Literarische Konstruktion und psychische Bisexualität
Jean Firges geht anhand von Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" der Zerstörung des weiblichen Ichs nach
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit Frauen schreiben, werden ihre Werke, zumal von Männern, gerne biografisch gelesen. Auch bei der Lektüre von Ingeborg Bachmanns lyrischem und erzählerischem Œuvre wurde wiederholt die biografischen Brille aufgesetzt. Eines der übelsten Beispiele dafür bietet der Aufsatz "Ingeborg Bachmanns Falschspiel mit der Liebe", mit dem der Philosoph Friedrich Wilhelm Korff sich noch zu Lebzeiten der Autorin an dem Roman "Malina" verging. Nun befleißigt zwar auch Jean Firges' jüngst erschienenes Büchlein über Bachmanns einzigen vollendeten Roman einer biografischen Lesart und pflegt zudem die ihm als solche sicherlich nicht bewusste sexistische Unart, Nachnamen weiblicher Personen den bestimmten Artikel voranzustellen, doch teilt er keineswegs Korffs arrogant-überheblichen Blick auf die Autorin und ihr Werk. Auch versteht er im Unterschied zu diesem sein Handwerk sehr wohl. Das allerdings bedeutet nicht, dass Firges Ausführungen immer unproblematisch wären. So bleibt schon die Absicht seines Unternehmens unklar, "die progressive Zerstörung des weiblichen Ich nachzuweisen, wie sie die Schriftstellerin im eigenen Werk beschreibt".
Geht es ihm um die Zerstörung des weiblichen Ichs im Roman oder des weiblichen Ichs der Autorin? Zudem lässt er sich im Eifer der biografischen Lesart auch schon mal auf geradezu abenteuerliche Parallelisierungen ein: "1947 erscheint ein Buch namens 'Malina' von der Wiener Schauspielerin Lilly Stepaneck", in dem "die intrigante Unternehmung einer Neunzehnjährigen geschildert [wird], der es durch die Mithilfe eines böhmischen Dienstherrn mit Namen Malina gelingt, sich eine Theaterkarriere zu erschleichen. (Auch die Bachmann hat sich den Zugang zu Weigel durch einen Trick verschafft, indem sie sich als Journalistin ausgab.)" Was will uns der Autor mit dem eingeklammerten Hinweis sagen? Dass Bachmann Stepanecks Roman kannte und er sie auf die Idee brachte, Weigel einige Manuskripte ihrer Gedichte auf den Schreibtisch zu legen?
Wie dem auch sei, jedenfalls wird Firges' Buch von der These getragen, dass sich "eine immer wiederkehrende Grundstruktur der Person Bachmanns in der Bewältigung der Wechselwirkung von Liebe und Kunst, Leben und reflexiver Gestaltung des Lebens [...] bis in den Roman 'Malina' fortsetzt." Firges Versuch, die Frage zu beantworten, "ob die Doppelgängerstruktur in 'Malina' nur eine literarische Konstruktion darstellt oder ob sie in der Psyche der Autorin verortet ist", und die Erörterung einer möglicherweise aus letzterem zu erschließenden "psychische[n] Bisexualität als eine der Voraussetzungen für Bachmanns schöpferische Fähigkeit" verdankt zentrale Erkenntnisse seiner Beschäftigung mit Elke Brüns' erhellender Untersuchung "außenstehend, ungelenk, kopfüber weiblich".
Bevor er sich jedoch etwa zur Mitte des Buches dem Roman zuwendet, geht er kurz auf die beiden Fragmente des "Todesarten"-Projekts "Das Buch Franza" und "Requiem für Fanny Goldmann" sowie das Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan", das Gedicht "Mein Vogel" und nicht zuletzt den Monolog "Undine geht" ein. Auch die "Abschiedsrede" der Wasserfrau liest er autobiografisch als "Reaktion auf eine leidvolle persönliche Erfahrung der Autorin". Relevanter sei der Text jedoch als "poetologische Reflexion" über die "Thematik 'Geschlecht und Autorschaft'", denn es handele sich um Bachmanns einzigen Text, "der bewusst die Position des weiblichen Ich besetzt und durchhält".
|
||