Sommer mit vier Gangstern

Über Benjamin Leberts Roman "Flug der Pelikane"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

",Crazy' war die Ekstase - mit allen Superlativen, die kommen konnten. Ich wurde sehr attackiert, aber auch in den Himmel gelobt, was beides schwer zu tragen war", bekannte Benjamin Lebert, der vor zehn Jahren als Teenager mit seinem in 33 Sprachen übersetzten Debütroman einen sensationellen Erfolg feierte. Über eine Million Exemplare seines erfolgreich verfilmtem Erstlings über einen gescheiterten Internatsschüler wurden verkauft, und das renommierte Haus Kiepenheuer und Witsch feierte ihn als "jüngsten Autor der Verlagsgeschichte".

"Ich will von einem Sommer erzählen, den ich zusammen mit vier amerikanischen Gangstern verbracht habe". Mit diesem Neugier weckenden Bekenntnis seines Protagonisten Anton leitet der gerade 27 Jahre alt gewordene Benjamin Lebert seinen vierten Roman ein, der um die Motive Flucht und Ausbruch kreist.

Die Hauptfigur Anton bricht nach abgebrochenem Physikstudium, Psychiatrieaufenthalt, einem Aushilfsjob als Altenpfleger und der Trennung von seiner Freundin Eleanor in Hamburg seine Zelte ab und geht nach New York. "Wenn du mal gar nicht weißt, was du machen sollst, dann wartet hier immer ein Bett für dich. Und ein Job - Pfannkuchen machen". Das hatte Onkel Jimmy aus New York, der einen heruntergekommenen Imbiss betreibt, einst Anton mit auf den Weg gegeben. Jimmy, der aus Mexiko stammt und tatsächlich Juan heißt, ist gar nicht Antons Onkel, sondern ein ehemaliger Geliebter seiner Mutter. Stattdessen scheinen die beiden allerdings Seelenverwandte zu sein, verbunden durch Abenteuerlust und Fantasie.

Dieser Jimmy pflegt ein ungewöhnliches Hobby, mit dem er seinen Gast aus Deutschland rasch infiziert: die Gefangeneninsel Alcatraz an der Bucht von San Francisco. Ganz speziell beschäftigt sich Jimmy mit dem Ausbruch von drei Häftlingen, der sich vor fast 50 Jahren ereignet hat und um den sich schillernde Legenden ranken. Jimmy glaubt an die erfolgreiche Flucht von der "Isla de los Alcatraces" (deutsch: Insel der Pelikane) und bewundert die Ausbrecher wegen ihres Mutes und ihrer Verwegenheit. Die überlieferten Anekdoten über die Alcatraz-Insassen gipfeln in Jimmys Behauptung, dass einer der Überlebenden der Flucht in seiner Nachbarschaft (nun hochbetagt) ein Sportgeschäft besitzt.

Lebert, der als Kind mit seinen Eltern die amerikanische Westküste besuchte und seitdem - nach eigenem Bekunden - vom "Alcatraz-Virus" befallen ist, arbeitet in diesem Roman mit drei unterschiedlichen Erzählebenen. Der Alltag in Jimmys Grill, angelesene Fakten über Alcatraz und Antons soziales Umfeld in Hamburg sind jedoch ziemlich ungeordnet miteinander verknüpft worden. Lebert erzählt diese "Story" mit großem Tempo, aber es wirkt gehetzt und salopp wie in einer Reportage, ohne individuellen Sound: eben absolut unpoetische sprachliche Hausmannskost. Und am Ende driftet der abenteuerliche Ausbruch sogar ziemlich abrupt in den Kitsch ab. Nach Jimmys plötzlichem Herztod kehrt Anton von New York nach Hamburg zurück - geradewegs in die Arme seiner Freundin Eleanor. Jimmys Alcatraz-Legenden, die heldenhaften Spinnereien und der in der Fantasie beschworene Freiheitsdrang: Alles ist für Anton wie ausradiert. Anscheinend vorbei gerauscht ohne nachhaltigen Eindruck - ganz so wie es dem Leser mit Benjamin Leberts Roman geht.


Titelbild

Benjamin Lebert: Der Flug der Pelikane. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
208 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3462040952

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