Auf der Suche nach dem Hipster

"Mai 3D" bleibt ein eindimensionales Leseerlebnis

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Marc, David und ich [Kai], wir jobben nebenbei als Trash-Models, weil unsere Gesichter im Moment extrem angesagt sind. Aber eigentlich sehen wir uns mehr als Künstler. Na ja. Künstler verdienen nicht so gut und darum arbeiten wir eben als Trash-Models und irgendwie finden das auch alle ganz cool, weil sie wissen, dass wir in sind."

Die drei Berliner Kai, David und Marc verbindet außer ihren gemeinsamen Modellaufträgen und dem "in-sein" noch eine für derartige Kreise etwas anachronistisch anmutende Passion: das Tagebuchschreiben. Lediglich Kai erläutert, was ihn zur täglichen Selbstpreisgabe veranlasst."Damit [er] sehen kann, wie sich alles entwickelt" in seinem ewig gleichen Leben, fängt Kai an, alles festzuhalten.

Fortan lässt er den Leser teilhaben an seinem neuen Leben und beschreibt erst mal, wie er sich ein Käsebrötchen und eine Dose Cola kauft: "Sonst trinke ich nie Cola. Aber irgendwas muß sich schließlich als erstes verändern." Ein Käsebrötchen und ein Erfrischungsgetränk als Innovationsschub für das Langweilerleben eines reichen Jünglings, Donnerwetter! Doch für Kai kommt es hinsichtlich seines Wunsches nach Veränderung noch besser: Erst bricht er sich den Arm - und dann wird er noch ungewollt Vater. Seine Modelkollegen David und Marc haben ebenfalls ein paar Probleme. DJ David muss seine Magisterarbeit schreiben und Marc leidet unter chronischer Geldnot. Komplettiert wird die Dreiecksgeschichte durch etwas Beziehungsstress und den üblichen Zutaten Sex, Partys und Drogen.

"Mai 3D" wurde gleich von drei Autoren geschrieben, wobei sich jeder für die Gestaltung eines Protagonisten verantwortlich zeigt. Es ist ausgerechnet die prominenteste und damit mutmaßlich talentierteste Vertreterin der Autorentroika, Alexa Henning von Lange, die im Vergleich am schlechtesten abschneidet. Dass Kai der Unsympathischste des coolen Trios ist, kann man Henning von Lange nicht vorwerfen, wohl aber, dass "ihre" Figur am unglaubwürdigsten konstruiert ist. Kais zweifelhafte 180-Grad-Drehung vom unsensiblen Abtreibungsbefürworter hin zum romantischen Familienmenschen vollzieht sich innerhalb weniger Tage und bedarf offensichtlich keinerlei Erklärung. Man fragt sich des öfteren, ob die hoch gelobte "Relax"-Autorin überhaupt etwas von der Szene weiß, die sie zu porträtieren vorgibt. Denn jemand, der schon einmal versucht hat, mit einem Berliner Türsteher über den verweigerten Einlass zu diskutieren, wird kaum folgendes zu Papier bringen: ", Ich muss da echt dringend rein! Meine Freundin wartet auf mich!' Das hat das Türsteher-Herz weich werden lassen.,Danke, das ist echt lieb von dir!'"

Das Textbeispiel ist gleichzeitig eine Lektion in Sachen Jugendslang. Die Jugendsprache, dies lehrt uns das Buch, zeichnet sich nämlich vorrangig dadurch aus, dass man möglichst oft ein "echt" oder "total", vielleicht auch mal ein "voll" in seine Sätze einbaut. Der Versuch, so zu schreiben wie Jugendliche reden ist in "Mai 3D" wirklich nicht sonderlich geglückt; Versatzstücke wie "echt doof", "echt scheiße", "voll gelogen", "flau" oder "total dumm" wirken einfach nur hausbacken und unfreiwillig komisch.

Daniel Haaksman, selbst DJ und Produzent schildert die Erlebnisse Davids; Till Müller-Klug, Slam Poet und freier Autor übernimmt die Perspektive von Marc. Die beiden relativ unbekannten Schriftsteller gefallen schon eher. Sie schaffen es wenigstens, ein paar ironische und gut beobachtete Seitenhiebe auf den ganzen "lokale[n] Szenescheiß" abzulassen, auch wenn der eigentlich zentraler und einziger Gegenstand des Romans ist.

Der für das Buch wohl programmatisch zu verstehende Titel von Davids Magisterarbeit lautet: "Der Hipster in seiner Epoche". Wenn man "Mai 3D" nicht nur als spaßige Seifenoper liest, sondern auch als eine Art Porträt der "Jugend von heute" betrachtet, kommt man zu einem niederschmetternden Ergebnis. Geld, Sex und Drogen bestimmen ihr hedonistisches Weltbild, und die "Twens" sind nur damit beschäftigt, angesagt und hip zu sein. So ein Leben kann auf die Dauer "echt doof" sein; davon zu lesen, auch.

Titelbild

Alexa Hennig von Lange / Till Müller-Klug / Daniel Haaksman: Mai 3D. Ein Tagebuchroman.
Econ Verlag, Berlin 2000.
199 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3886793400

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