Glamour und Diskurs

Viktor Pelewin macht in seinem Roman "Das fünfte Imperium" aus Vampiren Analysten der Gegenwart

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vampire erleben zwischen Buchdeckeln und auf der Leinwand gegenwärtig ein Comeback: Es genügt an dieser Stelle, an die zurzeit omnipräsente Stephenie Meyer zu erinnern. Über die Gründe für diese Konjunktur könnte man gewiss spekulieren. Viktor Pelewin kann sich jedenfalls zugute halten, dass er nicht einfach auf eine Mode aufspringt, wenn er nun ebenfalls einen Vampirroman vorlegt. Der russische Kultautor hat sei jeher ein Faible für Fabelwesen und andere imaginierte Gestalten, wie zuletzt sein "Heiliges Buch der Werwölfe" (deutsch 2006) gezeigt hat.

Auch Pelewins Vampire sind Blutsauger. Trotzdem ist "Das fünfte Imperium" weit von einem gruseligen Schocker entfernt. Esoterisches tritt, wie immer bei diesem Autor, selbstverständlich auf den Plan. Aber auch wenn Pelewin die Welt der Vampire auf durchaus originelle Art und mit allerhand Kuriositäten darstellt, geht es ihm eigentlich um etwas anderes: Die Vampire dienen dem Schriftsteller dazu, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Tatsachen zu kommentieren und bloßzustellen.

Pelewins Roman erzählt die Geschichte Romas, eines 19jährigen Moskauers, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt und der vor allem einen tieferen Sinn in seiner Existenz vermisst. Eher zufällig folgt Roma am Tag der Sommersonnenwende einer Aufschrift auf dem Trottoir: "Nutzen Sie die Chance zum Eintritt in die Elite!" Roma betritt einen Hinterhof, dann eine Wohnung. Hier verliert er das Bewusstsein. Als er zu sich kommt, ist kaum mehr etwas wie vorher. Seltsame Gestalten paradieren der Reihe nach an ihm vorbei, und allmählich dämmert es dem Jungen, dass er als Vampir auserkoren ist. Fortan durchläuft Roma eine Schule in Vampirkunde und wird dabei von Spezialisten in verschiedenen Fächern unterrichtet. Eine besondere Rolle spielen Glamour und Diskurs, gewissermaßen die beiden Säulen, auf denen die Welt der Vampire ruht. In kleinen Dosen "verkostet" Rama, wie der neue Vampir heißen wird, die "rote Flüssigkeit" von Menschen. Auf diese Art und Weise können Vampire ins Innerste der jeweiligen Person hineinsehen und diese vollständig erkennen. Ein gelungener Einfall Pelewins: Die Vampire unterhalten Bibliotheken mit zahlreichen Kostproben von roter Flüssigkeit.

Glamour und Diskurs sind nun aber zugleich die Pole einer scharfsinnigen Gesellschaftsanalyse, die Pelewin in seinem Roman unternimmt. Hier liegt denn auch der wirkliche Schwerpunkt des Romans, und das tut ihm zweifellos gut. Das Esoterisch-Phantastische ist nämlich nicht Selbstzweck - eine Gefahr übrigens, der die neuere russische Literatur (und andernorts auch Pelewin selbst) nicht immer entgehen kann. Hier aber inszeniert Pelewin die Vampire als die großen Kommentatoren der Welt. Nicht Editorialisten, nicht Akademiker, nicht aus dem Ausland zugeschaltete Fachleute - nein, Vampire sind die Analysten der Gegenwart.

Pelewin greift damit zu einem Trick, der die nötige Distanz schafft und eine Vogel- (oder besser: Fledermaus-) Perspektive generiert, in der manches Übel der Gegenwart nur umso deutlicher hervorgehoben wird. Glamour und Diskurs werden dabei von Pelewin als die eigentlichen Funktionsweisen unserer Zeit angeprangert. Diese beiden Begriffe lassen sich kaum in wenigen Worten erklären. Rama lernt denn auch verschiedene Definitionen kennen - und sie alle beleuchten je einen Aspekt von Glamour und Diskurs. Aber einer der Lehrer gibt dann doch eine annähernde und provisorische Bestimmung: "Glamour und Diskurs sind die zwei wesentlichen Künste, die ein Vampir in Vollendung beherrschen sollte. Ihre Quintessenz ist zum einen Tarnung, zum anderen Kontrolle. Und was sich daraus ableitet, ist Macht." Pelewin entfaltet auf diesem Hintergrund in seinem Roman einen weit ausgreifenden Kommentar zu Medien, Reklame, Kapitalismus und der ihnen allen willfährigen Politik.

Pelewins Schaffen gewinnt mit diesem Roman wieder deutlich an gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Was er zu sagen hat, ist in vielem direkt auf die russische Realität gemünzt. Doch das Wesentliche an der Diagnose, welche die Vampire stellen, trifft auch für die "westlichen" Gesellschaften zu. Sein Entwicklungs- und Thesenroman führt den Autor im Übrigen nicht zu einem trockenen, akademischen oder gar belehrenden Stil. Im Gegenteil: Pelewins Buch sprüht vor Einfällen und Witz. So wird der Baustil der Termitenhügel als "Acid-Goth" bezeichnet. Pelewin knüpft auch ein breites Netz intertextueller Verweise: Sein Roman wäre etwa ohne Michail Bulgakows "Meister und Margarita" kaum denkbar. Pelewin nimmt Margaritas Flug über Moskau wieder auf: Freilich ist es bei ihm der Vampir Rama, der in Gestalt einer Fledermaus über die Hauptstadt dahinjagt. Schließlich, das soll ebenfalls nicht unterschlagen werden, spielt in Romas Vampirwerdung auch die Liebe eine nicht unwesentliche Rolle.

Vampire demaskieren die Welt und deren Machtverhältnisse: Pelewins Roman ist eine im allerbesten Sinn eigenwillige Umsetzung eines alten literarischen Stoffs.


Titelbild

Viktor Pelewin: Das fünfte Imperium. Ein Vampirroman.
Übersetzt aus dem Russischen von Andreas Tretner.
Luchterhand Literaturverlag, München 2008.
399 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621388

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