Von Kunstfurzern und Steinesammlern
Roland Limachers Erzählung: Meines Vaters Haus
Von Thomas Kraft
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas mit dem Gestus von "Es war einmal" daherkommt, muss nicht immer lieb und nett sein. Im Gegenteil, in vielen Märchenwäldern hausen Hexen und verschwinden Kinder auf Nimmerwiedersehen. In dieser Balance von möglichem Schrecken und wirklicher Erfindung bewegt sich auch die jüngste Erzählung des Luzerners Roland Limacher, "Meines Vaters Haus". Einem Gedicht von Werner Bergengruen entliehen, deutet der Titel auf eine beschauliche Familiengeschichte hin.
Auch der Anfang dieser märchenhaften Prosa legt diese Vermutung noch nahe: Ein Vater erzählt, offenbar schon zum wiederholten Male, seinen Sprösslingen die Geschichte vom Haus seiner "Kindheit am Wasser". Das Patent einer Spaghettizange, die sein Vater entwickeln konnte, hatte der Familie die Möglichkeit eröffnet, ein großes, ehemaliges Waisenhaus auf dem Lande zu beziehen. Der in der Nähe gelegene Fluß zog den damals Zwölfjährigen schnell in seinen Bann, er wurde "Flußbuchhalter" und ließ all die Dinge, die er aus der Bilbiothek des Hauses erfahren hatte, fortan mit Hilfe des Wassers durch sich hindurchtreiben. Doch die Idylle bekam bald ihre Dellen. War schon der Möbelwagen "aus dubiosen Gründen" abhandengekommen, so häuften sich schnell die Merkwürdigkeiten. Die kleine Schwester Gilli schrie in jeder Nacht, als könnte sie die Hölle sehen, und das Haus füllte sich mit sonderbaren Gestalten. Onkel Alfred tauchte im Torerokostüm auf und entpuppte sich als leidenschaftlicher Kunstfurzer; ein stummes Wesen voller Läuse, dem man bald den Namen Oregano gab, eine tennisspielende Steinesammlerin und ein Haufen ehemaliger Zöglinge, die pünktlich zum Weihnachstfest ihren Sentimentalitäten nachhängen wollten, komplettierten dieses Kuriositätenkabinett. Und als zum Schluß... Nein, wie bei jedem Märchen darf nicht alles verraten werden. Nur so viel sei gesagt: Der Abschied von diesem Haus bedeutete auch das Ende einer Kindheit.
Diese Prosa lebt stark von Emotionen, von der erinnernden Vergegenwärtigung einprägsamer Bilder: "Lesen war für mich abtauchen. Eindringen. Abheben. Der Verstand blieb auf der Strecke. Der Verstand hätte mir die Geschichte geraubt. Oder umgekehrt?" Der Autor hat sich seinen Verstand bewahrt, denn wer so wie Roland Limacher Freches und Melancholisches, Anrührendes und Skurriles mit scheinbar leichter Hand in den Fluss einer Erzählung einzubinden versteht, der hat sehr bewusst und überlegt diesen Text gebaut. Und wer nun liest, welch ungeheure Wirkung Literatur offenbar selbst auf Naturgewalten ausüben kann, der glaubt auch noch an Märchen.
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