Frau im Mond

Christine Lehmann lässt in ihrem Krimi "Nachtkrater" auf dem Mond ermitteln

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine zumindest interessante Idee, die der Autorin angeblich bei einer nächtlichen Rückfahrt von einer Lesung gekommen ist: ein Mord auf dem Mond. Die Frage, wo sie ihre Heldin denn das nächste Mal ermitteln lassen solle, habe sich beim Anblick des Vollmonds von selbst beantwortet. Bleibt nur das Problem: wie sie hinschaffen? Immerhin ist seit den amerikanischen Mondbesuchen keiner mehr dort gewesen.

Lehmann löst das Problem durch einen erstaunlich funktionsfähigen Trick. Sie setzt die Existenz einer Mondstation, allerdings nicht in irgendeiner Zukunft, sondern in einer Art gemischter Gegenwart. Die Mondstation ist Science Fiction im originalen Sinne des Wortes. Es gibt sie noch nicht, aber sie könnte dennoch möglich sein. Die Gegenwart der Erde jedoch ist aus den unterschiedlichen Ingredienzen der jüngeren Vergangenheit zusammengesetzt: G8-Gipfel in Heiligendamm, Neo-Zeppeline aus Friedrichshafen und anderes, was uns allen gegenwärtig ist. Lehmann entführt uns also keinesfalls in eine Zeit jenseits allen Gewohnten, sondern macht nur möglich, was ihr offensichtlich allergrößten Spaß macht, nämlich ihre Heldin Lisa Nerz auf den Mond zu schaffen.

Anlass dazu ist der Tod eines deutschen Mondreisenden, der einen Alleingang auf der Mondoberfläche mit dem Tod bezahlt. Ein Mord - so lautet die Vermutung auf der Erde, und Lisa Nerz, die aus einem Unfall eine Schandtat zu machen versteht, soll sich das Ganze ansehen. Die große Schnauze dafür hat sie, die notwendige Ruhelosigkeit und Nervigkeit sowieso - nur leider hat sie kein Ticket zum Mond.

Und dennoch ist sie schließlich dort, zwar unter falschem Namen und falschem Geschlecht - Michel Ardan heißt der französische Journalist, der eigentlich auf den Mond soll. Nur kommt der rein zufällig, kurz nachdem er mit Lisa geplaudert hat, ums Leben. Und keiner weiß, wie es geschah, Lisa schwebt nun als Michelle Ardan auf dem Mond ein.

Rätselhaft wie dieser Teil der Geschichte nun einmal ist, beschäftigt uns die Autorin große Teile des einigermaßen großvolumigen Romans damit, neben der Mordaufklärung auf dem Mond auch noch die Frage zu klären, wie Michelle beziehungsweise Lisa nun eigentlich dorthin gekommen ist, wo sie nun ist.

Keine Sorge, auch das klärt sich mit (knapp) hinreichender Plausibilität. Hauptsorge ist jedoch die Frage nach dem toten Torsten Veith, zumal Lisa sich kurz nach ihrer Ankunft nicht nur einer ihrer Mitmondbewohnerinnen hingibt (Sex in der Wüste? Das ist nichts gegen Sex auf dem Mond), sondern sich auch noch eines offensichtlichen Mordversuchs erwehren muss.

Lehmann mixt dabei amüsant die unterschiedlichen Aspekte einer möglichen Mondkolonie zu einem brisanten Cocktail: die Rivalitäten der Nationalitäten, die verschiedenen, sich definitiv ausschließenden Charaktere der Akteure, die Ticks der Langzeitbewohner, die Vermutungen über Anpassungsleistungen terristrischer Insekten, Geheimhöhlen, Computerpannen und weiter führende, vor allem technische und humane Katastrophen. Es gibt weitere Verletzte und Tote, und die Vermutungen, wie alles das zusammenhängen könnte, schießen heftig ins Kraut.

Ins Zentrum der Vermutungen rücken dabei erst einmal zwei Aspekte: eine biologische Panne, von der niemand weiß, ob sie sich zur Katastrophe ausweiten wird, und die vermuteten Bodenschätze des Monds, die das eine oder andere Ressourcenproblem auf Erden lösen könnten. Auch sind Fragen nach den Grenzen menschlicher Belastbarkeit, wie sie eine Marsexpedition aufwerfen könnte, nicht ganz abwegig. Jeder der Aspekte lässt neue Szenarien möglich werden, die alle irgendwie zum Tod Veiths geführt haben könnten.

Dabei ist dieser keineswegs ein Sympathieträger. Er scheint zu Lebzeiten ein Prachtexemplar des typischen Deutschen gewesen zu sein, rational denkender Naturwissenschaftler auf der einen Seite, Organisationsfreak auf der anderen Seite, arroganter Besserwisser obendrein, und zum guten Schluss auch noch ein echter Romantiker, der sein Lebtag nach seiner Mondgöttin gesucht hat. Und wo findet er sie? Auf dem Mond natürlich.

Kein Wunder, dass keiner seiner Kollegen Veith gemocht oder auch nur toleriert hätte. Mit solchen Deutschen ist es kein Spaß, und so spaßt man mit ihnen auch nicht. Am Ende ist er tot. Neben den rivalisierenden Nationen- oder Interessengruppen ist für ihn anscheinend kein Platz mehr. Vor allem die möglichen Mondschätze weisen auf einen groß angelegten Komplott zugunsten einer der Interessengruppen hin, dem Veith im Wege gestanden hat.

Das ist zwar am Ende alles nicht mehr so wichtig, vor allem deshalb, weil es schließlich nur noch darauf ankommt, heil auf die Erde zurückzukommen. Aber es ist Lehmann immerhin zugute zuhalten, dass sie erst sehr spät mit der Lösung ihres Falles herausrückt. Und die zeigt nicht zuletzt, dass es ganz gleich ist, ob Mann oder Frau im Mond. Am Ende sind es die ganz persönlichen Motivationen, auf die es ankommt. Ob es sich dabei um Eifersucht oder Geldgier handelt, sei dabei der eigenen Lektüre vorbehalten.


Titelbild

Christine Lehmann: Nachtkrater. Krimi.
Argument Verlag, Hamburg 2009.
472 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783867541732

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