Von Liebe reden

Jean Claude Carrières "Mit anderen Worten" ist ein anregender "erotischer Sprachführer"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ratgeberliteratur, das ist bekannt, boomt seit eh und je. Man mag darüber sinnieren, ob denn all die Ratgeber tatsächlich sinnvoll Rat geben, aber lassen wir das und loben stattdessen solche Ratgeber, die für's Leben wichtige Orientierung zu geben vermögen. Da könnte doch ein erotischer Sprachführer durchaus wertvolle Hilfe leisten. Denken wir dabei weniger an solche pikanten Situationen, in denen wir plötzlich einem mit gewissen Genießerschmunzeln geführten Gespräch nicht mehr folgen können, weil plötzlich die Rede davon ist, wie "Matrosen ihren Längengrad anzeigen". Oder sinnend jemand von der "Nachtmütze der Liebe" erzählt und uns auf unser unsicheres Nachfragen mitleidig mitteilt, er spreche von - ja wovon?

Jean Claude Carrière, der geniale Partner des Filmregisseurs Louis Buñuel, für dessen Filme er die Drehbücher schrieb, führt in dem mit angemessenen Zeichnungen versehenen kleinen Bändchen aus dem Alexander Verlag einen exklusiven Sprachexperten ein. Dieser Professor im Ruhestand schrieb einstmals das Standardwerk "Abhandlungen zur Entwicklung des erotischen Vokabulars". Leider ist es längst vergriffen. Deshalb wendet sich das "sehr geehrte Fräulein", welches sich dem Professor als Expertin der Praxis (sie synchronisiert Pornofilme) vorstellte, brieflich an den zurückgezogenen Spezialisten und bittet ihn gewissermaßen um eine spezielle Fortbildung. Welch angenehme Ehre für den Herrn, "zutiefst berührt" fühlt er sich und gerne beantwortet er die Fragen des "Fräuleins". Denn auch wenn das Standardwerk längst vergriffen ist, des Forscher Ehrgeiz ruhte nie. "So haben sich ergänzende Notizen zum Buch angesammelt", schreibt er. "Sie verteilen sich bereits über meine ganze Wohnung." Umso glücklicher ist er nun, helfen zu können, "und mein bescheidenes Wissen zu ihren Füßen zu legen, die ich mir übrigens sehr hübsch vorstelle."

In einem ersten Brief erläutert der Professor - in der Analyse des Problems völlig einig mit der Adressatin: "So üppig die Kurven, so flach die Sprache" - Grundlagen. Es geht um "Liebe machen". Bitte sehr! Denn es verfügt doch "unsere schöne Sprache, glauben Sie mir, mein Fräulein, in diesem Bereich über wahre, meist verkannte Schätze."

Das "Fräulein" ist von der ersten Lieferung begeistert und fragt präziser nach. Warum nur auf den Liebesakt beschränken? "Wie konnte ich ahnen", antwortet erregt der Professor, "daß Sie auch Wörter für das Geschlecht wünschen". Der Briefwechsel wird intensiver. "Meine Liebe, Sie wünschen, daß wir weitermachen, also tun wir das auch." Françoise, so der Name der Briefpartnerin, ist sehr zufrieden mit den Lieferungen des Professors. "Endlich", so freut dieser sich, "ist mein Leben zu etwas nutze". Und weiter geht's: "Ich wußte nicht, daß man ,Schwulenfilme' dreht, wie Sie sagen." Und natürlich kann er "einige ausdrucksstarke und abwechslungsreiche Wörter beibringen, die die hintere Ansicht des Sexualaktes betreffen, ,die Hintertür nehmen', wie die Chinesen es nennen. Sie werden sehen, es ist interessant."

Ist es, kann man an dieser Stelle sagen. Es bleiben noch einige Fragen von Françoise, die der Professor mit inzwischen selbstverständlicher Routine beantwortet. Dann ist das Werk getan. Der letzte Brief schließt: "Ich hoffe, liebes Fräulein, daß Sie geliebt werden."

Denn darum geht es letztlich in diesem amüsanten und anregenden Büchlein. Um die Liebe, den Spaß an der Liebe, die Pikanterien der Liebe. Normalerweise gesteht man in diesen Dingen den eleganten Franzosen mehr Sachverstand zu als den steifen Deutschen. Umso schöner ist es festzustellen, dass die Übertragung aus dem Französischen von Nathalie Rouanet-Herlt und Helen Zellweger zeigt, wie abwechslungsreich auch die deutsche Sprache sich dem Metier hinzugeben versteht. Ein schönes Buch!


Titelbild

Jean-Claude Carriere: Mit anderen Worten. Ein erotischer Sprachführer.
Übersetzt aus dem Französischen von Nathalie Rouanet-Herlt und Helen Zellweger.
Alexander Verlag, Berlin 2008.
193 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783895811852

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