Monopol des herrschenden Atheismus in eine Sackgasse des menschlichen Denkens geraten sei. Er versteht seinen Roman "Hatto" als Beitrag, die Kluft zwischen philosophischem Idealismus und Materialismus neu zu überdenken. Dass er dabei gegen aktuelles Bestsellerwissen verstößt, das Gott lediglich für eine misslungene Hypothese hält, die wissenschaftlich aufgehellt werden kann, stört ihn nicht.

Zeitlebens war der 1930 geborene und 2007 verstorbene Bondy gegen den Strom geschwommen. Unter dem Namen Zbynek Fišer in Prag als Sohn eines hohen Offiziers geboren, legte er sich sein Pseudonym aus Protest gegen den unverhohlenen Antisemitismus während der stalinistischen Exzesse der 1950er-Jahre in der CSSR zu. Bondys poetisches Programm gegen die totalitäre Wucht des Stalinismus umschreibt er in einer Textsammlung mit dem Begriff "Totaler Realismus". Selbstverständlich hatte er keinerlei Chancen, seine Bücher in seiner Heimat zu veröffentlichen. Sein Dasein fristete Bondy in Prag als Museumsangestellter und lebte später von einer kleinen Invalidenrente. Erst in Alexander Dubceks Reformjahr 1968 konnte er drei seiner Bücher veröffentlichen.

Ein besonderer Wirkungskreis öffnete sich für Bondy in den 1970er-Jahren, als halblegal aufgeführte Konzerte der legendären Rockgruppe "Plastic People of the Universe" von sich reden machten. Bondy und die Plastics hatten sich in einer Prager Kneipe kennengelernt, und die Musiker sowie der philosophisch ausgebildete und surrealistisch ausgerichtete Autor fanden Gefallen aneinander. Etliche Gedichte von Bondy waren von den Plastic People vertont worden.

Die Verhaftung und Anklage der Plastic People seitens des Regimes waren seinerzeit der Auslöser für die Formierung der Bürgerrechtsbewegung CHARTA 77. Bondy war in seiner ungebrochenen Eigenwilligkeit eine führende Persönlichkeit im kulturellen und politischen Raum der Tschechoslowakei - vor und nach der friedlichen Trennung im Dezember 1992. Er hatte diese Teilung als Ausdruck einer politisch falschen Entwicklung kritisiert und lebte fortan demonstrativ in der slowakischen Hauptstadt Bratislava.

Seine zahlreichen poetischen wie auch philosophischen Texte harren weitgehend noch der Übersetzung. Dass mittlererweile zwei Romane von ihm in hervorragenden Übersetzungen von Mira Sonnenschein vorliegen, ist dem Berliner Elfenbein Verlag zu verdanken.


Titelbild

Egon Bondy: Hatto. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Mira Sonnenschein.
Elfenbein Verlag, Berlin 2007.
180 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783932245848

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