Spiegelfechtereien
Kerstin Haunhorst über das Bild der Neuen Frau im Frühwerk Irmgard Keuns
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit einigen Jahren mehrt sich die Forschungsliteratur zu einer der beliebtesten AutorInnen der Weimarer Republik: Irmgard Keun. Dieses neu geweckte Interesse dürfte auch dem von Stefanie Arend und Ariane Martin anlässlich des hundertsten Geburtstags der Literatin herausgegebenen Sammelband mit "Deutungen und Dokumenten" zu Keuns Leben und Werk zu danken sein. Der bislang jüngsten Monografie von Carme Bescansa Leirós hat nun Kerstin Haunhorst eine weitere folgen lassen. Ihr Interesse gilt dem "Bild der Neuen Frau im Frühwerk" Keuns.
Statt mit neuen Erkenntnissen zu der von ihr aufgeworfenen Frage, "inwieweit die Romanfiguren dem Typ Neue Frau tatsächlich entsprechen beziehungsweise inwiefern und aus welchen Gründen Irmgard Keun mit ihren Protagonistinnen von diesem Frauenbild abweicht", aufzuwarten, fasst Haunhorst vor allem die Erträge bisheriger Forschungen zusammen. So referiert sie in den Abschnitten zur "gesellschaftliche[n] Stellung der Frau in der Weimarer Republik" und zur "Darstellung der Neuen Frau in den Medien", zunächst Ergebnisse aus einigen literatur- und kulturgeschichtlichen Untersuchungen, was ihr nicht immer ohne Verkürzungen gelingt. Auch hat sie vermutlich selbst kaum einen der zahlreichen von ihr erwähnten Filme gesehen und kaum eine der Zeitschriften in der Hand gehabt.
Die beiden zentralen, Keuns Romanen "Gilgi, eine von uns" und "Das kunstseidene Mädchen" gewidmeten Abschnitte bieten kaum mehr als Nacherzählungen, bestückt mit einigen meist aus der Sekundärliteratur übernommenen interpretatorischen Bemerkungen. Nur die kurzen Kapitel zu den jeweiligen "Erzähltechniken" gehen ein wenig darüber hinaus. Doch auch sie lohnen die Anschaffung des Bändchens kaum - zumal bei einem Preis von annähernd 40 Euro.
Die "vieldiskutierte Neue Frau", resümiert die Autorin am Ende ihrer schmalen Arbeit, habe es "nur auf den ersten Blick" gegeben. Doch "spiegelt" der Typus Haunhorst zufolge "die Wunschvorstellungen der meisten Frauen nach moderner Lebensführung, nach Unabhängigkeit und gesellschaftlichem Aufstieg, körperlicher Attraktivität sowie selbstbewusstem, lässigem Auftreten, besonders Männern gegenüber". Und nicht nur die Neue Frau, auch Keuns Protagonistinnen "spiegeln". Nämlich "die tatsächlichen Lebensbedingungen und die Träume der kleinen Angestellten am Ende der Weimarer Republik". Womit sie die "Nichtexistenz der Neuen Frau" aufzeigten. Liane Schüller war vor einigen Jahren bereits zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt, hat dabei aber um einiges differenzierter und überzeugender argumentiert.
So fallen bei der Lektüre des vorliegenden Bandes weniger originelle Thesen und überzeugende Argumente ins Auge, als vielmehr unbedachte, jedenfalls nicht immer exakte und gelegentlich miss- beziehungsweise unverständliche Formulierungen, etwa "ausländische Filme" betreffend, "die nur nach der Entstehung eines deutschen Filmes gezeigt werden durften." Hinzu treten gelegentliche Fehler. Clara Viebig zählte im Erscheinungsjahr ihres Romans "Die mit den tausend Kindern" (1929) schwerlich zu den "jungen Autorinnen", wie Haunhorst gleich mehrfach behauptet. Immerhin hatte die Literatin da bereits das reifere Alter von 69 Jahren erreicht.
Wenn von Haunhorsts belanglosem Büchlein überhaupt etwas in Erinnerung bleiben dürfte, dann wohl dessen Eigenheit, Zitate nicht in Anführungszeichen zusetzen, sondern sie zu kursivieren.