"Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen"

Unökonomisches in Thomas Manns frühen Erzählungen

Von Felix OehmichenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Oehmichen

"Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen" - dies ist ein Zitat aus Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" und soll für meinen Vortrag quasi als Motto eines unökonomischen Verhaltens der Künstler-Figuren in Manns frühen Erzählungen dienen. Dieses Motto beinhaltet folgende Handlungsmaxime: Anstatt regelmäßig Neues zu erwirtschaften, wird vom Vorhandenen gezehrt. Gustav von Aschenbach wählt diese Worte, um seine Jugend zu beschreiben, die noch nicht der eisernen Askese seines späteren Selbst untergeordnet war. Hier wird also eine Zeit des Exzessiven, Geistigen, Dekadenten benannt, eine Zeit, die vom "bürgerlichen Künstler" Aschenbach weit entfernt scheint und mit den Gesetzen der Bürgerlichkeit, die zu einem großen Teil auch die Gesetze ökonomischen Handelns sind, wenig kompatibel ist.

In meinem Vortrag werde ich den Mann'schen Grundkonflikt Bürger-Künstler unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie betrachten. Dabei soll gezeigt werden, dass wirtschaftliches Handeln ein Paradigma des Bürgertums ist und dass das "reine", oben beschriebene Künstlertum im Gegenzug deutliche unökonomische Züge aufweist, was letztendlich zu einem Ausschluss des Künstlers aus der Gesellschaft führt.

Dieser Vortrag ist folgendermaßen aufgebaut: zunächst werde ich eine Verbindung der Komplexe Ökonomie und Bürgerlichkeit in Manns essayistischem Werk aufzeigen, um dann Bezüge zum Thema Wirtschaft in seinen frühen Erzählungen "Der Bajazzo", "Tristan", "Tonio Kröger" und "Der Tod in Venedig" herzustellen. Danach folgt eine zusammenfassende und abschließende Analyse dieser Bezüge.

Wenn man sich fragt, unter welchen Voraussetzungen das Thema "Ökonomie" in den frühen Erzählungen Manns betrachtet werden kann, lohnt sich ein Blick in das Kapitel "Bürgerlichkeit" seiner "Betrachtungen eines Unpolitischen". Hier finden sich zahlreiche Belege, dass sein Bild des "Bürgers" weitgehend identisch mit dem eines "ökonomisch handelnden Berufsmenschen" ist. Ein Großteil der Ausführungen des Komplexes "Bürgerlichkeit" beinhalten eine deutlich ausgeprägte ökonomische Komponente. So bezeichnet er die "ethischen Charakteristika der bürgerlichen Lebensform" als "Ordnung, Folge, Ruhe, Fleiß". Diese Worte werden meinen Vortrag immer wieder begleiten, wenn es nämlich darum geht, die Arbeitsweise der Künstler auf ihre bürgerliche oder ökonomische Ethik zu untersuchen. Als weiteres Beispiel soll Manns Beweis für Arthur Schopenhauers Bürgerlichkeit dienen. Er führt seine "Genauigkeit als Kapitalist" und "die Ruhe, Zähigkeit, Sparsamkeit, Gleichmäßigkeit seiner Arbeitsmethode" an. Als Urbild des "Bürgerlich-geistigen Typus" an sich nennt er "Die Blütezeit der Hansa", die Bürgerlichkeit Lübecks schließlich bezeichnet er als "handelsherrlich-materiell". Das Stichwort Lübeck, beziehungsweise die lübeckische "Ur-Bürgerlichkeit", soll als Überleitung zur ersten in diesem Vortrag behandelten Erzählung "Der Bajazzo" gelten.

Die Erzählung beginnt nämlich in einer nicht näher bezeichneten "kleine[n] alte[n] Stadt mit ihren schmalen, winkeligen und giebeligen Straßen, ihren gotischen Kirchen und Brunnen, ihren betriebsamen, soliden und einfachen Menschen und dem großen, altersgrauen Patrizierhause, in dem ich aufgewachsen bin.". Wer die Erzählung, die vielleicht eher zu den unbekannteren Stücken Kurzprosa von Mann gehört, noch nicht kennt, ahnt vielleicht jetzt schon worum es im Verlauf der Handlung gehen wird: der bekannte Konflikt von Bürger und Künstler.

Vielleicht aber zunächst eine Klärung des Begriffs Bajazzo: Bajazzo ist der Titel einer Oper von Leoncavallo und der Begriff für die komische Figur im italienischen Theater, die italienische Version des Hanswurst. Genau in diesem Licht werden die künstlerischen Ambitionen des verträumten Sohnes eines wohlsituierten hanseatischen Elternhauses von seinem Vater, einem Kaufmann und Machtmenschen, auch gesehen. Er bezeichnet die künstlerischen Versuche des Sohnes (das Spielen auf dem Klavierflügel der Mutter und das Verfassen von Gedichten) als "Narrenspossen", "Bajazzobegabung" sowie "Clownerie und Blague". Hier lässt sich bereits ein Aspekt des Verhältnisses von Bürgerlichkeit und Kunst erkennen: der auf "Nutzen" bedachte Bürger kann in den durch Kunst generierten "symbolischen" Werten im besten Fall eine Art der Belustigung sehen, den Künstler selbst aber nur unter bestimmten Bedingungen ernst nehmen, auf die ich im weiteren Verlauf des Vortrags zu sprechen kommen werde.

Dass dem namenlosen Helden der Erzählung die "ethischen Charakteristika der Bürgerlichen Lebensform", also "Ordnung, Folge, Ruhe, Fleiß" fehlen, lässt sich wenig später in der Erzählung, der Bajazzo arbeitet inzwischen auf Wunsch des Vaters in einem Holzhandel, sehen. Während der Freund des Bajazzos, ein Mann mit dem klangvollen Namen Schilling, den Vorsatz äußert "auf irgendeine Art und Weise ein reicher Mann zu werden", erledigt der Protagonist seine Arbeit auf halbherzige und träumerische Weise: "[Ich erledige] mechanisch meine notwenigen Angelegenheiten, um im Übrigen auf dem Lagerplatz zwischen den Bretterstapeln und den Arbeitern umherzuschlendern, durch das hohe Holzgitter den Fluß zu betrachten, an dem dann und wann ein Güterzug vorüberrollte, und dabei an eine Theateraufführung oder an ein Konzert zu denken".

Diese Art zu arbeiten zeigt zwei wesentliche Züge dieses dilettantischen Künstlers: zum einen eine Fixierung auf das Irreale, die Welt des Geistes und zum anderen ein ausgeprägtes Desinteresse gegenüber ökonomischen Zusammenhängen. Dieses Desinteresse zeigt sich auch in Hinblick auf die Auflösung des elterlichen Geschäfts nach dem Tod seiner Eltern, was von ihm lapidar mit den Worten: "Die Geschäfte waren erledigt worden, gehe es gut oder schlecht" kommentiert wird. An dieser Stelle wird auch noch ein anderer, für Manns frühe Erzählungen typischer Topos eingeführt, nämlich der wirtschaftliche Niedergang des Elternhauses, der gleichzeitig mit der Künstlerwerdung der jüngsten Generation eintritt.

Obwohl er im weiteren Gang der Handlung während einiger Reisen in Geldnöte gerät, beschließt der Bajazzo dennoch in seinem weiteren Leben keinem Beruf nachzugehen, sondern sich ganz seinen künstlerischen Neigungen hinzugeben und von seinem Erbe zu leben, also "die Saatfrucht zu vermahlen". Sich seinen Neigungen hinzugeben bedeutet für den Dilettanten allerdings keine Kunstproduktion, sondern lediglich Rezeption, so dass sein "Tagewerk" ein "gelungenes Motiv", oder eine "zarte und anhaltende Stimmung" aus der Betrachtung eines Kunstwerkes sind. Diesen Hang zu Irrealem kultiviert der (Anti-)Held immer weiter, wie man an einem weiteren Zitat sehen kann: "man verharrt halbliegend im Lehnsessel [...] um mit Ergebenheit das leise Graben und Zehren irgend eines halb unbestimmten Schmerzes zu verfolgen, der nicht hat verscheucht werden können".

Diese unbürgerliche, weil ohne bürgerlichen Beruf auskommende Art zu leben, führt den Bajazzo, der ehemalig "bei seinen Mitschülern durch bevorzugte Herkunft [...] sich Respekt und Beliebtheit zu verschaffen wusste", ins gesellschaftliche Abseits, wie er selber erkennt und folgendermaßen beurteilt: "Übrigens hatte ich jawohl mit der 'Gesellschaft' gebrochen und auf sie verzichtet, als ich mir die Freiheit nahm, ohne ihr in irgend einer Weise zu dienen, meine eigenen Wege zu gehen, und wenn ich, um glücklich zu sein, der 'Leute' bedurft hätte, so mußte ich mir erlauben, mich zu fragen, ob ich in diesem Falle nicht zur Stunde damit beschäftigt gewesen wäre, mich als Geschäftsmann größeren Stils gemeinnützlich zu bereichern und mir den allgemeinen Neid und Respekt zu verschaffen".

Gegen Ende der Erzählung jedoch muss er begreifen, dass er der "Leute" eben doch bedarf. Er beginnt sich für eine junge Dame aus gutem Hause zu interessieren und beobachtet sie über Monate. Als er sich schlussendlich überwindet, die aus der Ferne Angebetete anzusprechen, ist es sein wirtschaftliches Unvermögen, das den Bajazzo in dieser Situation gesellschaftlich vollends scheitern lässt. Sie hat für den mit abgetragenen Anzug und schlechten Schuhen gekleideten Außenseiter nur verächtliche Blicke übrig. Dieses Scheitern ist für den Bajazzo der endgültige Schlag, der ihm sämtlichen Lebenswillen zu nehmen scheint: "Seit diesem Augenblick ist es zu Ende mit mir".

Einen ähnlichen Hang zum Irrealen und eine ähnliche Art Frauen lediglich aus der Ferne zu beobachten hat auch Spinell, Protagonist der Erzählung "Tristan". Diese Art erkennt der Leser spätestens dann, wenn Spinell seiner Angebeteten Gabriele gesteht: "Ich habe die Dame [gemeint ist hier jedoch Gabriele selber] im Vorrübergehen nur mit einem halben Blicke gestreift, ich habe sie in Wirklichkeit nicht gesehen.", und diese Art der Betrachtung folgendermaßen beurteilt: "es ist eine bessere Art, als wenn ich ihnen plump und wirklichkeitsbegierig ins Gesicht starrte und den Eindruck einer fehlerhaften Tatsächlichkeit davontrüge [...]". Die Tatsächlichkeit ist fehlerhaft und ein Blick auf diese Tatsächlichkeit plump und grobschlächtig. Nur das Ästhetische, Unstoffliche, Geistige birgt für Spinell einen Wert. Dabei ist sich Spinell seinem Hang zur Irrealität und der daraus resultierenden Gesellschaftsferne auf schmerzhafte Weise bewusst: "Wir sind unnütze Geschöpfe, ich und meinesgleichen, [...] schleppen wir uns an dem Bewußtsein unserer Unnützlichkeit wund und krank. Wir hassen das Nützliche, wir wissen daß es gemein und unschön ist. [...] Hinzu kommt, daß die ganze Art unserer Existenz, unsere Weltanschauung, unsere Arbeitsweise [...] von schrecklich ungesunder, unterminierender, aufreibender Wirkung ist".

Dieser bewusst ins Lächerliche gezogene, extreme Künstler-Typ hat einen ebenso ins Lächerliche gezogenen, ebenso extremen Gegenspieler: Großkaufmann Klöterjahn, Ehemann von Gabriele. Eine feist-gierige Gestalt, die mit beiden Beinen im Leben steht und das Herz, laut eigener Aussage, "am rechten Fleck" hat.

Der zweite "Gegenspieler" Spinells, das Kind der Klöterjahns, weist durch kräftigen Körperbau und gesunden Appetit erhebliche Ähnlichkeiten mit seinem Vater auf und seine "kapitalistische" Art "mit ungeheurer Rücksichtslosigkeit seinen Platz im Leben [zu erobern]" erinnert ein wenig an die "Heuschrecken-Diskussion" vergangener Jahre. Die Verknüpfung von Kind und wirtschaftlichem Betrieb unterstreicht Mann durch eine metaphorische Doppelung: "sein blühendes Kind, sein ebenfalls blühendes Geschäft", das vitalistische Prinzip wird auf Beruf und Ökonomie ausgeweitet. Folgerichtig prophezeit Spinell dem Kind eine Zukunft als "handeltreibender und Steuern zahlender [...] Bürger".

Bei der Bewertung dieser beiden Kontrahenten sind die Anmerkungen des ironisch kommentierenden Erzählers von zentralem Interesse. An den Namen des Schriftstellers vermag er sich kaum zu erinnern, er wird eingeführt als jemand der "dem Herrgott die Tage stiehlt". Die Firma des "Großkaufmanns" hingegen wird exakt genannt: "A.C. Klöterjahn u. Comp". Diese Erzählerhaltung spiegelt die Einstellung des Bürgers zum Künstler wieder, die auch schon der Vater des Bajazzos vertreten hat.

Die gesellschaftliche Außenseiterrolle des Künstlers wird, wie im "Bajazzo", dadurch verstärkt, dass der Held der Erzählung keine wirtschaftlichen Erfolge aufweisen kann, er hat in seinem Dasein als Schriftsteller lediglich ein mäßig erfolgreiches Buch geschrieben. Natürlich wird auch dieses wirtschaftliche Unvermögen vom Erzähler ironisiert, so beginnt ein Kapitel mit dem Satz: "Herr Spinell saß auf seinem Zimmer und 'arbeitete'". Später wird sarkastisch bemerkt: "Für einen, dessen bürgerlicher Beruf das Schreiben ist, kam er jämmerlich langsam von der Stelle [...]". Spinell erledigt seinen Ökonomie-fremden Beruf also auch noch auf unwirtschaftliche Weise. Dazu kommt, dass er keine geregelten Einnahmen besitzt und man davon Ausgehen muss, auch wenn es nicht explizit erwähnt wird, dass er Ererbtes aufbraucht.

Dass Spinell zu einem "ökonomischen" Schreiben nicht in der Lage ist, macht auch Klöterjahn ihm in der finalen Konfrontation zwischen Bürger und Künstler am Ende der Erzählung klar: "Sie schreiben eine Hand die miserabel ist mein Lieber; ich möchte sie nicht in meinem Kontor beschäftigen". Die Tätigkeit des Schreibens wird hier von Klöterjahn "entgeistigt" und der Ökonomie unterstellt, dem Schriftsteller wird die letzte Bastion genommen.

Nach diesen beiden "Dilettanten" kommen wir zu einer in entscheidenden Bereichen anders konstruierten Künstlerfigur, Tonio Kröger.

In seiner Kindheit und Jugend jedoch wird Tonio noch als typischer Künstler dargestellt, ein Außenseiter mit Hang zum Irrealen, zur Vergeistigung. Dies lässt sich besonders gut bei der Gegenübersetzung von seinen Hobbys und denen seines blonden Jugendfreundes Hans Hansen sehen: "Wenn du die Schulaufgaben erledigt hast, so nimmst du Reitstunde oder arbeitest mit der Laubsäge, und selbst in den Ferien, an der See, bist du vom Rudern, Segeln und Schwimmen in Anspruch genommen, indes ich müßiggängerisch und verloren im Sande liege".

Während alle Hobbys von Hans als Tätigkeiten bezeichnet werden können, sich mit konkreten Gegenständen beschäftigen und teilweise sogar erschaffender Natur sind, bleibt Tonio untätig, "denn alles Handeln ist Sünde in den Augen des Geistes", wie er an späterer Stelle bemerkt.

Einige Jahre später erlebt Tonios Elternhaus, ähnlich wie beim "Bajazzo" einen wirtschaftlichen Niedergang. Die Verbindung zur Künstlerwerdung des Sohnes wird in diesem Fall auch durch den Erzähler beschrieben: "Die alte Familie der Kröger war nach und nach in einen Zustand des Abbröckelns und der Zersetzung geraten, und die Leute hatten Grund, Tonio Krögers eignes Sein und Wesen ebenfalls zu den Merkmalen dieses Zustands zu rechnen".

Auch in diesem Fall könnte man nun mit einer Außenseiterexistenz, ähnlich Spinell oder dem Bajazzo rechnen. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen den Figuren: es gelingt Tonio durch Arbeit und Selbstdisziplin seine künstlerischen Triebe in produktive Bahnen zu lenken, sein Lebensinhalt wechselt von Ästhetik zu Leistungsethik: "Er arbeitet nicht wie Jemand, der arbeitet, um zu leben, sondern wie Einer, der nichts will als arbeiten".

Als Leistungsethiker und Berufsmensch ändert sich ebenfalls seine Stellung in der Gesellschaft, diese Wandlung wird ganz besonders deutlich, als Tonio nach einigen Jahren der Existenz als "verirrter Bürger", gemeint ist bürgerlicher Künstler, in seine Heimatstadt zurückkehrt. Hier wird er vom Hotelbesitzer und einem Polizisten festgehalten, weil diese ihn für einen Betrüger halten, der "von unbekannten Eltern" und "von unbestimmter Zuständigkeit" ist. Da Tonio keine ausweisenden Papiere bei sich trägt, kann er dieser Situation nur entkommen, indem er sich durch eine Arbeitsprobe identifiziert.

Aus dieser Episode folgen im Hinblick auf die Ökonomie zwei Erkenntnisse: erstens ist der wesentliche Unterschied, der ihn von einem gesellschaftlich ausgeschlossenem Betrüger unterscheidet, sein Beruf, schließlich bewahrt ihn lediglich dieser, in Form einer Arbeitsprobe, vor einer Verhaftung und zweitens sind die beiden Zustände des "Unbestimmtseins", also Eltern und Zuständigkeit, ökonomisch definiert. Letztendlich ist es also nur der wirtschaftliche Erfolg, der den Künstler im Auge des Bürgers vom Ausgestoßenen zum angesehenen Mitmenschen macht, nicht die künstlerische Leistung. Eine Erkenntnis, die auch Mann selbst nicht all zu fremd sein dürfte, wenn er in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" schreibt: "Glaube man doch ja nicht, daß ich im Geringsten aus Selbstgefälligkeit rede, wenn ich hinzufüge, daß ich vom 'Erfolge' ein Lied, mein kleines Lied, zu singen weiß!" und dies auf Friedrich Nietzsches "doppelte Optik" bezieht, also die Produktion von Kunst, die als Publikum das Bürgertum und die Boheme im Blick hat.

Eine weitere Ausprägung des "leistungsethisch" handelnden Künstlers ist Gustav von Aschenbach. Seine Arbeitsweise beachtet, die am Anfang des Vortrags genannte Maxime von "Ordnung, Ruhe, Folge, Fleiss", äußerst genau. Er ist "der geduldige Künstler, der in langem Fleiß den figurenreichen [...] Romanteppich 'Maja' wob". In dieser Metaphorik lassen sich nicht nur die Maxime erkennen, sondern es wird auch eine Verbindung zu einem bürgerlichen Handwerksberuf hergestellt.

Aschenbach schafft es, so könnte man meinen, Kunst und Ökonomie zu vereinigen, ein ökonomisch wirtschaftender Künstler zu sein. Doch wie wir alle wissen, scheitert auch er an den Unvereinbarkeiten von Artisten- und Bürgertum, Kunst und Leben. Das Geistige, die Dekadenz, die Kunst bricht bei ihm durch. Edith Weiller schreibt zu diesem Thema: "Aber auch hier geht es [...] nicht um "Verwandlung" und Annäherung beider Pole, sondern um die Leistung des Bezwingens und, wo sie an ihre Grenzen kommt, des Ertragens der erneuten, schuldhaft erfahrenen Kluft."

Zum Abschluss meines Vortrags möchte ich meine Erkenntnisse in drei Thesen zusammenfassen:

1.) Es gibt in der Denkart Thomas Manns eine enge Verbindung des Komplexes "Bürger" mit der Ökonomie. Bürgerliches Handeln ist ökonomisches Handeln, die Maxime der Bürger sind rationalistisch-ökonomisch gegründet. Die Bürgerfiguren der frühen Erzählungen sind mit bemerkenswerter Häufigkeit Kaufleute.

2.) Künstlerisches Handeln ist unökonomisches Handeln. Der "reine", nicht-bürgerliche Künstler, wie am Beispiel von Spinell und dem Bajazzo zu sehen ist, wirtschaftet nicht, er zehrt von dem was er hat, er "vermahlt das Saatgut". Er nimmt durch Produktion von Irrealem nicht an der "Real"-Wirtschaft teil.

3.) Wirtschaftlicher Erfolg bestimmt die gesellschaftliche Stellung des Künstlers. An dieser Erkenntnis lässt Klöterjahn Spinell mit Freude teilhaben, wenn er am Ende von "Tristan" sagt: "Mein Name ist gut, mein Herr, und zwar durch meinen Verdienst. Ob ihnen auf den Ihren auch nur einen Silbergroschen borgt, diese Frage mögen Sie mit sich selbst erörtern, Sie dahergelaufener Bummler!". Aber auch der Künstler der einen wirtschaftlichen Erfolg zu verzeichnen hat, bewegt sich in Manns frühen Erzählungen "auf dünnem Eis", wie man am Beispiel Aschenbach sehen kann. Der unökonomische Charakter der Kunst, dieses Gegenteil von "Ordnung, Ruhe, Folge, Fleiß" droht auch am vermeintlich bürgerlichen Künstler "Raubbau zu betreiben".