Politik und Ökonomie

Thomas Manns Betrachtungen während des zweiten Dreißigjährigen Krieges

Von Sebastian HansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Hansen

Es gibt gute Gründe dafür, die Zeit vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg in einen Zusammenhang zu stellen. Winston Churchill oder der deutsche Politologe Sigmund Neumann machten bereits in den 1940er-Jahren eine Einheitlichkeit dieser Periode aus und betrachteten sie als einen neuen beziehungsweise zweiten Dreißigjährigen Krieg. In seiner 2008 erschienenen Studie "Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914-1945" hat der Historiker Enzo Traverso diesen Aspekt wieder aufgegriffen. Verschiedene Analogien zwischen den beiden europäischen Kriegen des 17. und des 20. Jahrhunderts geben für ihn dabei den Anlass.

Zum charakteristischen Merkmal des zweiten Dreißigjährigen Krieges gehört wesentlich die zum Tragen gekommene Konfrontation von - grob gesprochen - Liberalismus, Kommunismus und Faschismus. Diese drei Weltanschauungen treten miteinander in dieser Zeit in eine wechselhafte und tief greifende Auseinandersetzung. Ein Glaubenskrieg. Das Jahr 1914 markiert dabei den Anfangspunkt. Hannah Arendt sprach davon, das Jahr 1914 sei die Explosion gewesen, die "wie der Starter einer Kettenreaktion" war. Tatsächlich bedeutet der Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine einschneidende Epochenzäsur. Die Werte und Ordnungsvorstellungen des langen 19. Jahrhunderts versinken. Erst 1945 erreichen die nachfolgenden Umbrüche und korrelierenden Konflikte den Punkt, an dem wirksamer als zuvor Einhalt geboten werden kann. Unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges beginnt von hier an eine im Vergleich nachhaltigere politische und gesellschaftliche Konsolidierung.

Mit seinen beiden Romanen "Der Zauberberg" (1924) und "Doktor Faustus" (1947) vergegenwärtigt Thomas Mann die für den zweiten Dreißigjährigen Krieg bestimmend werdenden Grundtendenzen. Dabei markieren sie inhaltlich und durch ihre Entstehungszeit unterschiedliche Momente. Legt der Roman der Weimarer Republik sein Augenmerk auf die Konfrontation von Liberalismus und Kommunismus so überblickt Thomas Manns Nachkriegsroman vor allen Dingen die Wurzeln und das Werden des Nationalsozialismus. Damit ist er, um Mann selbst zu zitieren, "ein Stück deutscher Selbstkritik." Beiden Romanen ist zu Eigen, dass sie im Angesicht einer erodierenden Moderne geschrieben sind. Sie spiegeln nicht zuletzt intentional die kritische Erfahrung der Moderne wider, die für die Zeit des zweiten Dreißigjährigen Krieges bestimmend ist. Gesellschafts- und Kulturkritik gehören mit zum Ausbildungsprozess der Moderne. In Anbetracht der im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Tage getretenen elementaren politischen, sozialen, ökonomischen und Sinn-Krise, deren Katalysator der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 war, intensiviert sich diese Kritik ebenso fundamental. Da Krise und Modernisierung zusammengingen, so formulierte Detlev Peukert einmal treffend, wurde die Erfahrung der Moderne kritisch. Der zweite Dreißigjährige Krieg ist von dieser Erfahrung wesentlich grundiert.

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, welche Bedeutung für Mann die Ökonomie in den erlebten Krisenjahren der Moderne hatte. Insbesondere, weil sie Teil der weltanschaulichen Konfrontation ist, die der Schriftsteller beobachtet und kommentiert. Ökonomie steht dabei in einem politischen Kontext, der auch Mann nicht verborgen bleibt beziehungsweise den er teilweise selbst hergestellt hat.

Zu einer umfangreichen und nachhaltig wirkenden Auseinandersetzung mit Ökonomie kommt es bei Mann in den "Betrachtungen eines Unpolitischen". Indem er hier die Wirtschaft in einen Zusammenhang mit der von ihm kritisierten Demokratie stellt, wird sie zugleich in einen politischen Kontext eingewoben.

Für die Demokratie, so schreibt Mann, seien "Geld, Verdienst, Geschäft" die obersten Werte. Demokratisierung bedeute also eine Ausbreitung dieser Werte und gleichzeitig "eine alle Nationalkultur nivellierende Entwicklung im Sinn einer homogenen Zivilisation." Die von ihm betriebene Verteidigung der deutschen Kultur stellt sich folglich auch als eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Wirtschaftsgesellschaft in Gestalt des Kapitalismus dar. Es ist der Versuch einer Abgrenzung und einer Abschottung, bei gleichzeitiger Einsicht in die bereits gegebenen Bedingungen, nämlich das Fortschreiten der Demokratisierung und ihrer liberal geprägten Wirtschaftsform. Einmal mehr ist in diesem Zusammenhang der Mann'sche Spannungsbogen von Bürgertum und Künstlertum von Bedeutung, den die "Betrachtungen" ausloten. Denn der mehrdeutige Begriff Bürger wird umso erklärungsbedürftiger, je mehr sich das Bürgertum als wesentlicher Träger einer kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaft erweist. Genau hiervon versucht sich aber der Verteidiger der Kultur abzuheben, indem er allein dem Künstler zuschreibt, im eigentlichen, romantischen Sinne Bürger zu sein, wohingegen sein Opponent jener Bürger ist, dem die Bezeichnung Bourgeois oder Philister zukommt. Mann betont, dass er früh bereits diese Unterscheidung darstellerisch getroffen habe, nämlich in den "Buddenbrooks". Thomas Buddenbrook stelle als Leistungsethiker einen modernen Bourgeois dar, der der modernen Welt mit ihrem Wirtschaftsleben zuzuordnen sei. Demgegenüber verhalte sich der Künstler-Bürger mit seiner Ethik, von Politik ohnehin abstinent, dysfunktional.

So besehen zieht Thomas Mann eine Trennlinie zwischen dem Wirtschafts- und dem Bildungsbürger. Es versteht sich von selbst, dass Letzterer als Vertreter einer Kulturnation, als Unpolitischer, auch derjenige ist, dem die Welt des Geldes, die Welt der Demokratie und der Zivilisation fremd ist. Auch, weil noch die ästhetische Kultur als religiöse Gestalt einen Wert darstellt. Kapitalistisches Wirtschaftsleben ist Teil der Zivilisation. Thomas Manns Abgesang auf eine bürgerliche Tradition ist in diesem Zusammenhang als Warnung vor einer Bourgeoisie-Dominanz aufzufassen, die ihm für die deutsche Kultur und damit für das Leben bedrohlich erscheint. Eine Auflösung der Kultur. Begründet sieht er dies in den bereits wahrnehmbaren Phänomenen einer von der Wirtschaft dominierten Welt. Die Epoche der demokratisch-bürgerlichen Gesellschaft sei wesentlich vom "Drang nach Wohlstand" bestimmt. Das Geld habe die Stellung eines Rang verleihenden Herrschers eingenommen. Bereits die Welt vor 1914 sei "versunken in sinnlose Wohlstandsanbetung" gewesen, "Wirtschaft war ihr alles." Eine Welt, der aber nicht die Kultur, sondern die Ökonomie alles ist, lehnt der Kulturbürger Mann ab. Zu seiner Ablehnung tritt hinzu die enge Verknüpfung von Ökonomie und Politik, die er konstatiert. Es sei der Kapitalismus, der "Name, Art, Gestalt" der Wirtschaft und eigentlich mehr sei: nämlich Imperialismus. So wie die kapitalistische Expansion "notwendige Entwicklungsstufe des Wirtschaftslebens" sei, bedeute Imperialismus eigentlich nichts anderes als "kapitalistischer Militarismus". Politik erscheint als Instrument der Wirtschaft. In dieser Betrachtung sei Demokratie kein Widerspruch zu Kapitalismus und Imperialismus, sondern die entsprechende politische Form.

In die Kritik fließt der Vorwurf mit ein, dass gerade die Demokratien versuchen, die Identität von Imperialismus und Kapitalismus zu verdecken und sich darin ihre falsche Moral zeige. Für Mann ist der Zivilisationsliterat der exemplarische Feind. Er vertrete eine "heuchlerische Humanität", die auf der "Vergewaltigung des Schwächeren" basiere und die "doktrinäre Verlogenheit" der Demokratie zeige. Denn der Zivilisationsliterat versuche, Moral und Geschäft, Humanität und Ausbeutung, Tugend und Nutzen in Eins zu setzen. Es seien England und Frankreich, die beide zusammen diese Positionen eingebracht und die in Demokratie und Politik einen Zusammenklang gefunden habe. England sei das Land der Nationalökonomie, Frankreich das der Revolution und Tugend. Beide zusammen verkörperten sie das Bild vom Europäer, der Geschäfte machen möchte und gleichzeitig ein sittliches Anliegen damit verknüpfe, nämlich ein "fortschrittlich-humanistisches Mehr" zu bewirken. Diese Einstellung wolle der Zivilisationsliterat Deutschland anerziehen.

Entsprechend deutet Mann auch den Ersten Weltkrieg als eine Art Angriffs- und Eroberungskrieg seitens der Demokratie. England als "Volk der humanitären Geldleute" habe sich zum Krieg erhoben, um den Drachen des deutschen Militarismus zu töten und um die kleinen Nationen zu schützen. England erkläre dabei, es sorge für Freiheit und Gerechtigkeit. Hingegen sieht Mann im Handeln der Engländer viel mehr das Motiv, die Gelegenheit zu nutzen, ihre Weltherrschaft auf wirtschaftlichem Wege auszubauen. Auf den Wesensunterschied zwischen Deutschland und den Zivilisationsländern in dieser Hinsicht verweisend, bemüht er Johann Wolfgang Goethe: "'Während sich die Deutschen mit der Auflösung philosophischer Probleme quälen', sprach Goethe zu Eckermann, 'lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt.'"

Wo die Politik in Deutschland nicht gegen den Geist des Geldes, der sich in Spekulation und Lebensmittelwucher im gegenwärtigen Kriege zeige, vorgehe, scheint die Flucht in die Kultur der Ausweg, den Mann wählt. Einsichtig, dass die Demokratie und der Kapitalismus nicht weit weg sind.

Ernüchternd wirkt die 1921 gegebene Antwort Manns auf eine Anfrage der Vossischen Zeitung nach seinem Umgang mit dem Zwiespalt von Geist und Geld. Früh schon, so antwortet er, habe ihm eine finanzielle Versorgung ermöglicht, "zu tun, was ich wollte." Vor diesem Hintergrund sei er persönlich "der kapitalistischen Weltordnung von früher her zu Dank verpflichtet, weshalb es mir niemals anstehen wird, so recht à la mode auf sie zu spucken." Vergegenwärtigt man sich Manns kritische Töne gegenüber dem Kapitalismus einige Jahre zuvor, vernimmt man zwar einen Tonfall der Gelassenheit, nicht aber unbedingt eine Kehrtwende. Bereits während des Ersten Weltkrieges hatte Mann das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht rundheraus abgelehnt. Wenn nur noch die Ökonomie herrsche, wenn die Ökonomie selbst politisches Handeln bestimme, dann scheint sie für ihn der unbedingten Kritik Wert. Sofern dies aus Manns Sicht der Fall ist, hält die Kritik auch in der Weimarer Republik an.

Mangelt es der Ökonomie an Geist und Kultur, stelle sie nichts anderes als einfachen Wirtschaftsmaterialismus dar, den er ablehnt. Dies gilt sowohl für die liberale Seite wie im Umkehrschluss für Sozialismus beziehungsweise Marxismus. In seiner Republik-Rede von 1922 bezeichnet er diesen "Wirtschaftsmaterialismus mit seinem schnöden Gerede vom 'ideologischen Überbau'" als "Gerümpel aus dem 19. Jahrhundert". Mann zielt auf eine Verbundenheit von Wirtschaft und Kultur. Nicht umsonst fragt er im gleichen Zusammenhang, was den deutschen Geist denn überhaupt mit Demokratie, Revolution oder Sozialismus verbinde. Der prominente Schriftsteller lotet gerade diese Verbindungsmöglichkeit als kulturkonservativer Republikaner in Weimar aus. Er gewinnt die Einsicht, dass eine Kultur nicht das Politische und das Soziale - und also auch die Wirtschaft - ausklammern könne, ohne andernfalls in die romantische Barbarei zu verfallen. Entsprechend verschließt er sich den Gegebenheiten von Politik und Wirtschaft nicht, klammerte sie aus seinem Betrachtungsfeld nicht aus.

Mehrmals wandte er sich in den 1920er-Jahren den wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren zu, wenn es um ihre Bedeutung für politische Folgen ging. In "Deutsche Ansprache" begibt er 1930 etwa zu bedenken, "daß das politische Fühlen und Denken der Massen weitgehend von ihrem wirtschaftlichen Befinden bestimmt wird, daß sie diese in politische Kritik umsetzen." Man könne, so schlussfolgert er, von einem wirtschaftlich kranken Volk kein politisch gesundes Denken verlangen. Mann vernachlässigt die Ökonomie als ein die Gesellschaft mitprägendes Segment nicht. Er zieht auch keine scharfe Trennung zwischen Politik und Ökonomie, als seien beides separate Räume. Umgekehrt ist für ihn Politik aber auch nicht nur Ökonomie. "Es ist nicht richtig, das Politische als reines Produkt des Wirtschaftlichen hinzustellen; sondern um seinen Seelenzustand zu deuten, wie den, den unser Volk an den Tag gelegt hat, ist es notwendig, die politische Leidenschaft, zutreffender gesagt, das politische Leiden heranzuziehen [...]."

Zurückblickend auf die Zäsur von 1914 meint Mann, dass sich bereits mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Mittelklasse eine Empfindung verband, "die ihr als intellektuelle Prophetie und Zeitkritik vorangegangen war: die Empfindung einer Zeitenwende, welche das Ende der von der Französischen Revolution datierenden bürgerlichen Epoche und ihrer Ideenwelt ankündigte." Hier sei bereits jener Augenblick zu erfassen, der für eine Erklärung des Erfolgs des Nationalsozialismus als Prädisposition mit einbezogen werden müsse.

Vor diesem Hintergrund geht er verstärkt dazu über, an die Werte des Bürgertums zu appellieren. In "Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters" betont er im Angesicht des Lebenswerks Goethes, "man kann bürgerlicher Ethik keine höhere Ehre erweisen, als indem man diese Fleißestreue bis zum letzten als bürgerlich anspricht. Man darf es wohl, denn die Liebe zu Mühe und Arbeit, der asketische Glaube daran ist ja auch [...] als seelisches Zubehör der Bürgerlichkeit gekennzeichnet worden." Die Arbeit gehöre zum Menschen dazu. Sie ist für Mann seit jeher ein positiver Begriff. Gezielt versucht er entsprechend, an honorige Werte des 19. Jahrhunderts, der bürgerlichen Epoche, anzuknüpfen und sie fruchtbar zu machen. In "Bekenntnis zum Sozialismus" erinnert er daran, dass die im 18. und 19. Jahrhundert aufgestellten Forderungen nach Humanität noch längst nicht verwirklicht seien. "Als ob, zum Beispiel, gegen die liberale und soziale Forderung der Völkervereinigung und der wirtschaftlich-politischen Zusammenfassung unseres Erdteils nun durchaus und allein der Begriff der völkischen Bindung und des Nationalismus zu stehen habe. Große Teile der Jungen zeigen sich stimmungsmäßig bereit, solche Gedankengänge anzunehmen. Aber sie sind ja falsch. Die humanen Forderungen der sogenannten bürgerlichen Epoche sind keineswegs verwirklicht, es hat leider nur noch allzu gute Weile mit solcher Verwirklichung, und über sie zu einem sogenannten Neuen hinwegzugehen, ist eine praktisch durchaus verantwortungslose und menschenfeindliche Haltung."

Der betonte wirtschaftliche und politische Austausch sei eine Notwendigkeit, ein Gegenmodell zum falsch verstandenen Nationalismus. Neben dem geistig-kulturellen Zustand der Deutschen ist für Thomas Mann gerade auch die wirtschaftliche Gestaltung als Teilelement des Humanen von Bedeutung. Im Vergleich zum Nationalsozialismus sieht daher Thomas Mann den Sozialismus als Partner des Bürgertums, wohl wissend, dass gerade hier der Schrecken angesichts des ökonomischen Weltbildes tief sitzt. In "Kultur und Sozialismus" betont er 1927 entsprechend: "Die sozialistische Klasse ist, in geradem Gegensatz zum kulturellen Volkstum, geistfremd nach ihrer ökonomischen Theorie, aber sie ist geistfreundlich in der Praxis -, und das ist, wie heute alles liegt, das Entscheidende." Als Befürworter einer sozialen Demokratie appelliert er Anfang 1933 in "Bekenntnis zum Sozialismus", einzusehen, dass "die Völker Europas heute nicht mehr einzeln und abgeschlossen für sich zu leben und zu gedeihen vermögen, sondern daß sie aufeinander angewiesen sind und eine Schicksalsgemeinschaft bilden, die es anzuerkennen und zu verwirklichen gilt." Mann schließt: "Und alle Tatsachen des Lebens und der Entwicklung, die wirtschaftlichen, technischen und geistigen, zeugen dafür, daß die Zukunft auf dem Wege liegt, den einzuschlagen die Völker längst gewillt sind, dem Weg in die soziale Welt der Einheit, der Freiheit und des Friedens." Nicht länger heißt es, Metaphysik und Materialismus, äußere Ordnung menschlichen Zusammenlebens und das Persönlich-Innere, Kultur und Politik zu kontrastieren, sondern sich den Gegebenheiten zuwenden. Gewissermaßen hat Mann dies schon 1918 versucht, wirklich konstruktiv wird er hier erst im Verlauf der 1920er-Jahre. 1933 ist er im Westen angekommen.

Während der nationalsozialistischen Herrschaft bemüht sich Mann, auch im Hinblick auf wirtschaftliche Facetten das Regime zu demaskieren und entsprechend das Bürgertum und die westlichen Staaten vor diesem zu warnen. In seiner 1938 gehaltenen Rede "Vom zukünftigen Sieg der Demokratie" verdeutlicht er, dass es nicht Funktion und Absicht des Nationalsozialismus' sei, "das Privateigentum und die individualistische Wirtschaftsform zu konservieren". Vielmehr sei "in entscheidender Beziehung, nämlich gerade in wirtschaftlicher", der Nationalsozialismus nichts anderes als der Bolschewismus. Der Unterschied zum russischen Bolschewismus liege in der Moral, die der Nationalsozialismus nicht kenne. Mann betonte, dass in Deutschland alle Arbeiter entrechtet, die Gewerkschaft vernichtet und alle sozialistischen Organisationen zerschlagen seien, aber dennoch "damit das goldene Zeitalter des Unternehmertums" nicht herbeigeführt wurde. Das Gegenteil sei der Fall. "Die Kriegswirtschaft, die heute im sogenannten Dritten Reich herrscht, ist eine moralisch tiefstehende Form des Sozialismus, aber eine Form davon eben doch: sie ist etwas, was man sowohl Staatssozialismus wie Staatskapitalismus nennen kann, militärisch bestimmte Diktatur des Staates über die Wirtschaft, vollendete Verdrängung der Unternehmerinitiative, der unzweifelhafte Untergang der privatkapitalistischen Wirtschaft." Mann unternimmt hier den Versuch, den Verantwortungsträgern in der freien Welt vor Augen zu führen, dass es ein erwiesener Trugschluss sei, den Nationalsozialismus im Vergleich zum gefürchteten Sozialismus zu unterschätzen. Gerade auch, weil er durch das Element des Nationalismus einen grundsätzlich aggressiven und nach außen gerichteten Impuls besitze, der sich zwangsläufig gegen den Kapitalismus wende.

Nicht Gewissen und Arbeit, sondern Macht und Krieg seien Wesen und Ziel des Nationalismus. Einzig hieran orientierten sich die wirtschaftlichen Interessen des in Deutschland herrschenden Regimes. "Man teilt die Welt ein in proletarische Staaten, have-nots, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben, die durch Armut dynamisch und heroisch gemacht werden, sehnsüchtig nach Raum, Sonne, Glück, Teilhaberschaft an den Gütern der Erde - und in kapitalistische Staaten, satt und statisch, welche auf ihrem Besitz wie der schatzbehütende Lindwurm ruhen und die armen Teufel vom Glück und Reichtum der Erde ausschließen wolle." Entsprechend beanspruche der Nationalsozialismus "ein sozialistisches Recht und Pathos der Dynamiker gegen die Statiker", um der Welt des Kapitals mit einem proletarischen Krieg, mit dem "Umsturz der bestehenden Besitzverhältnisse" zu drohen, falls seinen Forderungen nicht nachgeben werde.

Dass das NS-Regime nur durch die wirtschaftlichen Bedingungen überleben könne, betont Mann mehrmals. So interpretiert er die Annexion Österreichs 1938 als einen Akt, der aus der wirtschaftlichen Not heraus entstanden sei. "Die Annexion geschah in einem Augenblicke, wo der Nazi-Diktatur, ökonomisch und moralisch, das Wasser wieder einmal bis zum Halse ging und die Hoffnungen des anderen Deutschland alle Aussicht auf Erfolg hatten." Auch die weiteren Eingliederungen in das Deutsche Reich, etwa des Sudetenlandes, betrachtet Mann in diesem Kontext stehend. Jedermann, so der Schriftsteller, habe gewusst, "dass es nicht um diese Brüder, sondern um die Skoda-Werke, die tschechische Industrie, das rumänische Öl, das ungarische Korn, den wirtschaftlichen Durchbruch Deutschlands nach Osten" gehe.

1938 schimmert einmal die Hoffnung bei Mann durch, dass sich der Faschismus gerade durch seinen ökonomischen Antrieb auflösen werde. "Der Sieg des Faschismus - das ist vielleicht seine Selbstaufhebung. Ein über den fascistischen Kamm geschorener Kontinent - das mag ironischer Weise, unter ökonomischem Antrieb, zu den Vereinigten Staaten von Europa führen." Historisch zutreffender war allerdings die in einer seiner 1942 gehaltenen Radioansprachen erfolgte Feststellung, dass "der absurdeste deutsche Nationalismus und Rassen-Größenwahn den Namen 'Europa' annimmt und ein monopolitisches Ausbeutungssystem erreichtet, wie es so schamlos die ganze Geschichte des Imperialismus nie gesehen hat." Es ist deutlich genug, dass für Mann die Politik des Nationalsozialismus sehr stark auch wirtschaftlich bestimmt ist oder anders gesagt 'politische Ökonomie' ein inneres Movens des NS-Regimes ist.

Seine warnende Stimme versucht Mann dafür einzusetzen, dass die westlichen Demokratien nicht angesichts ihrer Ängste gegenüber dem Kommunismus den Faschismus als Bollwerk akzeptieren. Er erhebt 1938 ernst-mokiert den Vorwurf, dass jede apokalyptische Vorstellung, selbst "wenn Kriege, zerstörender und barbarischer, als der Dreißigjährige Krieg, über Europa hinweggehen und es atomisiert und um Jahrhunderte zurückgeworfen hinterlassen werden", nie dem Faschismus, sondern immer dem Bolschewismus zugerechnet würde. In "Das Problem der Freiheit" weist er darauf hin, dass es ein Irrtum sei, davon auszugehen, der Faschismus konserviere das Privateigentum und die individualistische Wirtschaftsform. Gerade "in wirtschaftlicher Beziehung ist der Nationalsozialismus nichts anderes als Bolschewismus." Man schütze allerdings Deutschland und das NS-Regime, weil es als "Zauber für kapitalistische Demokratien" gelte, Hitler als Bollwerk gegen den Bolschewismus betrachtet werde. Mehrmals kehrt dieses Motiv bei Mann wieder: "Hitler war der Bändiger der Arbeiter, der Schutzherr des Kapitals, das Bollwerk gegen alles, was man Bolschewismus nannte, und wer ihn verabscheute, wer das Land floh, wo er seine Greuel verübte, war selber ein Bolschewist."

Mann verbindet diese politischen Vorwürfe mit einer politischen Interpretation des Kapitalismus. In "Schicksal und Aufgabe" formuliert er 1943: "Ich wiederhole: in den Augen des konservativen Kapitalismus des Westens war der Fascismus schlechthin das Bollwerk gegen den Bolschewismus und gegen alles, was man darunter verstand." Die schweren politischen Vorwürfe, die er gegenüber den westlichen Demokratien erhebt, richten sich gegen das politische Verhalten dieser Staaten. Man habe früh schon den Faschismus auf ökonomischem Gebiet nicht als Bedrohung, sondern als stabilisierendes Element des Kapitalismus betrachtet und als "Ordnung im Sinne des Alten" gewertet. So besehen sei die Politik der Demokratien durch die wirtschaftlichen Interessen bestimmt und laufe eigentlich ihren eigenen moralischen Prinzipien zuwider. Die Analogie der Denkstruktur zur Zeit des Ersten Weltkrieges ist hier frappierend, hat Hans Wisskirchen festgestellt. Es tauchen Einschätzungen auf, die im Ersten Weltkrieg zu beobachten waren, als Mann die Demokratien kritisierte, die Moral und Geschäft, Humanität und Ausbeutung, Tugend und Nutzen in Eins zu setzen versuchten.

Der Lösungsweg liege in der sozialen Demokratie, die Mann bereits in Deutschland gefordert hatte und die er im New Deal wiedererkannte. Der soziale und der ökonomische Ausgleich sei die "Forderung der Weltstunde". Die Demokratie könne ihre moralische Überlegenheit nur wirksam werden lassen, wenn sie im Ökonomischen und im Geistigen das zeitlich Gebotene und Unentbehrliche an sozialistischer Moral in sich aufnehme. Das Soziale ist das ökonomisch Gerechte, definiert Mann, als er abwägt, wohin sich in diesen Zeiten das Schwergewicht zwischen Freiheit und Gleichheit verlagert habe. Er betrachtet Gerechtigkeit ökonomisch und gelangt so zum Sozialen. Der New Deal zeige einen annehmbaren Ausweg, weil er die kapitalistische Wirtschaftsform konservieren wolle, wohingegen dies der Kapitalismus, so Thomas Mann 1945, nicht wahrnehmen wolle.

Gleichsam wie ein Prolog zum zweiten Dreißigjährigen Krieg erscheint das Scheunengespräch der Winfried-Verbindungsstudenten im "Doktor Faustus". Sie erörtern die Problematik des Menschseins in der Moderne und die Auswege daraus. Die Ökonomie spielt dabei ein zentrales Problem. Nicht nur, weil man die bürgerliche Epoche am Ende glaubt und damit auch den politischen wie wirtschaftlichen Liberalismus als überholte gestaltende Ordnung zur Disposition stellt. Sondern auch, weil man darüber verhandelt, ob überhaupt die Wirtschaft zukünftig noch eine Rolle spielen könne. Die Perspektiven sind verschieden. Die einen betrachten Wirtschaft als nicht lebensgemäß, die anderen als Teil einer neuen politischen Ordnung, wieder andere vertreten die Auffassung, Politik habe nichts mit Ökonomie zu tun. Es sind Gedankengänge, die in einer idyllisch anmutenden Landschaft am Vorabend des Ersten Weltkriegs geführt werden. Mann hat hier am Ende des Zweiten Weltkriegs diesen Prolog in der Art einer Ouvertüre ausgestaltet, die thematisch 1914 anhob und 1945 endete, der zweite Dreißigjährige Krieg, die krisenhaft erlebte Moderne, die sich selbst als säkulare Kultur der Moderne auf einen elementaren Prüfstand stellte, exzentrisch, energisch, totalitär. Die Ökonomie gehört mit zu diesem tief politischen Konflikt. Mann hat ihn wahrgenommen, hat mitgewirkt. Dass Ökonomie politisch eine Rolle spielt, hat er mal kritisch, mal konstruktiv wahrgenommen, eingesehen. In Krisenzeiten, die Mann selbst nah-bedrohlich erschienen, verschob sich das Pendel seiner politischen Bewertung der Ökonomie bis hin zur Ansicht, Ökonomie sei nicht nur politisch, sondern wesentlich die Politik selbst. Zwei diffundierende 'Räume' werden zur absoluten Deckung gebracht. Der Humanist Mann verschreibt sich der auszutarierenden, wohlproportionierten Einsicht, dass Ökonomie wie Politik mit Kultur Teil des Humanen sind. Der Mensch, ein Individuum und in Gesellschaft - wie anders soll man Ökonomie bewerten als politisch.