Kapitalismuskritik im Märchen

Thomas Manns "Königliche Hoheit"

Von Alke BrockmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alke Brockmeier

Im Jahr 2009 jährt sich das Erscheinen des Romans "Königliche Hoheit" zum einhundertsten Mal. Thomas Manns zweites großes Erzählwerk gilt als wenig gelesen und unterschätzt, was vor allem deshalb ins Gewicht fällt, weil der Autor selbst immer wieder seine Enttäuschung über die insgesamt eher schlechte Aufnahme bei der Kritik äußerte und zugleich die zeitgeschichtliche Bedeutung des Romans unterstrich. Dass er sein eigenes Werben um Katia Pringsheim augenscheinlich in dasjenige Klaus Heinrichs um Imma Spoelmann transponierte, prägt bekanntlich (nicht nur) die wissenschaftliche Rezeption: Ein großer Teil der veröffentlichten Studien zu diesem Roman beschäftigt sich mit seinen autobiografischen Elementen, mit den näheren Umständen der Heirat Thomas Manns - aber auch mit der allegorischen Übertragung von Künstlertum. Es gab immer wieder Versuche, die Fürstenwelt, den Kapitalismus und das Volk nach realen Gesichtpunkten zu beurteilen, und "Königliche Hoheit" nicht ausschließlich als Künstlerallegorie zu verstehen. Das trifft in der Forschungsliteratur weitgehend auf Unverständnis, obwohl Mann selbst politisch-soziale Kategorien ins Spiel brachte und den Roman als "Aussöhnung des aristokratisch-melancholischen Bewußtseins mit neuen Forderungen, die man [...] auf die Formel des 'Demokratischen' hätte bringen können", verstand. Die Zeitgenossen lasen den Roman auch durchaus so. In "Vorwärts" hieß es, es gebe "in der ganzen neueren Literatur kein Buch, das die Pfefferbüchse eines schonungsloseren Spottes über dem monarchischen Beruf schwenkte, als dieses". Die Frage nach dem Bezug des Romans zu außerliterarischen Zeitphänomenen soll deshalb neu gestellt werden.

Seine Rezeption setzt, damals wie heute, tatsächlich sehr verschiedene Schwerpunkte. Exemplarisch seien hier nur einige der zahlreichen Rezensionen aus dem Veröffentlichungsjahr 1909 genannt: Das "Berliner Tageblatt" rückt den Roman, auch aufgrund des Fürstenthemas, in die Nähe der "Operette" und betont dabei seinen leichten Stil und seine "einfache Darstellung". Einige Rezensenten sehen aber Anderes im Roman, vor allem in der Darstellung des Landes und des Volkes. Ida Boy-Ed bezeichnet "Königliche Hoheit" in den "Hamburger Nachrichten" als "kulturgeschichtliches Dokument von so umfassender Art, das Sozialkritische ist darin so durchaus von dem Poetischen durchdrungen". Und als in der "Neuen Rundschau" eine Rezension Hermann Bahrs erscheint, erfährt "Königliche Hoheit" eine - daraufhin kontrovers diskutierte - gänzlich neue Deutung. Bahr schreibt: "Dieser Roman wirkt vor allem durch seine sehr starke Realität. Wir lernen das Land kennen, Ackerbau, Gewerbewesen, Forstwirtschaft, den Notstand der Landwirtschaft, die schlechten Finanzen, dies alles so, daß wir an der Wahrheit nicht zweifeln können. Die Daten überzeugen uns, noch mehr aber der Vortrag, dem es an jener schwer atmenden Anstrengung nicht fehlt, die wir an handelspolitischen oder finanzpolitischen Darstellungen gewohnt sind." Seine zentrale These überrascht - sie lautet: "Dieser Roman nähert sich dem Märchen, aber auf eine recht sonderbare Art, nämlich durch den Marxismus." Dabei sei parenthetisch angemerkt, dass der Begriff "Marxismus" im Wortgebrauch der Zeit weniger eng gefasst ist als heute und auch in sozialdemokratischem Sinne verwendet wurde.

Mann verteidigt in einem Brief an Kurt Martens vom 11. Januar 1910 Bahrs Perspektive. Dieser halte es "mit der demokratischen Bewegung in Deutschland, die natürlich nur eine unter vielen 'Bewegungen' ist, der aber in der That viel Zukunft - auch litterarisch - gehören mag. [...] es ist dergleichen los, und ich selbst bin, was Du auch sagen magst, vielleicht nicht ohne Fühlung damit gewesen, während ich an 'Königliche Hoheit' schrieb. [...] Ein gewisser lehrhaft anti-individualistischer Zug ist dem Buche nicht abzusprechen, und mein Bruder, ein leidenschaftlicher Demokrat der neuesten Prägung (sein letzter Roman ist aeußerst interessant als Zeitprodukt) war entzückt über Bahrs Ausdeutungen von 'Königliche Hoheit'. Giebt Dir das nicht zu denken?" Gemeint ist Heinrich Manns ebenfalls 1909 erschienener Roman "Die kleine Stadt". Zwar distanziert sich Thomas Mann davon, dass der "künstlerische Wert" seines eigenen Romans ein sozialkritischer sei, "aber sein geistiger, ethischer" Wert beruhe darin, "und es ist nicht ausgeschlossen, daß ["Königliche Hoheit"] - wenn überhaupt - um dieser Beziehungen willen in Zukunft genannt werden wird".

Auch in seiner Reaktion auf die positive Aufnahme des Romans in Frankreich unterstreicht Mann die soziale Seite des Fürstenromans. So macht er in seinem Brief vom 21. Oktober 1908 an den französischen Germanisten Joseph-Emile Dresch deutlich, dass er auf eine Berücksichtigung seines Romans in dessen Essay hofft. "[I]ch glaube wohl, daß mit [diesem neuen Buche] eine Periode meiner Produktion sich endigt und eine neue beginnen wird". Bei der Arbeit Dreschs handelt es sich um "Le roman social en Allemagne 1850 à 1900", sie erscheint 1913 -Manns "Königliche Hoheit" berücksichtigt er hier jedoch nicht. In einem Brief an Alexander von Bernus vom 22. Mai 1910 schreibt Mann außerdem über den "Voltair'sche[n] Zug" des Romans: "Die Franzosen haben ihn gleich bemerkt, und der Erfolg des Buches ist, literarisch genommen, in Frankreich viel größer, als bei uns. Viele große Pariser Zeitschriften haben lange und durchweg sympathische Studien darüber gebracht".

Dass Mann sich mit "Königliche Hoheit" darum bewirbt, in eine Studie über den deutschen Sozialroman aufgenommen zu werden, und sein Roman gleichzeitig von der Kritik mit marxistischer Theorie in Verbindung gebracht wird, mag in Hinsicht auf die doch erklärtermaßen allegorische Ausrichtung des Fürstenromans erstaunen. Man denke hier aber an die - von ihm selbst oft genannten - Vorbilder gerade des jungen Mann. Da wäre beispielsweise seine frühe Verehrung Heinrich Heines zu nennen, dessen Anhängerschaft Henri de Saint-Simons und anderer sozialistischer Theoretiker und dessen Freundschaft mit Karl Marx bekannt sind. In Heines "Die romantische Schule" heißt es: "wir [haben] nicht nöthig [...], die größere und ärmere Klasse an den Himmel zu verweisen". Besonders in seinem Spätwerk äußert er sich kapitalismuskritisch. Im Jahr 1844 schreibt Heine über den "socialen Groll gegen die überwuchernde Macht des Kapitals, gegen die Ausbeutung der Armen durch die Reichen". Die Wechselbeziehung zwischen Heine und Marx ist vielfach diskutiert worden und lässt sich im Übrigen laut Ludwig Marcuse aufgrund ihrer gedanklichen und zeitlichen Nähe nicht klar auflösen: "Heine hat eher einige Ideen Marx' antizipiert (sie waren ja von gleicher Herkunft), als daß er beeinflußt worden ist." Es lässt sich jedoch sicher über Heine sagen, dass er den deutschen Kommunisten - zwar widerwillig, aber dennoch - Recht geben musste: "ihnen gehört, ich fürchte, die Zukunft".

Tatsächlich finden sich essayistische Auseinandersetzungen Manns mit der marxistischen Theorie, und diese deuten auf den Einfluss von Vermittlern hin. Ein Hinweis auf eine von Heine geprägte Marxrezeption lässt sich in seinem Essay "Zur Besinnung" aus dem Jahr 1936 vermuten. Er teilt hier Heines pessimistische aber entschiedene Zustimmung Marx': "Der leider richtige Kern des Marxismus und seiner Lehre vom 'ideologischen Überbau' ist dieser, daß die Gedanken und Gesinnungen der Menschen weitgängig abhängig sind von den wirtschaftlichen Umständen". Es folgt eine Stellungnahme, die sich ganz im Sinne der religiös erhöhten Gesellschaftstheorie Saint-Simons liest: "Die Erlösung des Menschen liegt nicht hier, sondern im Ewigen. Aber die religiöse Sehnsucht danach braucht uns keineswegs in dem 'guten Willen' zu beirren, auf einen irdischen Zustand hinzuarbeiten, der, nicht gar zu ehrenrührig für die Vernunft, dem Menschen das ihm erreichbare und anständige Maß von Freiheit, Güte und Glück verbürgt".

Ein weiteres Dokument der expliziten Auseinandersetzung Manns mit dem Marxismus und Sozialismus ist die "Rede vor Arbeitern in Wien" (1932), eine mit seinen Worten "überzeugungsvolle Sympathieerklärung für Ihre Sache" und darüber hinaus eine leidenschaftliche Apologie der Demokratie. In dieser Rede reflektiert er nicht nur den marxistischen Klassengedanken, sondern auch den marxistisch-leninistischen Materialismus. Er sieht die Künstler dabei zunächst als unabhängig von jedweder Klasse der Gesellschaft an. Sie seien "gewissermaßen verlorene Söhne ihrer Klasse, deren Wesen in den vom Marxismus gewollten Bedingtheiten durchaus nicht rein aufging". Er erklärt außerdem, "kein ganz orthodoxer Anhänger der marxistischen Auffassung des Kulturbegriffes" zu sein und bekennt: "Im Wirtschaftlich-Klassenmäßigen die schöpferische Grundtatsache des Lebens und in allem Geistigen und Kulturellen nur einen ideologischen Überbau zu erblicken, ist nicht ganz meine Sache, soviel historisch Wahres an dieser Theorie auch sein mag". Kultur und Sozialismus sind, so lassen sich seine Ausführungen zusammenfassen, ursprünglich antagonistisch zu verstehen. Das sei nicht nur in der bürgerlichen Herkunft des deutschen Kulturbegriffs begründet, sondern auch in dem Gegensatz künstlerischer "Steigerung des Individuellen" auf der einen Seite und der sozialistischen Gemeinschaft auf der anderen. Bemerkenswert ist nun aber die Kritik an der scharfen Trennung von Geist und materieller Wirklichkeit und seine Forderung, diese zu überwinden: "Die sozialistische Klasse ist, im Gegensatz zum kulturellen Volkstum, geistfremd nach ihrer ökonomischen Theorie, aber sie ist geistfreundlich in der Praxis, - und das ist, wie heute alles liegt, das Entscheidende".

Nicht zuletzt auch Friedrich Nietzsches Verhältnis zu wirtschaftlichen Fragen und Theorien wie derjenigen Marx' fesselt Manns Aufmerksamkeit. In dem kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Essay "Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung" zitiert er aus "Der Wille zur Macht": "[...] 'Die Arbeiter sollen als Soldaten empfinden lernen: ein Honorar, ein Gehalt, aber keine Bezahlung. Sie sollen einmal leben wie jetzt die Bürger; aber über ihnen, sich durch Bedürfnislosigkeit auszeichnend, die höhere Kaste, also ärmer und einfacher, aber im Besitz der Macht.' Und er [Nietzsche] hat sonderbare Anweisungen gegeben, den Besitz moralischer zu machen: 'Man halte alle Arbeitswege zum kleinen Vermögen offen', sagt er, 'aber verhindere die mühelose, die plötzliche Bereicherung, man ziehe alle Zweige des Transports und Handels, welche der Anhäufung großer Vermögen günstig sind, also namentlich den Geldhandel, aus den Händen der Privaten und Privatgesellschaften - und betrachte ebenso die Zuviel- wie die Nichts-Besitzer als gemeingefährliche Wesen.' - Der Nichts-Besitzer als bedrohliche Bestie in den Augen des philosophischen Kleinkapitalisten: das stammt von Schopenhauer. Die Gefährlichkeit des Zuviel-Besitzers hat Nietzsche dazugelernt".

Damit wird klar, dass Heine und Nietzsche für Mann nicht nur Vermittler der Philosophie Marx' waren, sondern von ihm auch mit ihren eigenen Wertungen, Akzentsetzungen und theoretischen Weiterentwicklungen wahrgenommen wurden. In den "Betrachtungen eines Unpolitischen" übernimmt er wörtlich Nietzsches Auffassung von einem elitären Ansatz marxistischer Philosophie: "Die Wirklichkeit versteht nicht den Aufstand des Idealismus gegen den 'Idealismus', diesen Kampf, den zum Beispiel Marx führte, so gut wie Nietzsche. Denn 'wenn Marx den Wahrheitsbegriff und den Moralbegriff des deutschen Idealismus zersetzte, so tat er es aus Idealismus, aus Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit, um einer umfassenden Wahrheit und Gerechtigkeit willen - nicht zur Entfesselung der Horde'". Und im Jahr 1944 schreibt Mann über einen allgemeinen, von Marx nur zum Teil mitgestalteten Kommunismus: "Der Zukunft [...] gehört er an insofern, als die Welt, die nach uns kommt, in der unsere Kinder und Enkel leben werden und die langsam ihre Umrisse zu enthüllen beginnt, schwerlich ohne kommunistische Züge vorzustellen ist: das heißt, ohne die Grundidee des gemeinsamen Besitz- und Genußrechtes an den Gütern der Erde, ohne fortschreitende Einebnung der Klassenunterschiede, ohne das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit für alle". Ungewöhnliche, unerwartete Worte? Der Blick auf Manns Lektüre und auf seine Essays macht deutlich, dass seine Auseinandersetzung mit wirtschaftstheoretischen und sozialistischen Aspekten der Geistesgeschichte zwar vage bleibt, aber permanent und weitreichend ist. In "Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur" von Philipp Gut ist nachzulesen, dass sich in seinen Tagebüchern aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein "zeitweilige[r] Beifall" für einen "konfuse[n] Kommunismus" nachweisen lässt.

Zu bedenken bleibt dabei, dass die genannten Texte erst nach dem Roman "Königliche Hoheit" entstanden, also auch nach Thomas Manns demokratischer Wende, die bekanntlich erst in der Zeit der Weimarer Republik stattfindet. Seine rückblickende Selbstdeutung in "On Myself" (1940) geht jedoch so weit, gerade in diesem Roman den Beginn seines politischen Gesinnungswandels zu sehen: "Geistig stellt es eine vielleicht nicht uninteressante Wendung zum Demokratischen dar, indem zwar der 'Hoheit', dem 'Sonderfall', den Erscheinungen aristokratischer Absurdität noch immer die ironisch getönte Liebe des Autors gehört, mit den Mitteln derselben Ironie aber die hochindividualistischen Typen bis hinab zum wahnsinnigen Hunde Perceval als Anachronismen gekennzeichnet werden und der liebenswürdigste von ihnen den Weg aus der Einsamkeit zur Gemeinschaft und sozialen Sympathie geführt wird, - eine Fabel, die damals, auf der Sonnenhöhe des Wilhelminischen Kaisertums, mehr vorwegnahm, als die Leser von 1905 herauslasen". Wilfried Opitz legt in seiner Dissertation "Thomas Manns Wende zum Demokratischen" dar, dass "Königliche Hoheit" tatsächlich als Ausgangspunkt von Manns demokratischer Entwicklung anzusehen ist.

Im Roman stellt dessen eigenwilliger Demokratiebegriff zwar eine Kritik an der Monarchie dar, keineswegs aber ihre Ersetzung durch ein tatsächlich demokratisches System. Die Rolle des Volkes beschränkt sich auch noch im Schlussbild des Romans auf die Bewunderung seines Fürsten. Für die Trauung seien nämlich "Einladungen in alle Gesellschaftsklassen" geschickt worden, und "auch Handelstreibende, Landleute und schlichte Handwerker" wohnen ihr "erhobenen Herzens" bei. Der Bruder Heinrich hatte denn auch völlig zu Recht das Volk als "Statisten" bezeichnet. Heinrich Detering gibt in seinem Kommentar der Frankfurter Ausgabe allerdings zu bedenken, dass "Kategorien wie 'Volkstümlichkeit' und die Affirmation der Herrschaft durch Akklamation [...] eine größere Bedeutung" zugeschrieben wird, "als ihnen in einem allein auf die monarchische Autorität fixierten Entwurf zukäme". Auch die "Erzählinstanz", das "Kollektivsubjekt" 'wir', durchläuft, laut Detering, einen Demokratisierungsprozess. Die "Stimme einer devoten, ihrem Monarchen ergebenen Presse" werde zu der "jenes 'Volkes', das neugierig, skeptisch und liebevoll der Erziehung seines Fürsten zusieht und endlich zustimmt". Der von Mann beschriebene "Weg aus der Einsamkeit zur Gemeinschaft und sozialen Sympathie" äußert sich auch im Wirtschaftlichen. Dass aber die ökonomische Seite des Romans "Königliche Hoheit" zunächst übersehen oder übergangen wurde, mag mit dem Märchengenre als solchem zusammenhängen, dessen Bedeutung für diesen sonst eher vernachlässigten Roman früh erkannt wurde. Auch Bahr hatte ja die - von ihm so interpretierte - Methode des Romans, Märchen und Marxismus zu verbinden, als eine "sonderbare Art" bezeichnet. Genau betrachtet hat jedoch kein anderes literarisches Genre sich so intensiv mit dem Geldwesen auseinandergesetzt wie das Märchen - freilich unter besonderen Gesichtspunkten und mit genretypischer Motivik. Häufig wird der Märchenheld mittels Goldesel, Sterntalerregen oder Verheiratung mit einem reichen Prinzen oder einer reichen Prinzessin pekuniär belohnt beziehungsweise gerettet und sozial erhöht. Nicht weniger oft verbirgt sich auch so manche Kapitalismus- und Sozialkritik im Märchengewand. In zahlreichen Märchen wird vorgeführt, dass die Möglichkeit der Wunscherfüllung denjenigen ins Verderben stürzen kann, dessen bloße Geldgier geweckt wird, wie in "Der Fischer un syn Frau" oder "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" von Adelbert von Chamisso. Auch wird im Märchen gerade derjenige glücklich, der seinen Besitz nicht vermehrt, sondern im Gegenteil verliert - und sich nicht mehr um ihn sorgen muss, wie "Hans im Glück". Zwar bestehen keine intertextuellen Relationen zwischen diesen Märchen und "Königliche Hoheit", unmittelbare Prätexte sind vielmehr Andersens "Der standhafte Zinnsoldat", "Die kleine Seejungfrau" und "Die Schneekönigin". Wenn nun aber dem Märchen Kritik an materieller Bereicherung keineswegs fremd ist, hat dann nicht vielleicht auch das Märchenelement in "Königliche Hoheit" ebenfalls einen ökonomischen, gar einen kapitalismuskritischen Aspekt?

Zunächst springt das bekannte Motiv der Prinzenverheiratung in die Augen. Die märchenhaft glückliche Liebe Klaus Heinrichs und der Milliardärstocher Imma greift es in eigentümlicher Verkehrung auf. Nicht das arme Mädchen heiratet einen Prinzen - wie das Aschenputtel der Brüder Grimm, sondern der finanzielle Not leidende Prinz findet in der Verbindung mit dem reichen Mädchen sein Glück, das eben auch darin besteht, sein Land aus der Krise führen zu können. Und ist nicht der Name des großherzoglichen Sitzes "Grimmburg", wie Detering bemerkt, eine Reminiszenz an das Grimm'sche Brüderpaar? Das Geldmotiv wird literarisch häufig mit dem Liebesmotiv verbunden, nicht zuletzt auch bei Mann. Waren aber noch in seinem ersten Roman die Ehen, vor allem diejenigen Tony Buddenbrooks, gegen die Liebesneigung und zugunsten der ökonomischen Planungen geschlossen worden, so treffen in diesem Fall Geld und Liebe glücklich zusammen.

Und wie verhält es sich mit der dem Märchen innewohnenden Sozialkritik? Bei genauerem Hinsehen erweist sich der Roman in der Darstellung ökonomischer Verhältnisse als überraschend kenntnisreich und zeitkritisch. Die Studie "Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes" von Jochen Hörisch widmet sich dabei, was Thomas Manns "Königliche Hoheit" betrifft, der positiven Seite des nur scheinbar marginalen Themas "Geld". "Der eigentliche Held des Romans ist die Volkswirtschaft", konstatiert Hörisch und deutet ihre Rolle zunächst als erotisch, namentlich Klaus Heinrichs und Immas gemeinsame Lektüre volkswirtschaftlicher Abhandlungen: "Sie hatten beide heiße Gesichter, als Klaus Heinrich alles gesagt hatte, was er wußte - ja auch auf Imma Spoelmanns, sonst von der Blässe der Perlen, war ein Hauch von Röte zu bemerken. [...] Aber da sie die Sache so gründlich betrieben, kamen sie dennoch nicht weit in der Nachmittagsstunde und machten ein Zeichen ins Buch, wo sie das nächste Mal fortfahren würden." Er legt außerdem dar, dass die wirtschaftliche Gesundung des Großherzogtums metaphorisch dargestellt wird, nämlich durch das Bild des Geldkreislaufes als Blutkreislauf, dessen Ursprung in Thomas Hobbes' "Leviathan" zu finden ist. Neben diesen positiven Aspekten des Geldes kommt jedoch besonders zu Beginn des Romans vor allem seine negative Seite zum Tragen. Schon in den ersten Kapiteln wird die wirtschaftliche Situation des Landes entfaltet: Klaus Heinrich ist noch nicht geboren, als es von der Stadt Grimmburg heißt, sie sei "von der Hauptstadt in halbstündiger Fahrt mit einer unrentablen Lokalbahn zu erreichen" - ein Wortlaut, der sich ähnlich an späterer Stelle leitmotivisch wiederholt. Schon in den erhaltenen Notizen, die Thomas Mann zur "Lage des Landes" anfertigen, lässt sich dieser wirtschaftliche Aspekt in das von ihm entworfene desolate ökonomische Gesamtbild eingliedern. Er hatte sich auch brieflich relevante Informationen eingeholt, wie beispielsweise bei dem Rechtsanwalt Ballin über "Besteuerungsverhältnisse im Herzogtum Braunschweig". Die hohe Staatsverschuldung wird bereits in den vorbereitenden Skizzen auf den Mangel an Handel und Industrie zurückgeführt. Stattdessen ist das Großherzogtum landwirtschaftlich geprägt, was zugleich den "träumerisch-poetische[n] Sinn" des Volkes ausmacht: "Das Volk liebte seinen Wald." Der gemütlich-gemütvolle, wirtschaftlich unambitionierte Charakter des Städtchens entspricht damit den stadtsoziologischen Ausführungen Georg Simmels, der in "Die Großstädte und das Geistesleben" (1903) Charakteristika der Großstadt denjenigen des Landes gegenüberstellt. Die Großstadt repräsentiere - kurz gesagt - das Geistesleben und die Geldwirtschaft, während auf dem Land das gemütvolle Leben vorherrschend sei. Manns Roman nimmt nicht nur in seiner Darstellung des Volkes diese Vorstellung auf, sondern auch in dem Erstaunen des Großherzogs Johann Albrecht darüber, dass der kundige Dr. Sammet in dem Landstädtchen und nicht in der Residenz praktiziert.

Nicht zuletzt das Kapitel "Das Land" beschäftigt sich eingehend mit forst- und volkswirtschaftlichen Fragestellungen. Damit, dass die Staatsforstverwaltung das höchste Gut des Landes, den Wald, "zu Krüppelbeständen entartet" habe, was "aus rein fiskalischen Gründen" geschehen sei, "die bei Lichte betrachtet nur ein Grund und Zweck waren, der nämlich, Geld zu machen. Denn das Geld war's woran es fehlte. Aber um welches zu schaffen, vergriff man sich unablässig am Kapital, bis der Tag kam, da man mit Schrecken ersah, daß eine ungeahnte Entwertung dieses Kapitales eingetreten sei". Man habe geglaubt "zeitgemäß sein und rücksichtlosen Geschäftsgeist an den Tag legen zu müssen" und habe deshalb auch in der Milchwirtschaft fehl gehandelt. "Die Viehbesitzer waren versessen darauf, alle verfügbare Vollmilch zu Gelde zu machen" und hätten damit in der eigenen Bevölkerung Unterernährung ausgelöst. "Entwertung des Kapitals, rücksichtloser Geschäftsgeist" - diese Schlagwörter fallen nicht von ungefähr und führen zu der marxistischen Lesart Bahrs zurück. Als Mann an dem Roman arbeitet - schon 1903 macht er erste Notizen für den ursprünglich als Novelle geplanten Text - bestimmen Hauptwerke der Kapitalismustheorie den öffentlichen Diskurs: Werner Sombarts "Der moderne Kapitalismus" (1902) und Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1904). 1900 war Georg Simmels "Philosophie des Geldes" erschienen, eine ausdrücklich nicht nationalökonomische, sondern allgemeinphilosophische Annäherung an das Thema, an die auch die schon genannte Abhandlung "Die Großstädte und das Geistesleben" anschließt. Simmel entwickelt hier das physiologisch-psychische Porträt des von der Geldwirtschaft bestimmten Menschen, der sich durch "Blasiertheit" auszeichne: "Diese Seelenstimmung ist der getreue subjektive Reflex der völlig durchgedrungenen Geldwirtschaft; indem er das Geld alle Mannigfaltigkeit der Dinge gleichmäßig aufwiegt, alle qualitativen Unterschiede zwischen ihnen durch Unterschiede des Wieviel ausdrückt, indem das Geld, mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz, sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, wird es der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichbarkeit rettungslos aus."

Simmels Charakterisierung des großstädtischen und geldbestimmten Menschentypus ähnelt in einigen Punkten der Romandeutung Bahrs. Dieser hatte in Bezug auf die Figurentypisierung argumentiert, das Marxistische in Manns Märchenroman bestehe darin, dass sowohl der Prinz Klaus Heinrich als auch Imma Spoelmann "in ihrer Klasse" verschwänden, wie auch "das Märchen den Menschen in der Menschheit verschwinden lässt". "Sie sind nur Figuren ihrer wirtschaftlichen Bedingungen. Er ist gar kein besonderer Klaus Heinrich, sie kein besonderes Fräulein Spoelmann; er ist der Prinz unserer Zeit, sie das reiche Mädchen unserer Zeit, ohne jeden persönlichen Zug. Ganz ebenso gibt der Marxismus nicht zu, daß irgend einer noch etwas anderes wäre als ein Ausdruck seiner Klasse." Dass Mann sich nicht literarisch dem marxistischen Aufruf zum Klassenkampf anschließt, muss nicht diskutiert werden. Es fällt allerdings auch schwer, Klaus Heinrich und Imma lediglich, oder sogar überhaupt, als Repräsentanten ihrer Klasse anzusehen. "In welche Gesellschaft gehörte das aller Gemeinschaft und Gleichartigkeit entrückte Menschenkind, das als Samuel Spoelmanns Tochter geboren war?" fragt der Erzähler. Hier scheint eher zu gelten, was Thomas Mann in der "Rede vor Arbeitern in Wien" erklärt: Wie die Künstler "verlorene Söhne ihrer Klasse" sind, ist auch Imma eine verlorene Tochter der ihrigen. Wie so viele Figuren Thomas Manns sind ja auch Klaus Heinrich und Imma Außenseiter. Detering widmet in seiner Untersuchung "Juden Frauen und Litteraten" dem Roman "Königliche Hoheit" und seinen "aristokratischen Monstren" das Kapitel "Der Fürst als Außenseiter". Das "Panorama der Außenseiter", das Detering hier entfaltet, führt neben Klaus Heinrich und Imma Spoelmann auch deren Vater Samuel, Klaus Heinrichs Bruder Albrecht II, Raoul Überbein, Dr. Sammet, die Gräfin Löwenjoul, den Literaten Axel Martini, die Proletarierkinder im Dorotheen-Kinderspital und schließlich den Hund der Familie Spoelmann, Percy.

Eine Gemeinsamkeit der Interpretation Marx' durch Bahr und der Ausführungen Simmels besteht in der Beobachtung der Determiniertheit des Menschen durch die Ökonomie einerseits und ihrer nivellierenden Auswirkungen andererseits. Die Kapitalismuskritik wird allgemein gefasst, nicht als Systemkritik, sondern als Kritik an dem Kapitalisten als Typus. Man denkt bei dessen kritischer Charakterisierung zunächst weniger an den Roman Königliche Hoheit, als vielmehr an "Die Geschichten Jaakobs", den ersten Teil der Tetralogie "Joseph und seine Brüder". Für den "Erdenkloß" und "Teufel" Laban, bei dem Jaakob unterkommt, ist "das unerbittliche Wirtschaftsgesetz" Gottersatz. Zu einer Deutung der Figurenkonzeption des Romans "Königliche Hoheit" hingegen trägt das beschriebene Bild eher ex negativo bei. Der Großherzog Johann Albrecht steht für einen ganz gegensätzlichen Typus, dessen Interesse gerade nicht bei den Finanzen liegt. "Und der Hof war verschuldet - in welchem Maße, das wußte vielleicht Graf Trümmerhauf, der großherzogliche Finanzdirektor, ein formvoller, aber für geschäftliche Dinge ganz und gar unbegabter Herr". Wie auch der Großherzog selbst. Die desolate Finanzlage des Landes ist beherrschender Diskussionsgegenstand der auf die Verkündung der glücklichen Geburt Klaus Heinrichs wartenden Minister und Militärs, deren Analyse der Lage zum Ergebnis hat, dass die Not auf die landwirtschaftliche Basis der Staatsfinanzen zurückgehe. Der Großherzog sei eben Bauer und nicht Industrieller oder Finanzmensch. Der Fürstenstand sei per se durch seinen Ehrbegriff gänzlich ungeeignet, ein Land finanziell zu lenken: Die Fürsten "lassen sich mit bedauerlicher Hartnäckigkeit von gewissen obsoleten und ideologischen Grundbegriffen leiten wie zum Beispiel den Begriffen der Treue und Würde. Der fürstliche Besitz ist durch Treue - fideikommissarisch - gebunden. Vorteilhafte Veräußerungen sind ausgeschlossen. Hypothekarische Verpfändung, Kreditbeschaffung zum Zwecke wirtschaftlicher Verbesserungen scheint ihnen unzulässig. Die Administration ist in der freien Ausnutzung geschäftlicher Konjunkturen streng gehindert - durch Würde".

Wer alles "zu Geld machen" will, das lehrt das Kapitel "Das Land", ruiniert die Ressourcen und schadet dem Menschen. Der Fürst als Menschentypus, wie er im Großherzog Johann Albrecht vertreten ist, ist außerdem ein klar gezeichnetes Gegenbild des modernen, "blasierten" Kapitalisten - unzeitgemäß aber ehrenhaft. Jedoch trifft die sowohl explizite als auch implizite Kritik am Kapitalismus und seinen Aktanten ausdrücklich nicht das Kapital und die Familie der Spoelmanns. Detering zeigt, dass das Rettung bringende Wirtschaftsimperium einen mythischen "Urbeginn" hat. Immas Großvater hatte in Victoria zwecks Goldsuche ein Stückchen Land erworben, das "Paradiesfeld", und war prompt auf einen stattlichen Goldklumpen gestoßen. "Und dann war das Glück gekommen", heißt es wörtlich im Roman. Abermals wird, diesmal durch das Glücksmotiv, das Märchen berührt. All dies wird wohlgemerkt innerhalb der Erzählung erzählt, nämlich vom "Eilboten", dem Presseorgan des Landes, der auch die Fürstenfamilie in märchenhaften Glanz setzt. Wiederkehrende Einschübe der Art "so erzählte der 'Eilbote'" setzen ein Fragezeichen hinter die Wahrhaftigkeit des Erzählten. Und ebenso hinter das neue Bild des Kapitalismus, das der 'Eilbote' zeichnet. "Ich bin überzeugt, daß das Blut der Witwen und Waisen an seinen Reichtümern klebt". Den Verdacht, Spoelmann könne nicht durch ehrliche Arbeit zu seinem Vermögen gekommen sein, hatte Ditlinde geäußert. Nun wird er zerstreut. Samuel Spoelmann wird nicht als rücksichtloser Kapitalist, sondern als Kunstliebhaber porträtiert, der "ohne Verschulden den Haß der Benachteiligten" trug und dessen "Herz niemals so recht und ganz bei den Transaktionen gewesen war". Stattdessen spielt Spoelmann täglich auf der Orgel, und auch seine Ehe wurde aus Liebe und nicht aus Kalkül geschlossen.

Der Roman "Königliche Hoheit" versucht gewissermaßen einen Spagat. Die Geschichte des Landes, das durch die Heirat Klaus Heinrichs mit der amerikanischen Milliardärstochter Imma aus der Finanzmisere befreit wird, ist diejenige einer Modernisierung. Die landwirtschaftliche Prägung weicht dem Finanzmarkt, mit der Familie Spoelmann zieht auch der amerikanisch beeinflusste Kapitalismus ein. Zugleich hatte der Roman aber Profitstreben kritisiert und den Typus "Kapitalist" als Negativbild aufgebaut. Dieser Widerspruch löst sich über den Weg des Märchens auf, und wie ein Märchen wird die Rettung des Landes auch den Kindern erzählt: "Und Spoelmann finanzierte den Staat. Der Vorgang war groß und klar in seinen Grundzügen; ein Kind hätte ihn verstehen können, - und tatsächlich erklärten ihn glückstrahlende Väter ihren Kindern, während sie sie auf den Knien schaukelten". So leicht ist es im Märchen.