Jugendjahre zum Debüt

Joe Dunthorne schreibt in seinem Roman "Ich, Oliver Tate" über die Verwendung konsonantenreicher Wörter und die wirklich wichtigen Dinge des Lebens

Von Jürgen WichtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Wicht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An seinem fünfzehnten Geburtstag macht der junge, hoffnungsvolle Oliver Tate eine bemerkenswerte Entdeckung, als er aus einem verängstigten Blick des Vaters folgert, dass der alte Herr ihn, den Sohn, liebt, weil er gar nicht anders kann. Ob dem hellsichtigen Knaben in Joe Dunthornes witzigem Debütroman, "Ich, Oliver Tate", bewusst ist, dass er mit dieser Beobachtung nicht nur die Zwangslage seiner, sondern die der meisten Eltern beschreibt?

Auch sonst ist der scharfsinnige Beobachter ein eher typischer Teenager mit den üblichen Pubertätssorgen und -freuden. Und natürlich haben für ihn, schon aus Imagegründen, die ersten sexuellen Erfahrungen zunächst höchste Priorität. Dass Olivers pyromane Freundin Jordana das ganz ähnlich sieht, macht die Sache einfacher, so dass auch für andere wichtige Angelegenheiten genügend Zeit bleibt. Olivers Vater muss durch alternative Elektro-Krampftherapie - ein äußerst geschmackloser elektrischer Stuhl auf dem Rummelplatz wird dazu zweckentfremdet - von seinen Depressionen geheilt werden, bevor sich der jugendliche Held und selbsternannte Paartherapeut, nach eingehenden autodidaktischen Studien in Feng-Shui und Kamasutra, aufschwingt, um die Ehe und das Liebesleben der Eltern zu retten.

Zumeist wirkt das aufgeweckte Einzelkind dabei wie jemand, um den seine Eltern zweifellos beneidet werden, auch wenn dem Betrachter recht bald dämmert, dass die anstrengenden Episoden aus der Distanz bloß nicht so leicht wahrnehmbar sind. Oliver, der die Einträge seines Tagebuchs gerne mit "O evil treat - O böses Vergnügen", einem Anagramm seines Namens, unterzeichnet, hat selbstverständlich dunkle Seiten, ist manchmal selbstgerecht und herablassend. Die bemerkenswerte Portion Selbstkritik, über die der gute Schüler und passionierte Sammler konsonantenreicher und sonstiger Fremdwörter zudem verfügt, kann jederzeit von einer absolut altersgemäßen Portion Lässigkeit überdeckt werden, die Heranwachsende in Gegenwart ihrer Altersgenossen vor negativer Publicity bewahren soll.

Mindestens ebenso trickreich versteht es der Sohn, seine Eltern zu beruhigen oder mit kleinen Zugeständnissen zu erfreuen: Das Bekenntnis eines plausibel erscheinenden Geheimnisses, das lediglich gut erfunden sein muss, oder der überraschend vereinbarte Termin beim Therapeuten, der die elterliche Sorge um die seelische Verfassung des einzigen Sprosses verringert - junge Leute wirken auf ihre sensiblen Eltern oftmals ungemein hilfsbedürftig -, kann so etwas sein. Dass es sich um einen Physiotherapeuten handelt, vertuscht das Schlitzohr sprachlich, indem es das Physio- einfach unterschlägt.

Ohnehin sind es vornehmlich die sprachlichen Fähigkeiten des Protagonisten, die ganz wesentlich zur unterhaltsamen Lektüre des Buches beitragen. Selbst nachdem der erwachsene Leser begonnen hat, die tendenziell peinliche, pubertäre Neigung zu sexuellen Anzüglichkeiten anstrengend zu finden und bemerkt, dass er keineswegs alles wissen muss, was ein Jugendlicher denkt, fühlt oder tut, ist die eloquente Art, mit der Oliver Wissenslücken durch scharfsinnige Schlussfolgerungen oder gezielte Fragen kompensiert, ein Vergnügen. Besonders die wiederkehrenden Tage- oder Logbucheinträge Olivers sind wirklich witzig und erinnern an einen modernen Klassiker der britischen Jugendliteratur, an Sue Townsends "Adrian Mole".

Joe Dunthorne ist ein ebenso freches wie humorvolles Familienporträt gelungen. Der Einblick in die Erfahrungs-, Gedanken- und Gefühlswelt des namengebenden Titelhelden und Ich-Erzählers Oliver hat, wenn nicht bereits aus eigener Anschauung bekannt, für dauergenervt heranwachsende oder leidgeprüft erziehungsberechtigte Leser einiges an kuriosem Anschauungsmaterial zu bieten und gleicht mitunter einer turbulenten Achterbahnfahrt. Man darf gespannt sein, was dem talentierten jungen walisischen Autoren nach diesem vielversprechenden Debüt zu Themen jenseits der Pubertät einfällt.


Titelbild

Joe Dunthorne: Ich, Oliver Tate. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Mayela Gerhardt.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
380 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498013264

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