Halle, Harz und Heidelberg

Autobiografisches von Joseph von Eichendorff, gesammelt von Heidi Ritter und Eva Scherf

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Etwas pathetisch, gleichwohl treffend, erscheinen dem alternden Dichter Joseph von Eichendorff seine frühen Studienaufenthalte in Halle und Heidelberg als "eine ganz artige Werkstatt für ein junges Dichterherz". Im gleichnamigen Rückblick "Halle und Heidelberg", 1857 im Todesjahr abgeschlossen, rechnet Eichendorff mit der "materialistischen Zeit" seiner Gegenwart ab, sieht jedoch auch die Epoche der Romantik durchaus kritisch. Sein Fazit über seine Zeit "bleibt am Ende bitter und scharf. Statt Vaterlandsliebe sieht er abstrakte Deutschtümelei, statt einer studentischen Jugend, die ,in exzeptioneller Maskenfreiheit die übrige Welt neckend, herausfordernd und parodierend begleitete, sieht er nun Studenten, die sie meistern und vernünftiger einrichten' wollen, ja, die angetreten sind, ,selbst Politik zu machen'. So ist für ihn all das ,vorromantische Ungeziefer' wieder zum Vorschein gekommen: Rationalismus, Verachtung des Mittelalters und - am schlimmsten - ,die Lehre von der alleinseligmachenden Nützlichkeit'".

Nachzulesen ist dies in einer ansprechenden Leseausgabe mit dem Titel "Joseph von Eichendorff: Halle, Harz und Heidelberg", die Heidi Ritter und Eva Scherf vorgelegt haben. Sie versammeln neben dem "nahezu ungekürzten" späten autobiografischen Rückblick auch Tagebuch-Auszüge des jungen schlesischen Adligen, der mit seinem älteren Bruder Wilhelm in Halle in den Jahren 1805 und 1806 sowie in Heidelberg im Jahr 1807 Rechts- und Geschichtswissenschaften studiert.

Im etwa 16.000 Einwohner zählenden Halle pflegen die rund 1.300 Studenten zu Eichendorffs Zeit "eine Art jugendlicher Gegenkultur, deren Schilderung in Eichendorffs Tagebuchaufzeichnungen breiten Raum einnimmt". Im benachbarten Dorf Passendorf, in Merseburg oder in Leipzig kann der junge Studiosus häufig "erstklassige Theateraufführungen" von Schauspieltruppen erleben, ein Genuss, auf den er im pietistischen Halle verzichten muss. "Und schließlich hat Eichendorff während seiner halleschen Studienzeit auch Landschaftserlebnisse, die nachwirken werden", so vor allem eine fünftägige Fußreise durch den Harz. In sein "Pro Memoria. Für den Monath September 1805" notiert Eichendorff am 12. September über die Besteigung des "berühmten Rißtrapp. Durch keine Um- und Beschreiberey mag ich dieses göttliche Naturschauspiel entweyhen, nur durch Andeutungen einzelner Züge will ich die Phantasie aufmuntern in Stunden der schönsten Erinnerung sich das große Bild neu u. lebend, allein würdig dem Original wieder zu schaffen."

Seine Äußerungen über Heidelberg, über Achim von Arnim, Clemens Brentano, Joseph Görres und Friedrich Creutzer sind nach wie vor prägend für das Verständnis der Heidelberger Romantik: "Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäb' es nichts Gemeines auf der Welt."

Zwischen den hier vorgelegten Tagebucheintragungen und der Betrachtung über "Halle und Heidelberg" liegen fünf Jahrzehnte - eine Spanne, an deren Ende Eichendorff sich die bittere Diagnose stellt, dass er sich in der neuen Zeit wie ein Gespenst aus einer längst vergangenen Epoche ausnimmt. Dies wie im Zeitraffer anschaulich gemacht zu haben, ist das Verdienst dieser Textausgabe, die überdies mit zwölf Abbildungen das Lesevergnügen erhöht.


Titelbild

Joseph von Eichendorff: Halle, Harz und Heidelberg. Autobiografisches.
Herausgegeben von Heidi Ritter und Eva Scherf.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008.
144 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783898125109

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