Über Jörg Drews – Stimmen von Sabine Kyora, Axel Dunker, Alexis Eideneier, Friedhelm Rathjen, Uwe Schwagmeier, Jörg Sundermeier, Gregor Strick und Jan Süselbeck

Ein glühender Lesekopf

Wenn man an der Universität Bielefeld in Jörg Drews‘ Büro kam, stand dort ein Tisch mit zwei Lufthansa-Sitzen für die Besprechung des jeweiligen Anliegens. Meist war der Tisch bis an die Grenze des Stapelbaren mit Büchern bedeckt und nur einer der Sitze benutzbar. Es kam dann durchaus vor, dass Drews ein Buch aus dem Stapel fischte und als besonders interessant empfahl – oder auch als besonders unlesbar. Die Atmosphäre des Büros und die entschiedenen Urteile seines Besitzers jedenfalls waren ungeheuer inspirierend – Literatur, so konnte man lernen, war nur wichtig, wenn sie aufs Ganze ging.

Diese Vorliebe für Literatur, die die Erkenntnis beförderte, öffnete uns in den Seminaren die Augen für Autoren wie Paul Wühr oder Arno Schmidt, für Friederike Mayröcker, für Autorinnen und Autoren also, die nicht unbedingt im Kanon universitärer Lehre verankert sind, aber eben auch für die Lyrik des jungen Johann Wolfgang Goethe. Drews‘ literarischer Kosmos reichte von der südamerikanischen Literatur bis zu den Oulipisten, es war undenkbar, sich auf deutschsprachige Literatur zu beschränken. Aber auch Außenseiter wie Johann Gottfried Seume gehörten dazu, oder Walter Kempowski, der lange Zeit von der Germanistik wenig beachtet wurde. Und immer war noch Platz für eine Neuentdeckung. Diese Neugier zeigte sich auch im Bielefelder „Colloquium Neue Poesie“, das Drews mitgegründet hat. Alljährlich war die Lesung der dort versammelten Autorinnen und Autoren erst in der Kunsthalle, dann im Bielefelder Rathaus ein Großereignis für alle, die Literatur abseits von ausgetretenen Pfaden spannend fanden: „eine kleine, aber radikale Minderheit“, wie Drews die Versammelten schon mal ansprach.

Meine eigene Erinnerung an Jörg Drews hängt auch, aber längst nicht nur zusammen mit seiner Begeisterung für Arno Schmidt – zwar bin ich mir bis heute nicht klar, ob ich jemals angefangen hätte, Schmidt zu lesen, hätte es nicht seine beharrlichen Hinweise gegeben; aber es waren nicht nur Schmidt oder Wühr oder irgendein anderer bestimmter Autor und Drews‘ Eintreten für ihn, die mich beeindruckt haben, sondern viel mehr die Genauigkeit, mit der er literarische Texte angesehen und ernstgenommen hat. Nicht nur der berühmte Kommentar zur ersten Seite von „Zettels Traum“ist hierfür ein Beispiel, auchdiedifferenzierte, jedes Detail berücksichtigendeAnalyse von Gedichten war etwas, das er beherrschte und das das literarische Kunstwerk zum Sprechen brachte.

Und noch etwas anderes war es, dass ihn auszeichnete und ihn zum Vorbild machte: sein Stil. Was immer er schrieb, es war anschaulich und klar, weit entfernt von der Verquastheit, die literaturwissenschaftlichen Veröffentlichungen gelegentlich eigen ist. Dabei findet sich die Dichte der Literatur, die ihn faszinierte, auch in seinen eigenen Texten, aber nicht übersetzt in (unnötige) begriffliche Kompliziertheiten, sondern in einem Öffnen von Bedeutungen und Kontexten, welche die Literatur erst lebendig werden ließ.

Wenn man Jörg Drews in den letzten Jahren nach der Pensionierung begegnete, dann war er immer voller Pläne für neue Projekte oder auf dem Weg zu einer Jury-Sitzung oder einem Vortragstermin. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er eine seiner Rezensionen zu Friederike Mayröcker „Mein LESEKOPF glüht“ genannt hat – ein glühender Lesekopf ist er immer geblieben.

Sabine Kyora




Einige (notwendigerweise) persönliche Worte über den Universitätslehrer Jörg Drews

Erlebt habe ich ihn zum ersten Mal in einer furiosen Vorlesung über Johann Wolfgang Goethes „Große Hymnen“. Der da so fesselnd und begeisternd über auf den ersten Blick völlig unzugängliche Gedichte („Wandrers Sturmlied“) sprechen konnte, sollte auch ständig Seminare über einen mir unbekannten Autor namens Arno Schmidt anbieten. An dem musste dann doch wohl auch etwas dran sein. Also kaufte ich mir das Fischer Taschenbuch „Orpheus“, in dem sich als erste Erzählung „Caliban über Setebos“ fand – an deren Lektüre ich natürlich kläglich scheiterte.

Dass sich das später ändern sollte, lag an Jörg Drews. Doch nicht nur Schmidt findet sich heute in den Regalen des ehemaligen Drews-Studenten, sondern auch Walter Serner, James Joyce, Jorge Semprun, Ernst Jandl, Michel Leiris, Julio Cortázar und viele andere der großen Dichter der Moderne und der Avantgarde, denen ich in seinen Seminaren zum ersten Mal begegnete. Eine Empfehlung von Drews war immer ein Hinweis, dem es sich nachzugehen lohnte.

Nicht nur sehr genaues, manchmal buchstabengenaues Lesen, ohne das diese Autoren ebenso unverständlich bleiben wie der junge Goethe, war bei ihm zu lernen. Auch ästhetische Maßstäbe, die begreiflich machten, weshalb Peter Weiss‘ „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ einer der bedeutendsten Texte nicht nur der deutschen Nachkriegsliteratur ist und vor allem auch, weshalb viele andere bekannte Autoren nicht in einen Kanon gehören, der in literarischer Hinsicht keine Kompromisse macht. Da konnte er, um eine seiner zeitweiligen Lieblingsvokabeln zu zitieren, beinhart sein.

Wenn ich heute an den Universitätslehrer Jörg Drews denke, dem das Schärfen des politischen Bewusstseins seiner Studenten ebenso am Herzen lag wie die Auseinandersetzung mit der deutschen Unheilsgeschichte des 20. Jahrhunderts, so kann ich das nicht trennen vom Menschen Jörg Drews, der sich auf einem Joyce-Kongress in Milwaukee (USA) auf wirklich rührende Weise um den sich zwischen all den berühmten Joyceanern verloren vorkommenden jungen Studenten kümmerte, dem er dort die Möglichkeit seines ersten wissenschaftlichen Vortrags über – natürlich – James Joyce und Arno Schmidt verschafft hatte. Und wenn man auf einem Flugzeugsitz in seinem Bielefelder Büro saß (der rastlose Literaturreisende hatte sich die Mobilität auch noch dorthin geholt) oder bei allen späteren Begegnungen in Sachen Schmidt oder J.G. Seume, ob in Bargfeld oder in Benefeld-Cordingen, ob in Venedig oder Portland/Oregon, ob in Graz, in Riga oder Syrakus, immer blieb das aufrichtige Interesse an der Person des Gegenübers spürbar. Auch dies unterschied ihn so überaus wohltuend von vielen anderen in der Literatur- und Universitätsszene.

„And we shall never see the like again. “

Axel Dunker




Jörg Drews als Nestor der Arno-Schmidt-Forschung

Als 1993 Arno Schmidts Verleger Ernst Krawehl starb, schrieb der Fischer Verlag in der Todesanzeige, hingebungsvoller habe sich niemand dem Werk eines Autors widmen können. Spätestens heute, da wir erfahren, dass Jörg Drews an Herzversagen gestorben ist, lässt sich diese Alleinstellung kaum länger aufrecht erhalten. Fast vier Jahrzehnte ist es nun her, dass Drews (zunächst mehr scherzhaft als im Ernst) das „Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikat“ gründete, zahlreiche gleichgesinnte Leser um sich scharte und damit den Grundstein zu einer Forschung legte, die – so fragwürdig sie in ihren einzelnen Verästelungen bisweilen daherkam – ergiebig wurde wie die zu keinem anderen Autor der Nachkriegszeit.

Drews war zunächst und vor allem ein Literatur-Enthusiast und verlor diese Begeisterung selbst in zahlreichen Rollen nicht, in denen manch einem Kollegen die Lust verging. Ob als Feuilleton-Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ oder als Germanistik-Professor der Universität Bielefeld, ob als Beiträger bei „Kindlers Literatur-Lexikon“ oder als Juror bei zahlreichen Literaturpreisen – Jörg Drews war nicht nur stets engagiert, sondern hat auch viele andere gefördert und inspiriert.

Obwohl er immer eine dezidierte Meinung vertrat, war er tolerant genug, unter dem Dach des „Bargfelder Boten“ auch viele einander widersprechende Beiträge zu vereinen – und mitunter gar auch solche, mit deren Urteil er selbst nicht einverstanden war. Wichtig war ihm vor allem, dass die Auslegung von Schmidts Werk weiterging und Fortschritte machte – nach über 300 Nummern und etlichen grundlegenden Sonderlieferungen ist er diesem Selbstanspruch fraglos gerecht geworden.

Der bei einem Autor wie Schmidt stets naheliegende Vorwurf der Gemeindebildung blieb bei Drews indes stets unbegründet. Zwar entwuchs seine Beschäftigung mit dem Bargfelder „Wortmetz“ Schmidt einer persönlichen Faszination mit dessen Werk, jedoch hat diese nie zu glühender Verehrung oder gar Verblendung geführt. Als professioneller Literaturwissenschaftler vermochte Drews, gerade wo es um seine liebsten Forschungsgegenstände ging, sehr wohl zu differenzieren. So scheute er sich auch nie, zu dem von ihm so geschätzten Lieblingsautor auf Distanz zu gehen, wo er es für nötig hielt – ganz gleich, ob es um das Werk selbst oder die Umstände seiner Verbreitung ging.

Seit 1964 bekam Schmidt in Bargfeld immer wieder Besuch vom jungen Drews. In langen Heidespaziergängen tauschten sich die beiden aus, freundeten sich vielleicht sogar ein wenig an. Schmidt erwähnt Drews schließlich sogar namentlich im monumentalen Typoskript-Roman „Zettel’s Traum“. Doch kurze Zeit später kommt es zum Krach: Schmidt war entsetzt über den illegalen Raubdruck seines Romans, Drews zeigte hingegen Verständnis dafür, da die günstige Ausgabe es auch armen Studenten erlaube, sich mit Schmidts neuestem Text zu beschäftigen. Typisch Drews: denn er sah nicht ein, warum nur die, von Schmidt einst so berechnete, Elite der dritten Wurzel aus der Bevölkerung (P) Zugang zum Werk dieses so kunstvollen und einfallsreichen Schriftstellers haben sollte. Durch die Gründung und jahrzehntelange (man kann ruhig sagen: hingebungsvolle) Betreuung des „Bargfelder Boten“ kommt Drews das Verdienst zu, das oft als schwierig angesehene Werk Schmidts zugänglich gemacht zu haben. Für diese Leistung gebührt ihm Dank und Anerkennung. Jörg Drews war eine Ausnahmeerscheinung im Literaturbetrieb, die nicht nur den Arno-Schmidt-Lesern fehlen wird. Aber denen ganz besonders.

Alexis Eideneier




Eine Kategorie für sich

Jörg Drews war eine Kategorie für sich – als leidenschaftlicher Streiter für James Joyce, Arno Schmidt und überhaupt die Literatur der Moderne; als begeisterungsfähiger Literaturkritiker; als verlässlicher Freund. Er hinterlässt Lücken, die sich nicht werden schließen lassen.

Friedhelm Rathjen




myprof – erinnerungen an JÖRG DREWS

auch wenn JÖRG DREWS in meinem gedenken vordringlich stets ‚mein‘ literatur-professor an der universität bielefeld bleiben wird, so gehen doch meine ersten erinnerungen an ihn zurück in meine ausbildungszeit als antiquar – in einem bielefelder laden, der sich mehr bedeutung zumaß, als ihm letztendlich zukam.

JÖRG DREWS, wohl immer nur auf eher argwöhnische weise irgendwie ortsansässig in der ’stadt am teutoburger wald‘ (die es – nebenbei bemerkt – tatsächlich gibt, wofür ich hiermit zeugnis ablegen möchte), war in eben jenem laden auf irgendwie argwöhnische weise kunde. ich selbst hatte mir damals gerade einen neuen lieblingsautor entdeckt: arno schmidt. und im zuge meiner fiebrig=eifrigen nachforschungen hatte ich herausgefunden, dass es schon lange – und, wie ich später begriff, verdienstvolle – reihen an sekundärliteratur zu schmidts werk gab, die meinem unausgebildeten literaturwissenschaftlichen verstand hilfe und stütze sein konnten. dabei las ich immer wieder den namen JÖRG DREWS. irgendwann besuchte ein eher ernster und hagerer, graubärtiger und in aussehen wie umgang bussardig scharf und genau wirkender, gleichzeitig aber auch überaus höflicher und freundlich=zugewandter mann das geschäft. mein liebenswürdiger damaliger kollege (der um meine neue schmidt-leidenschaft wusste) sagte später nur: „das eben … war … JÖRG DREWS …“. – gemeinsam bestellten der kollege und ich dann bei diesem kunden den katalog zur ersten arno-schmidt-ausstellung in der DDR, welcher schließlich nicht ein solcher werden sollte.

in sachen ’seume‘ durfte ich während meiner ausbildung schließlich einmal post für JÖRG DREWS an die universität bringen; den katalog zu einer ausstellung, für die er verantwortlich zeichnete und der von ‚meiner‘ firma verlegt worden war (ich habe diesen viele male – und mit ihm die namen DREWS, KYORA und DUNKER – versandfertig verpackt). verwirrt versuchte ich seinerzeit mich im ‚c-zahn‘ der universität bielefeld zurechtzufinden, bis ich schließlich das richtige sekretariat fand. dort lieferte ich also ab – ohne den empfänger der post gesehen zu haben. es mag dieses erlebnis, ihn gerade nicht getroffen zu haben, aber zu wissen, dass er möglicherweise irgendwie in der nähe war, sein, welches rückblickend so seltsam die aura der ersten wiederbegegnung mit ihm in meinem studium vorgab: eine schweigende fahrstuhlstuhlfahrt von der hallenebene hoch auf c=fünf – für mich unter den zeichen eines faktums und einer frage (das ist jemand!/wer bin ich?). was folgte, war ein längeres wechselspiel des fassens von vorsätzen, ein DREWS-seminar zu besuchen und der aufgabe derselben, will sagen: es kursierte unter den studierenden eine einstellung, die etwa gleichbedeutend war mit ‚zu DREWS gehen nur die großen (= fortgeschrittenen studierenden)‘. das war natürlich ausgesprochener quatsch! ich selbst wurde später zeuge von höchst angemessenen ‚einführungen in die literaturwissenschaft‘ durch JÖRG DREWS!

kurz: für studierende in bielefeld war JÖRG DREWS (nicht nur in seinen letzten jahren): großer lehrer / respektsperson / am kontoauszugdrucker / ein mann, der altgriechisch an die tafel schreiben konnte ohne hinzusehen / angetan mit baseball-kappe / dabei, bücher zu horten / oft in der bibliothek anzutreffen / kurz angebunden / weitschweifig / erinnerungsseelig=nostalgisch / up to date & und im besten aller möglichen sinne – siehe unten – immer wieder grund eines studentischen witzes („… und mit der startnummer eins … JÖRG DREWS mit seinem titel ein bett in bargfeld!“). ich wünsche mir noch immer, es wäre möglich, bei ihm ein seminar zu „finnegans wake“ zu besuchen – wir werden sein kurzes, trockenes & forderndes ‚ja‘ nicht vergessen, nachdem man an seine bürotüre geklopft hatte oder ein ebensolches ‚drews‘, wenn er sich am telefon meldete.

überhaupt! in seinem büro zu sitzen! in der erinnerung gekennzeichnet durch folgende eindrücke: die art, wie er einen ansah / das wissen, das er in form von fakten, empfehlungen, anmerkungen & bedenken mitgab / die bücher=bücher=bücher (unvergesslich die optischen ankerpunkte im regal: die taschenbuchreihe der haidnischen alterthümer und die neuausgabe von moritzens magazin zur erfahrungsseelenkunde). einmal, er arbeitete gerade, glaube ich, an der anthologie das bleibt, las er mir ein gedicht vor und ließ mich den verfasser raten. zwar fand er, glaube ich, meine vermutung annehmbar, doch war er höchst amüsiert, glaube ich, als er mir den wahren autor nennen konnte, dessen namen wohl den ausdruck der verwunderung auf mein gesicht zauberte: arno schmidt. ein anderes mal erzählte er mir – bei ähnlicher gelegenheit, den anlass jedoch habe ich vergessen – von leben und meinungen des ‚hàzzée‘, und ich brauchte in dem gespräch tatsächlich ein bisschen, um (beeindruckt) zu begreifen, dass hier jemand vom großen h.c. artmann als (s)einem kumpel sprach.

kurz: für mich war JÖRG DREWS unentwegter stein des anstosses / leiter von beispielsweise poetik des romananfangs, politische prosa um 1800, diverser colloquien, / ‚erfinder‘ der ‚bejahten‘ & der ‚vermiedenen‘ moderne / mein chef als ich tutor war / förderer / herausgeber / gutachter / großzügiger gastgeber / gast, dessen zusage uns in aufregung versetzte / erfreulicher besuch im cordinger ‚müllerhaus‘ / initiator & moderator des bielefelder colloquiums neue poesie / der mann, dessen badezimmertürklinke ich kaputt gemacht habe / beifahrer unter zeitdruck auf einer rückfahrt von cordingen nach bielefeld, bei der ich eine ganz unglaublich umständliche strecke wählte und während der ich, jung=forsch, von einem fettnäpfchen ins nächste trat (= „bayern find‘ ich doof“ + „goethe ist überbewertet“ + „vorm fliegen kann man doch nur angst haben“) / der bisher einzige mensch, der mir eine postkarte aus manhattan geschickt hat / luftgeist & erdenschwer / schlichtweg: faszinosum.

dass auch andere fasziniert waren, merkte man daran, dass sie redensarten von JÖRG DREWS übernahmen (an vorderster stelle: ‚ein stück=weit‘). dass die studierenden fasziniert waren, merkte man auch daran, dass sie spitznamen für ihn erfanden – ein zeichen großer wertschätzung für den lehrer, welches nicht missverstanden werden sollte. ein solcher sei hier verraten und wenn auch die anspielung auf umberto eco dabei eine besondere würze gibt, so zielt er doch mit sehr, ja, sehr=sehr viel ehrerbietung auf ganz anderes: für uns studierende war JÖRG DREWS damals stets der ‚ehrwürdige jorge‘.

JÖRG DREWS hat auch eine generation von schülerinnen & schülern ‚gezeugt‘, welche wiederum – ja, neben ihm – mich unterrichteten & intellektuell formten. ich hätte ihm gern (bei allem anderen) ganz besonders auch dafür gedankt. ähnliches gilt desweiteren für meine akademische umgebung, in der ich mich – gerade über die chiffre JÖRG DREWS – immer verständigen und gar freundschaften schließen konnte.

bei allem respekt (oder besser: vor lauter respekt): noch ein großer pan ist tot. die erinnerung möge ihn höchst lebendig halten!

Uwe Schwagmeier




Der Ökonomiekritiker

Für einen jungen Studenten, der, allzu früh vom ambitionierten Dorfbuchhändler verführt, mit dem Programm des Haffmans Verlags in Berührung gekommen ist, war es nicht einfach, an der Bielefelder Universität Literaturwissenschaft zu studieren, also dort, wo Jörg Drews lehrte. Man hatte Respekt vor ihm, Respekt im Sinne von Manschetten.

Drews hatte, als notorischer Parteigänger James Joyces und Arno Schmidts, den Verlag geprägt, hatte als Rezensent auf viele deutschsprachige Dichterinnen und Dichter hingewiesen, die es sich zu entdecken lohnte. Nicht zuletzt hatte er dann auch noch die Randfiguren des Expressionismus wieder ans Tageslicht gehoben. Ich hatte also mehr als Scheu vor diesem Mann. In Blockseminaren von Karl Heinz Bohrer zu sitzen, fiel mir dagegen anfangs – aus Unwissenheit, was Literaturbetriebsdinge anging – recht leicht.

Und in einem solchen Blockseminar durfte ich Drews dann doch auch das erste Mal selbst in einem Seminarraum erlebten, als Ostwestfale kannte man sein Gesicht selbstverständlich durch das „Bielefelder Colloquium Neue Poesie“. Auch an anderen Stellen in Bielefeld tauchte er immer wieder einmal auf.

Bohrer bot ein Blockseminar über Literaturkritik an, Drews sollte einen Vortrag halten, als Praktiker sozusagen. Auf der Ankündigung des Seminars, die in dem Trakt, in dem die Professorenbüros lagen, an der Pinnwand hing, hatte jemand neben Drews‘ Namen geschrieben: „Mach ihn fertig!“ Wer sollte wen fertig machen? Drews Bohrer? Bohrer Drews? Die Kinder, die wir Novizen waren, waren gespannt bis hin zur Aufgeregtheit.

Drews dagegen war selbstverständlich völlig entspannt, setzte sich salopp auf einen Tisch, und erklärte ohne jede falsche Empörung und ohne jede Rücksichtnahme den ökonomischen Hintergrund der Literaturkritik, ging kenntnisreich und ohne Script der Frage nach, wie und warum ein dickes Buch nicht so einfach wegrezensiert werden kann, und deshalb oft gar keine Beachtung findet, weil keiner Zeit hat, es zu lesen. Er erläuterte dies an den Beispielen von Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“ und Paul Wührs „Das falsche Buch“. Kritiker haben keine Zeit, denn Zeit kostet Geld, so lehrte uns Drews, und Zeit und Geld haben die Kritiker nicht in Massen. Dementsprechend stürzt man sich auf das leicht Verdauliche, auf das Gängige, auf das, was keine langwierige Lektüre voraussetzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Seither weiß ich mehr über Literaturkritik, kann mir manches intellektuelle Versagen des Feuilletons und seine Spektakelgeilheit ebenso erklären, wie ich ahne, wie eine Literaturkritik auszusehen hätte, wäre sie befreit vom ökonomischen Druck. Drews war ein Glücksfall für das Feuilleton, er nahm sich die Zeit und beachtete das Geld nicht unbedingt, folgte stattdessen seiner Neugierde. Das wiederum hat der Literatur, die man Literatur nennen kann, sehr geholfen. Man musste keine Manschetten vor ihm haben, muss ihm dafür aber umso mehr Respekt zollen.

Jörg Sundermeier




Die Drewstasse

Jörg Drews wird für mich immer der Mann sein, der eines Tages im Juni 1992 vor der Tür meiner illegal untergemieteten Berliner Einraumwohnung stand, mit dem Manuskript meines Buchs zu Arno Schmidt und Sigmund Freud unter dem Arm. Das Buch sollte als Sonderlieferung des „Bargfelder Boten“ herauskommen, ein Periodikum, das Drews seit 1972 herausgab und das der Motor der Schmidt-Forschung war. Ich sah es als Auszeichnung an, dort zu erscheinen und schämte mich um so mehr des bohemistischen Halbchaos meiner Behausung. Jörg Drews störte sich aber gar nicht daran, schmiss seine schwarze Lederjacke irgendwohin, ließ sich auf den nächstbesten wackligen Stuhl fallen und diskutierte mit mir eifrig mein Manuskript, die Person und die Werke Schmidts und die Kuriositäten der literarischen Welt überhaupt. Irgendwann während des sehr anregenden und sich immer weiter in die Länge ziehenden Gesprächs schob ich ihm einen Kaffee hin, in einer grau-roten Steinguttasse mit einem Sprung. Wenn ich redete, nippte er manchmal daran. Irgendwann ging für uns völlig überraschend die Tür auf, und meine Freundin stand da und sah uns erstaunt an. Drews und ich merkten, dass wir die verabredete Zeit weit überzogen hatten, und er verabschiedete sich überstürzt, weil ihm einfiel, dass er noch andere Termine hatte. Meine Freundin konnte nicht umhin, den Rest des Abends zu schwärmen, was für ein toller Typ Jörg Drews sei. Von da an kredenzte ich ihr den Morgenkaffee immer in der „Drewstasse“, der grau-roten mit dem Sprung.

Die Freundin hat mich längst verlassen, und Jörg Drews ist jetzt tot. Aber die Drewstasse ist noch da. Ich werde sie in Ehren halten.

Gregor Strick




Der große Förderer

Das erste mal hörte ich von Jörg Drews, als ich ein Hauptseminar besuchte, das ein gewisser Horst Denkler anbot. Auch diesen Professor hatte ich bis dahin in meinem bereits ziemlich weit vorangeschrittenen Berliner Studium der Neueren Deutschen Literatur, Neueren Geschichte sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft noch gar nicht kennengelernt.

In dem von Rudi Schweikert 2004 herausgegebenen Band „‚Da war ich hin und weg‘. Arno Schmidt als prägendes Leserlebnis. 100 Statements und Geschichten“ habe ich den ersten Moment dieser prägenden Lehrveranstaltung wie folgt beschrieben: „Wir schreiben das Jahr 1998. Ein langhaariger Student mit riesiger Nase, verbeultem Lederrucksack und rasenden Kopfschmerzen taumelt verkatert in den Seminarraum JK 29/18 der so genannten Rostlaube der Freien Universität Berlin. […] Es riecht nach krebserregendem Asbest, saurem Mensakaffee und kaltem Zigarettenrauch. Und auf dem Programm steht heute ein gewisser Arno Schmidt.“ In der Folge spielt in diesem fragmentarischen Text die wiederholte Verwunderung darüber eine Rolle, dass die wichtigste Zeitschrift der so genannten Arno-Schmidt-Forschung „Bargfelder Bote“ genannt wird.

Niemand anderem als Jörg Drews war es zu verdanken, dass ich wenige Jahre später selbst Beiträger dieses ominösen Periodikums werden durfte. Die Rolle der ermutigenden, unkompliziert formulierten und vor allem schnellen Antwortbriefe und knappen Mailhinweise, die dieser erstaunlicherweise gar nicht unzugängliche Herausgeber an mich sandte, war dabei nicht zu unterschätzen. Die Möglichkeit, als ein noch überhaupt nicht – wie es oft so streng heißt – „ausgewiesener“ Wissenschaftler erste Texte in einer angesehenen literaturwissenschaftlichen Zeitschrift wie dem „Bargfelder Boten“ unterzubringen, ermutigte mich.

Auch bei der Arbeit an meiner Dissertation, in der ich mich unter anderem mit den Schriften Arno Schmidts auseinandersetzte, zeigte Drews, den ich zu dem Zeitpunkt immer noch kein einziges mal persönlich getroffen hatte, merkwürdigerweise reges Interesse an meinem Projekt, ja ließ sich sogar einzelne unfertige Kapitel zuschicken und antwortete gelegentlich mit hieroglyphenhaften Annotationen. Auch wenn es oft nur große Fragezeichen waren, die er auf den Rand der Manuskriptseiten gemalt hatte – sie waren immerhin von Jörg Drews und also reiflich zu bedenken.

Vielleicht am meisten half mir dieser lockere Bielefelder Professor damit, dass er sich schließlich auch noch dazu bereit erklärte, neben Peter Sprengel als zweiter Gutachter meiner Dissertation einzuspringen und als solcher auch noch spontan nach Berlin zu reisen, um mit mir als Mitglied der Promotionskommission meine Thesen zu diskutieren. An jenem Vormittag in irgend einem abgelegenen Seminarraum der FU sah ich ihn dann auch endlich zum ersten Mal, diesen auffällig agilen und kommunikationsfreudigen Mann, und ich kann mich noch an jedes Wort genau erinnern, das er in diesen etwa anderthalb Stunden der Prüfung zu mir sagte.

Es waren hilfreiche Bemerkungen dabei, aber auch solche, die mich in diesem anspannenden Momenten eher weniger erfreuten – ein untrügliches Zeichen dafür, dass es hier um einen offenen Schlagabtausch ging und nicht etwa nur um ein formelhaftes Gespräch, bei dem das Ergebnis schon ausgemacht war und man bloß noch einige belanglose Nettigkeiten austauschte. Im direkten Umgang mit Drews musste man kritikfähig sein, ein gewisses Standing haben – um nicht zu sagen: Sportsgeist. Was man von Drews dafür zurück bekam, waren Respekt und kompromisslose Fairness.

Ich werde es nie vergessen: Nach dieser Disputation standen wir noch am U-Bahnhof Thielplatz, aber Drews verabschiedete sich auch schon wieder hektisch, er müsse jetzt gleich zum „Merkur“, also in die Redaktion der von seinem ehemaligen Bielefelder Kollegen Karl Heinz Bohrer herausgegebenen „Zeitschrift für europäisches Denken“.

Übrigens gibt es in der Redaktion unserer eigenen Zeitschriftnoch heute Diskussionen darüber, ob es nicht anrüchig gewesen sei, dass die erste Kritik, die von mir bei literaturkritik.de erschien, ein Buch zum Thema hatte, das Drews mit herausgegeben hatte. Denn über eigene akademische Lehrer schreibt man bekanntlich besser keine Rezensionen, wie Thomas Anz in seinem soeben erschienenen Rückblick anlässlich des 10. Geburtstags von literaturkritik.de noch einmal deutlich unterstrichen hat.

So oder so wurde mir der Fauxpas, den ich sogar bei einigen späteren Gelegenheiten wiederholte, immer schnell verziehen. Andererseits kann man es aber im jetzigen Rückblick und aus gegebenem Anlass einmal ganz nüchtern so sehen: Dass auch meine spezielle Geschichte mit unserer Zeitschrift, in deren Redaktion ich seit 2005 arbeiten darf, durch meine publizistische Auseinandersetzung mit Jörg Drews ihren Anfang nahm. Sein plötzlicher und für mich vollkommen unerwarteter Tod hat mich nicht nur deshalb besonders erschrocken und auch nachdenklich gemacht.

Jan Süselbeck