Gelehrte Korrespondenz

Zum Start der Gottsched-Briefedition

Von Nikolas ImmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolas Immer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wenn ich mich nun auf besagter Universitaet, Sechs Jahre her, als ein Magister legens beständig aufgehalten, auch durch Lesen, Disputiren und Bücherschreiben vor vielen andern hervor gethan, sonderlich aber in der lateinischen und deutschen Poesie Proben genug abgeleget, ja diese Messe eine ausführliche Critische Dichtkunst ans Licht gestellet, daraus sattsam erhellen wird, ob ich dieser Profession gewachsen seÿ; Als werffe mich in allerunterthänigkeit vor den Thron Ew: Königl: Maj.t mit demüthigster Bitte, mit sothane professionem poeseos extraordinariam [...] allergnädigst zu conferiren [...]."

Derjenige, der diesen Brief im Oktober 1729 an Friedrich August I., den Kurfürst von Sachsen, richtet, ist kein anderer als Johann Christoph Gottsched. Der berühmte Leipziger Gelehrte, mit dessen Namen man eine der wirkungsvollsten Poetiken des 18. Jahrhunderts verbindet - gemeint ist der in dem Briefzitat erwähnte "Versuch einer Critischen Dichtkunst" -, bekommt nun endlich, was er schon lange verdient hat: eine historisch-kritische Ausgabe seiner Briefe.

Schon in den späten 1960er-Jahren hat der Verlag Walter de Gruyter unter Leitung von Joachim Birke und später von Philipp M. Mitchell begonnen, "Ausgewählte Werke" Gottscheds herauszubringen, die seit 1995 in einer zwölfbändigen, historisch-kritischen Edition vorliegen. Die wichtigsten Werke Gottscheds sind darüber hinaus bei Reclam greifbar, wie sein "Sterbender Cato" oder auch ausgewählte "Schriften zur Literatur". Die vierte Auflage der "Critischen Dichtkunst" (1751) ist schließlich zuerst 1962 als Reprint bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt erschienen und inzwischen auch online verfügbar.

Mit den Briefen Gottscheds verhält es sich hingegen grundsätzlich anders. Wie der Projektleiter des 2000 begonnen Editionsvorhabens, Manfred Rudersdorf, darlegt, ist ein "ernsthafter Versuch", die "in Umrissen bekannte Gottsched-Korrespondenz zu veröffentlichen, [...] nie unternommen worden." Behelfen musste sich der Gottsched-Forscher bislang mit der Auswahledition Theodor Danzels, in der sich jedoch nur die wenigsten Briefe vollständig abgedruckt finden. Danzels Sammlung wurde erstmals 1848 veröffentlicht, 1970 erschien ein Nachdruck bei Olms und 1998 ein Nachdruck der zweiten Auflage bei Klotz in Eschborn. Trotz zwischenzeitlicher Einzelveröffentlichungen wie der 1998 von Jochen Schlobach besorgten Briefe Friedrich Melchior Grimms an Gottsched blieb es nach wie vor ein dringendes Desiderat der Forschung, endlich dessen gesamte Korrespondenz vollständig und textkritisch zu publizieren.

Diese Lücke wird nun geschlossen mit einer historisch-kritischen Briefwechsel-Edition, die im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf herausgegeben wird. Inzwischen sind die ersten beiden der auf 25 Bände konzipierten Ausgabe erschienen, in denen die Briefe der Jahre 1722 bis 1730 (Band 1) und 1731 bis 1733 (Band 2) abgedruckt sind. Wer jetzt jedoch hofft, einen Brief des 22jährigen Gottscheds lesen zu können, wird schnell durch die Quellenlage enttäuscht, die in der ausführlichen Überblicksdarstellung des ersten Bandes erläutert wird.

Die Briefausgabe, das muss eingeräumt werden, kann in erster Linie gar nicht die Briefe Gottscheds enthalten. Dieser Umstand geht nicht auf ein Verschulden der Bandbearbeiter, sondern schlicht auf die Überlieferungssituation zurück. Denn von den circa 5.000 in Leipzig aufbewahrten Briefen der Gottsched-Korrespondenz besteht der Großteil aus Schreiben an den Schriftsteller. Dessen Antworten hingegen haben sich nur in den wenigsten Fällen erhalten, so dass es bereits als verdienstvoll zu werten ist, dass die Mitarbeiter noch weitere, bislang unbekannte Gottsched-Briefe entdecken konnten.

Da die briefliche Kommunikation Gottscheds zu einem beachtlichen Teil auch die Korrespondenzkreise seiner Gattin Luise Adelgunde Victorie berührt, haben sich die Herausgeber entschlossen, auch deren Briefe in die Edition zu integrieren. Dieses Vorgehen bleibt zunächst insoweit bedenklich, als Rudersdorf die Einbeziehung dieses Briefbestands unter anderem mit dem "besonderen Reiz" begründet, der vor ihnen ausgeht: Sie vermögen es, Gottsched "als einen profilierten Anwalt für die Beteiligung der Frauen am literarischen Leben der Aufklärungsepoche" zu präsentieren.

Angesichts der 1999 von Inka Kording vorgelegten Briefausgabe "Louise Gottsched - "mit der Feder in der Hand". Briefe aus den Jahren 1730-1762" könnte dieses Argument als kaum überzeugend abgetan werden, dürften doch wenigstens seit zehn Jahren Gottscheds emanzipatorische Qualitäten bekannt sein. Gewichtiger sind jedoch zwei Argumente: Zum einen können die Briefe der Ehepartner funktional aufeinander bezogen werden, so dass die Möglichkeit einer wechselseitigen Erläuterung besteht. Zum anderen folgt Kordings Ausgabe der so genannten 'Runckel-Edition' von 1771/72, in der die Briefe Luise Gottscheds stark umgearbeitet wurden. Ihre wenig erhaltenen Originalbriefe, die in der vorliegen Briefausgabe abgedruckt werden, können somit ein Bild ihres tatsächlichen Schreibstils vermitteln.

Was die Edition selbst betrifft, haben die Bandbearbeiter Mustergültiges geleistet. Die Briefe sind chronologisch geordnet und durch ein vorangestelltes Absenderverzeichnis sowie ein nachgestelltes Verzeichnis der Absendeorte leicht erschließbar. Im zweiten Band ist die Benutzerfreundlichkeit noch erhöht worden, indem man beide Verzeichnisse den Briefen vorangestellt und um ein Verzeichnis der Fundorte ergänzt hat. Abgerundet werden die Bände von einem bio-bibliografischen Korrespondentenverzeichnis und einem vierfachen Register, das die erwähnten Personennamen, Ortsnamen, Schriften und Gottsched-Schriften umfasst.

Die Briefe selbst enthalten Angaben zu Schreiber, Absender, Absendeort sowie dem Datum der Niederschrift und auch eine Konkordanz zu den bei Danzel gedruckten Briefen. Weiterhin wird die jeweilige Überlieferung nach Original, Abschrift und Druck vermerkt. Ein besonderer Vorteil besteht zudem darin, den Inhalt der vielfach in lateinischer und französischer, teils auch in italienischer Sprache verfassten Briefe durch vorangestellte Regesten knapp zu präsentieren. So ist für den Leser eine schnelle und praktikable Vororientierung möglich, ohne den gesamten Brief erst mühsam zu übersetzen.

Die Kommentierung erfolgt gleichfalls leserfreundlich, das heißt über den Fußnotenapparat lassen sich die Erläuterungen sofort erschließen und müssen nicht in einem abgehängten Anmerkungsteil gesucht werden. Vor allem aber sticht ins Auge, von welchem Kenntnisreichtum und welcher Beschlagenheit die Erläuterungen zeugen, was nicht nur daran ersichtlich wird, dass die Bemerkung "Nicht ermittelt" nur sehr sparsamen Gebrauch findet. Auch bekommt der Leser einen unmittelbaren Einblick in die frühaufklärerische Gelehrtenwelt, wenn die Erläuterungen etwa die Titel der vielfältigen Dissertationen bieten, von denen in den Briefen oft nur ansatzweise die Rede ist. Daneben lässt sich beispielsweise auch lernen, dass "crassaten" nichts anderes bedeutet als "zwecklos auf der Straße herumschlendern".

So gelehrt die Briefe vielfach sind, so vielschichtig sind die persönlichen, gesellschaftlichen und institutionellen Ebenen, die sich darin überlagern. Der erste Band zeigt nicht nur, wie sich Gottsched beispielsweise im Oktober 1729 um die Nachfolge des Leipziger Professors für Poesie, Johann Heinrich Ernesti, bewirbt und wie er dazu, wie das obige Briefzitat erkennen lässt, seine Verdienste auf diesem Gebiet werbewirksam herauszustellen versucht. Auch dokumentiert der erste Band, wie sich das Verhältnis zum Ehepaar Neuber zu intensivieren beginnt oder wie sich die Beziehung zu seiner späteren Gattin Luise Adelgunde Victorie Kalmus anbahnt. Eines der bekanntesten Zeugnisse aus dem ersten Band bildet überdies der Brief vom 24. Juli 1728, geschrieben von dem französischen Dichter Bernard Le Bovier de Fontenelle, dessen "Gespräche der Todten" Gottsched 1727 ins Deutsche übertragen hat.

Die Korrespondenz des zweiten Bandes zeigt unter anderem, dass Gottsched eifrig darum bemüht ist, eine ordentliche Professur zu erlangen, um die finanziellen Voraussetzungen für die angestrebte Eheschließung mit seiner Danziger Briefpartnerin zu schaffen. Was den Gelehrtenbetrieb angeht, kommt Gottsched anfang der 1730er-Jahre insbesondere als wichtiger Gesellschafter zu Ehren: Er ist Mitglied der angesehenen 'Berliner Sozietät der Wissenschaften', korrespondiert intensiv mit Gottlieb Stolle, dem Vorsteher der 'Teutschen Gesellschaft' in Jena, und tritt tatkräftig als Förderer der Leipziger 'Deutschen Gesellschaft' in Erscheinung, zu der Döring bereits eine wegweisende Monografie vorgelegt hat.

Zugleich lassen die Briefe auch unterschiedliche Bewertungen poetologischer Fragen erkennen. Während Gottsched schon in seiner "Critischen Dichtkunst" Daniel Caspar von Lohenstein als "Muster einer so schwülstigen Schreibart" diskreditiert hatte, melden zwei Briefpartner im April 1733 Widerspruch an. Neben Stolle, der bekennt, in seiner Jugend ein "grosser Verehrer" des Dichters gewesen zu sein, ist es Gottfried Balthasar Scharff, der Lohenstein immerhin eine große "Gelehrsamkeit" zuspricht. Gottsched seinerseits scheinen diese Einwände wenig beeindruckt zu haben - in seiner "Ausführlichen Redekunst" von 1736 heißt es in aller Deutlichkeit: "Bey uns Deutschen haben Lohenstein und Francisci zuerst die Exempel des Schwulstes gegeben".

Detlef Döring, Rüdiger Otto, Michael Schlott und Franziska Menzel hingegen haben das Exempel gegeben, wie eine Gelehrtenkorrespondenz textkritisch und profund zu edieren ist. Der gelungene Auftakt berechtigt zu der Hoffnung, dass die Unternehmung mit gleicher Präzision und Professionalität fortgeführt wird. Nur eines sollten die Bände für den Leser künftig noch bereithalten: ein Lesebändchen, da von den weniger bekannten Briefschreibern doch hin und wieder zu den bio-bibliografischen Informationen vorgeblättert werden muss.


Titelbild

Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Band 1: 1722-1730.
De Gruyter, Berlin 2007.
568 Seiten, 198,00 EUR.
ISBN-13: 9783110183818

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Titelbild

Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Band 2: 1731-1733.
De Gruyter, Berlin 2008.
685 Seiten, 229,00 EUR.
ISBN-13: 9783110203066

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