Leseschmaus für die Fastenzeit

Jesu "Versuchung in der Wüste" als meisterhaftes Mysterium

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Brite Jim Crace bezeichnet sich selbst als "traditionellen, altmodischen Schriftsteller". Das bedeutet im Fall seines fünften Romans "Die Versuchung in der Wüste": 31 Kapitel über die Fastenzeit von vier Menschen im Judäa zur Zeit Christi zu schreiben, Jesus als Nebenfigur einzubauen und einen fliegenden, aber toten Esel als visionäres, komisches Ereignis zu feiern. In einer klaren, rhythmischen, an mündlichen Erzähltraditionen des Orients orientierten Sprache verblüfft der 53jährige Autor den Leser schon mit den ersten Sätzen - um ihn dann so tief in den Bann einer atmosphärisch-dichten fiktionalen Welt zu ziehen, daß er beginnt, "in den einfachsten Verrichtungen tiefste Bedeutung zu vermuten". Humorvoll und widersprüchlich-plastisch formt Crace seine Charaktere, sparsam und unaufdringlich kombiniert er biblische Symbole, erzeugt Text-Echos, so daß dem modernen Leser die Ironie des ganzen Unternehmens langsam, aber unweigerlich aufgeht: Kann ein Autor am Ende des 20. Jahrhunderts einen Roman über körperlich-geistige Selbstkasteiung und das Mysterium des christlichen Mensch-Gottes schreiben, ohne sich lächerlich zu machen? Ja, der "altmodische Schriftsteller" Jim Crace kann das - und zwar meisterhaft.

Titelbild

Jim Crace: Die Versuchung in der Wüste.
Blessing Verlag, München 1998.
20,40 EUR.
ISBN-10: 3896670743

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